Foto: Dorothee Lee

Pflegepersonalstärkungsgesetz

Zeitarbeitsfirmen bekommen kalte Füße

Politiker wollen die Zeitarbeit in der Pflege eindämmen. Ganz so einfach dürfte das nicht werden. Dennoch gibt es erste Krise-Anzeichen

Geht es nach dem Willen der Berliner Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) brechen für die Zeitarbeit über kurz oder lang schlechte Zeiten an: In Krankenhäusern, so ihr Plan, soll Zeitarbeit (auch Leiharbeit genannt) bald nur noch bei kurzfristigen Personalausfällen erlaubt sein. Die Senatorin möchte in diesem Jahr eine Bundesratsinitiative zum Verbot von Leiharbeit in der Pflege starten. Dabei darf sie auf Rückenwind vom Bund hoffen: Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat das Thema auf dem Schirm, wie er schon mehrfach hat durchblicken lassen.

Mehrkosten durch Zeitarbeit werden Kliniken nicht erstattet

Der politische Gegenwind macht sich in Form des Pflegepersonalstärkungsgesetzes bereits jetzt bemerkbar: Die Pflegepersonalkosten sind aus den Fallpauschalen (DRG) ausgegliedert und werden von den Kassen (auf Basis von Budgetverhandlungen) erstattet - allerdings nicht die Mehrkosten der Zeitarbeit. So rumort es jetzt in der gesamten Branche. Der Wettbewerb unter den Zeitarbeitsfirmen beginnt sich zu verschärfen.

Stundensatz bis zu 25 und 27 Euro

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Dabei explodieren die Kosten schon jetzt: Stundensätze von 25 bis 27 Euro in der Krankenpflege und 25 Euro in der Altenpflege gelten inzwischen als normal. Vor fünf Jahren waren es nach Informationen eines Anbieters noch 16 Euro. Sollten die Zeitarbeitsfirmen auf den Mehrkosten sitzen bleiben, dürfte es automatisch zu einer Marktregulierung, wenn nicht einem Kahlschlag in diesem Marktsegment kommen.

In Berlin 400 bis 500 Zeitarbeitsfirmen in der Pflege

„Man hört von utopisch hohen Stundenlöhnen, dem aggressiven Abwerben mit horrenden An- und Abwerbeprämien, übertrieben hohen Verrechnungssätzen und in der Folge stark gestiegenen Personalausgaben von bis zu 89 Prozent in den Gesundheitseinrichtungen.“ So beschreibt Andreas Worch die aktuelle Lage. Worch ist Geschäftsführer und Mitinhaber der Berliner Zeitarbeitsfirma anbosa Personaldienstleistungen GmbH. Seine Firma beschäftigt 60 bis 80 Mitarbeiter und ist auf die Pflege- und Gesundheitsbranche im Raum Berlin/Brandenburg spezialisiert. Allein in Berlin gebe es seinen Angaben zufolge aktuell 400 bis 500 Zeitarbeitsfirmen. „Manche entstehen, werben aggressiv vor den Einrichtungen, sind aber auch sofort wieder weg.“

Personaldienstleister Andreas Worch: „Die Politik ist selbst schuld“

Allerdings prangert Worch nicht nur die schwarzen Schafe in seiner eigenen Branche an, sondern nimmt auch die Politik in die Pflicht: „Genau die Politik, die jahrzehntelang versäumt hat, Bedingungen zu schaffen für eine hohe berufliche Zufriedenheit und Anreize, um in diesem wichtigen gesellschaftlichen Feld zu arbeiten, macht jetzt Zeitarbeitsunternehmen für die Fluktuation der Stammbelegschaften verantwortlich.“

„Kurze Einsätze von Zeitarbeitern sind nicht effizient“

Worch glaubt, dass sich das Verbot von langfristigen Zeitarbeiter-Einsätzen negativ auf Pflegekräfte und Mitarbeiter in der Personalabteilung auswirken wird: „Die Einarbeitung von Zeitarbeitskräften findet in der Regel unter hohem Zeitdruck statt, da der Personalengpass bereits eingetreten ist. Zweifelsfrei führen gerade kurzfristige Überlassungen im Vergleich zu langfristigen zu einer zusätzlichen Arbeitsbelastung bei Stammbeschäftigten“. Die „Neuen“ müssten den Betrieb erst kennenlernen, häufiger nachfragen und verursachten mehr Fehler. Bei Personalverantwortlichen sei der zeitliche und organisatorische Aufwand ebenfalls „immens höher“.

Lockt Zeitarbeit Alleinerziehende in den Beruf zurück?

Gidion Griesbach, Geschäftsführer der Pflegeleicht GmbH mit Niederlassungen in Bremen, Leipzig, Köln und Stuttgart und ebenfalls auf die Vermittlung von Pflegekräften spezialisiert, kann die Klagen der Stammbesetzungen in Kliniken und Heimen über die Kollegen aus der Zeitarbeit zwar durchaus verstehen: Er selbst hat einst als Krankenpfleger in einem festen Team gearbeitet. „Aber das Thema ist nicht mehr wegzudenken“, sagt er. Zeitarbeitsfirmen wären in der Lage Pflegekräfte anzuwerben, die sich gar nicht direkt in Krankenhäusern und Heimen anstellen lassen würden. Zeitarbeitsfirmen sei es möglich, einen Personenkreis wie Mütter und hier vor allem Alleinerziehende zu rekrutieren, die ohne die „unschlagbaren“ Vorteile der Zeitarbeit wie bessere Planbarkeit, kein Einspringen aus dem Frei, Wunschschichten, Fahrtkostenerstattung, Urlaubs- und Weihnachtsgeld gar nicht erst in der Pflege arbeiten würden.

Artikel 12 Grundgesetz spricht gegen völliges Verbot

An eine völlige Abschaffung der Zeitarbeit im Pflegesektor glaubt Griesbach trotz der drohenden politischen Bestrebungen nicht: „Auf dem Berliner Zeitarbeitsmarkt wird zwar eine Regulierung stattfinden. Aber flächendeckend in ganz Deutschland wird das rechtlich nicht möglich sein. Es herrscht schließlich freie Berufswahl.“ Tatsächlich garantiert Artikel 12 des Grundgesetzes, dass alle Deutschen das Recht haben, Beruf, Ausbildungsstätte und Arbeitsplatz frei zu wählen.

Bald vielleicht keine Wunschschichten mehr für Zeitarbeiter?

Für „eher vorstellbar“ hält Griesbach daher den Versuch, die Zeitarbeit einzudämmen über eine Regulierung der Arbeitszeiten: So könnte man etwa den Zeitarbeitern die Möglichkeit der Wunschschichten streichen. „Damit würden die wesentlichen Vorzüge der Zeitarbeit natürlich wegfallen.“

Griesbach (Pflegeleicht): „Man müsste sich völlig neu aufstellen“

Aber bis von staatlicher Seite entsprechend reagiert wird, dürfte noch ein Weilchen vergehen, prophezeit Griesbach. „Denn dann würde man ja die bereits beschriebene ‚stille Reserve‘ gleich mit auslöschen, und das kann politisch nicht gewollt sein. Wirklich rüsten können wir uns als Zeitarbeitsfirma für diesen Fall aber nicht. Man müsste sich dann völlig neu aufstellen.“ Wie genau, sagt er nicht.

Erste Kündigungen in der Zeitarbeit

Tatsächlich sehen sich die ersten Leiharbeiter in der Pflege aber bereits mit überraschenden Kündigungen konfrontiert. Bei der Anästhesiefachkraft Susanne Fichte (Name von der Redaktion geändert) landete ein solches Schreiben letzten November quasi aus heiterem Himmel im Briefkasten. Ihrem Arbeitgeber, einer norddeutschen Zeitarbeitsfirma, hätten offenbar die ihr bei der Einstellung versprochenen Klinik-Kontakte gefehlt, so ihre Erklärung. Die Firma hätte wohl gar nicht ausreichend vermitteln können. Um einer finanziellen Überforderung vorzubeugen, machte die Firma noch während der sechsmonatigen Probezeit offenbar lieber von ihrem Recht auf fristlose Kündigung Gebrauch, mutmaßt Susanne Fichte. „Ich wäre sonst für die Firma viel zu teuer geworden.“

Zahlen zur Zeitarbeit

Das Erstaunliche angesichts des politischen Wirbels: Zahlenmäßig nimmt sich der Zankapfel Zeitarbeit äußerst bescheiden aus. Zwar verdoppelte sich laut Bundesagentur für Arbeit die Anzahl der Zeitarbeiter in der Krankenpflege binnen vier Jahren von 12.000 auf 22.000 nahezu, aber ihr Anteil an allen sozialversicherten Beschäftigten in der Branche ist mit rund zwei Prozent gleichwohl marginal. Ähnlich sieht es in der Altenpflege aus, wo die Anzahl der Leiharbeiter im gleichen Zeitraum um 50 Prozent auf 12.000 stieg.

Autorin: Birgitta vom Lehn

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