Annabell Szepat vermisst es, dass so wenig über die Kinderkrankenpflege berichtet wird. „Pflege ist nicht nur Alten- und Krankenpflege sondern eben auch Kinderkrankenpflege“, so hat sie uns geschrieben. Wir haben Ihre E-Mail zum Anlass genommen, die Kinderkrankenschwester aus Schleswig-Holstein nach ihrer Arbeit zu fragen. Dabei haben wir Dinge erfahren, die für alle Pflegekräfte interessant sind, die nach Alternativen jenseits der Klinik- und Pflegeheimroutine suchen. Ein Protokoll.
Die Aussicht auf eine 1:1-Betreuung hat sich toll angefühlt
Annabell Szepat: Mein derzeitiger Job kam eher durch Zufall zu mir. Auf meinen beiden Wunsch-Stationen im Krankenhaus, auf denen ich nach meiner Kinderkrankenpflege-Ausbildung am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Kiel gerne arbeiten wollte, gab es leider keine freien Stellen. Aber wie manchmal im Leben folgte auf die Enttäuschung ein glückliche Fügung: Ich stieß auf eine Zeitungsanzeige, in der eine Fachkraft für ambulante Kinderpflege gesucht wurde. Ich wollte sowieso gern mit jungen Menschen arbeiten. Und als ich dann auch noch von den geregelten Arbeitszeiten erfuhr – ein Traum im Gegensatz zur Arbeit auf Station – war die Sache für mich schnell entschieden. Die stressigen Nachtdienste, die anstrengenden Wechsel von der Früh- zur Spätschicht beziehungsweise umgekehrt und vor allem der Zeitdruck, die einem kaum mehr als ein paar Minuten pro Patient lässt, haben mich nicht lange zögern lassen, diesen Job anzunehmen. Die Aussicht auf eine 1:1-Betreuung mit ganz viel Raum und Zeit für die jungen Patienten hat sich einfach nur toll angefühlt.
Regelmäßiger Dienst von 7 bis 15.30 Uhr
Momentan betreue ich fünf Kinder, um die ich mich tageweise und manchmal auch am Wochenende abwechselnd kümmere. Wir wechseln uns in der Betreuung ab, damit alle in unserem Pflegeteam einen regelmäßigen Kontakt zu allen Kindern haben, der auch über einen langen Zeitraum so beibehalten werden kann. Von sieben Uhr morgens bis 15.30 Uhr am Nachmittag bleibt genug Zeit für eine sehr intensive und vor allem individuelle Betreuung. Es kommt hierbei vor allem darauf an, den Tag zu gestalten und den Kindern eine gewisse Struktur zu geben, die zu ihnen und zur ihrer Befindlichkeit passt. Das heißt, ich schaue morgens erst einmal, wie es dem Kind geht und was es heute braucht. Das ist wichtig, denn die Bedürfnisse der Kinder sind recht unterschiedlich, ebenso wie die Schwere der Krankheit. Viele meiner jungen Patienten können nicht sprechen, sind körperlich und/oder geistig behindert. Aber es ist etwa auch ein Diabetes-Kind, das die Kita besucht und dort Betreuung benötigt dabei.
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Eltern sind in gewisser Weise auch Patienten
Die Geschichten der einzelnen Kinder sind meist sehr berührend, manchmal aber auch belastend. Wie zum Beispiel ein Kind, das mit geistiger und körperlicher Behinderung zu früh auf die Welt kam, weil die Mutter drogenabhängig war. Glücklicherweise hat sich eine Pflegefamilie gefunden, die es liebevoll aufgenommen hat. Und da kommt dann auch noch die andere Komponente meines Jobs ins Spiel: die Arbeit mit den Eltern. Sie befinden sich, je nach dem Grad der Einschränkungen des Kindes, in einer, teilweise auch sehr intensiven Belastungssituation, die eigentlich nie endet.
Bei jedem Infekt, bei jeder Verschlechterung des Gesundheitszustandes geht das Bangen los. Das verlangt mir ein hohes Maß an Elternarbeit ab.
Und es ist ja nicht nur der oft sehr hohe Betreuungsbedarf an sich. Hinzukommen die ständigen Sorgen und die Angst um das Kind, was in manchen Fällen eine noch viel größere Bürde darstellt. Bei jedem Infekt, bei jeder Verschlechterung des Gesundheitszustandes geht das Bangen los. Das bedeutet für mich, nicht nur für die Kinder da zu sein und den jeweiligen Zustand richtig einzuschätzen: Es verlangt mir auch eine Menge Verantwortung und ein hohes Maß an „Elternarbeit" ab. Es ist recht kurios, denn während meiner Arbeit auf Station – ich habe ja erst die allgemeine Pflegeausbildung absolviert – bedeutete Angehörigenarbeit immer der Kontakt mit den Kindern der Patienten. Heute ist es genau umgekehrt. Und das ist etwas ganz anderes. Die meisten Kinder sind unter 18. Viele Eltern wissen, dass ihre Kinder früh – also vor ihnen – sterben werden. Deshalb kümmere ich mich nicht nur um die Kinder, sondern begleite auch die Eltern, wir führen Gespräche, es gibt einen ständigen Austausch, oft muss ich sie regelrecht auffangen.
Die regelmäßige Supervision tut mir gut
Das ist zwar auf eine Art erfüllend und gehört zu meiner Arbeit. Mitunter ist es aber auch schon sehr belastend. In diesem Zusammenhang tut mir die regelmäßige Supervision gut. Auch habe ich ein super Verhältnis zu meiner Chefin. Sie hat immer ein offenes Ohr für Probleme oder wenn mir oder uns etwas zu schaffen macht. Da sie ebenfalls, wie wir alle im Team, einen genauen Einblick in die jeweiligen Familienverhältnisse und den gesundheitlichen Zustand der Kinder hat, kann ich mich in allen Belangen an sie wenden, und wenn nötig, auch Rat und Unterstützung bekommen.
Das gleicht oftmals den fehlenden direkten Austausch mit meinen Kollegen aus, die ich nur selten sehe. Die Treffen sind in der Pandemie noch seltener geworden, weil auch die gemeinsamen Supervisions-Termine nur noch telefonisch stattgefunden haben. Allerdings: Der stetige und intensive Kontakt mit den Eltern hilft über die mangelnde Kollegennähe hinweg.
Oft fehlen Hilfsmittel – das macht die Arbeit anstrengend
Obwohl ich ja noch sehr jung bin und diesen ambulanten Job noch nicht allzu lange mache, denke ich natürlich manchmal über die Zukunft nach. Denn eines ist für mich ganz klar: Rein körperlich kann ich diese Arbeit nicht ewig machen. Die Arbeit ist anstrengend, weil die Kinder oft erst ab einem Gewicht von 25 Kilogramm von der Krankenkasse einen Lifter erstattet bekommen. Bis die Kinder dieses Gewicht erreichen, müssen wir die Transfers aus eigener Kraft stemmen. Viele Kinder können auch nicht mithelfen, weil sie kaum Muskeltonus haben. Hinzu kommt: Wenn das Haus noch nicht behindertengerecht umgebaut ist, müssen wir kleine Kinder oft ins Erdgeschoss tragen. Auch ein Spaziergang kann körperlich anstrengend sein, denn so ein Rollstuhl wiegt mit allen Notfallgeräten wie Absaugung, Beatmung, Sauerstoff und Notfalltasche plus Kind schon gern einmal 70 bis 120 Kilogramm. Sicherlich lässt sich ein Motor einbauen, aber das bedeutet auch immer viel Hin und Her mit der Krankenkasse.
Letztlich wäre es, glaube ich, für mich sehr naheliegend, später in die Elternberatung zu wechseln. Ich sammele derzeit so viel Erfahrung und Fachwissen, dass ich bald eine perfekte Grundlage für die Beratung habe. Wenn Eltern über Jahre hinweg ein derart krankes Kind betreuen, brauchen sie selbst irgendwann Hilfe. Diese Unterstützung zu leisten, könnte ich mir für mich gut vorstellen.
Die Nähe zu den Kindern ist ein wunderbares Geschenk
Oft fragen mich andere, was das Besondere an meiner Arbeit ist. Da gibt es für mich eine ganz klare Antwort: Vor allem die Nähe, die zu den Kindern entsteht, ist jeden Tag aufs Neue ein wunderbares Geschenk für mich. Es macht diese Arbeit so wertvoll, wenn ich zum Beispiel mit einem der Kinder kuscheln und ihm Kinderlieder vorsingen kann, und es mich am Ende des Tages mit einem strahlenden und dankbaren Lächeln verabschiedet.
Protokoll: Nina Sickinger