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Pflege und Politik

Zähes Ringen um Pflegeberufereform hält an. Start erst 2020?

Beobachter und Eingeweihte erwarten, dass die Reform erst 2020 in Kraft tritt und der neue Bundestag die Ausbildungs- und Prüfverordnung erst 2018 beschließt.

Um Pflegeschulen, Träger und Bundesländer nicht mit der Umsetzung der schwierigen Ausbildungsreform für alle Pflegeberufe zu überfordern, setzen „wichtige Meinungsbildner“ in den Regierungsfraktionen darauf, den Start der Reform von 2019 auf 2020 zu verschieben, berichten gewöhnlich gut unterrichtete Kenner des Berliner Politikbetriebs.

Da viele Details in der notwendigen Ausbildungs- und Prüfungsverordnung noch strittig oder offen sind, halten es die meisten Experten für sinnvoll, die folgenreiche Verordnung besser vom nächsten Bundestag in der ersten Jahreshälfte 2018 auf den Weg bringen zu lassen. Ein Fachmann zu pflegen-online.de: „Dann bleibt einfach mehr Zeit zur Vorbereitung und Abstimmung in den beteiligten Ministerien, denn Genauigkeit geht bei derart weitreichenden Änderungen vor Schnelligkeit.“

Der Fahrplan der Regierungskoalition steht inzwischen fest: Das Pflegeberufereformgesetz wird kurz vor der Sommerpause am Donnerstag, 22. Juni, in zweiter und dritter Lesung vom Bundestag beraten und beschlossen. Auch die Änderungsanträge von Bündnis 90/Die Grünen und der Linken behandelt das Parlament dann. - Das Plenum des Bundesrats kann die Ausbildungsreform für beruflich Pflegende dann frühestens am Freitag, 7. Juli, absegnen oder nach den Ferien am Freitag, am 22. September, was ausreichen würde.

Ausschuss lehnt erneute Anhörung ab

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Als „mühsam und anstrengend“ hatten Abgeordnete die jüngste Zusammenkunft des Gesundheitsausschusses erlebt. Sage und schreibe 38 Seiten Änderungsanträge zum langwierig ausgehandelten Kompromiss zur generalistischen Pflegeausbildung lagen ihnen am Mittwoch, 31. Mai, zur letzten Beratung vor. Doch angesichts der nötigen Eile im Gesetzgebungsverfahren lehnten die Vertreter von CDU/CSU und SPD den Wunsch der Grünen nach einer erneuten Anhörung zu den Details ab.

Grüne und Linke sahen durch die Änderungsanträge viele Fragen aufgeworfen, die sich im Ausschuss nicht mehr klären ließen. Aus ihrer Enttäuschung machte die pflegepolitische Sprecherin der Grünen, Elisabeth Scharfenberg, gegenüber Pressevertretern keinen Hehl: „Trotz der zweimal verlängerten Sitzung konnten oder wollten Union und SPD und auch die Vertreter des Gesundheitsministeriums zentrale Aspekte nicht erörtern." Für unklar hält sie beispielsweise, warum die generalistische Pflegeausbildung für alle Absolventen stets möglich sein soll, die Altenpflegeausbildung aber nur für Azubis, die sich bereits zu Ausbildungsbeginn für einen sogenannten „Vertiefungsansatz“ entscheiden.

Nunmehr soll der Bundestag 2018 z. B. das Recht erhalten, nochmals zur Ausbildungs- und Prüfungsordnung für die neuen generalistischen Ausbildungsgänge bzw. für die wählbaren alten Abschlüsse in der Alten- und in der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege Stellung zu nehmen. Allerdings würden die Folgen nicht näher beschrieben, wenn das Parlament womöglich diese Verordnung ablehnt, meinen Kritiker. Behandelt der Bundestag aber die Ausbildungs- und Prüfverordnung nicht innerhalb von drei Sitzungswochen, habe er kein Mitwirkungsrecht mehr und die Verordnung gehe unverändert dem Bundesrat zu.

Was bislang fest steht

Einige Eckpfeiler des Kompromisses zur Pflegeberufereform haben sich laut Erwin Rüddel, dem zuständigen Berichterstatter der Unionsfraktion, und anderen derweil geändert:

  • Anders als bislang vorgesehen, sollen Auszubildende sowohl in der ambulanten als auch der stationären Altenpflege künftig wählen können, ob sie sich für eine komplett generalistische Ausbildung über drei Jahre oder für das „2 plus 1-Modell“, also für zwei Jahre Generalistik und eine Spezialisierung in der Altenpflege im dritten Ausbildungsjahr, entscheiden.
  • Da die Ausbildungs- und Prüfungsverordnung „der Schlüssel für den Erfolg des Gesetzes“ sei, entschied sich die Koalition dafür, erst den neuen Bundestag über diese folgenreiche Verordnung möglichst in der ersten Jahreshälfte 2018 abstimmen zu lassen.
  • Weil die Bundesländer anschließend noch ihre spezifischen Ausbildungscurricula formulieren müssen, werde das gesamte Gesetz erst 2020 in Kraft treten können.
  • Ausdrücklich will die schwarz-rote Regierungskoalition laut Rüddel im Gesetz festschreiben, dass „ein Hauptschulabschluss die Basis für einen Ausbildungsabschluss“ in der Pflege darstelle. Das war bislang nur in der Gesetzesbegründung festgehalten.
  • Nach dem neuen Zeitplan werten Gesundheits- und Familienministerium erst 2025 aus, wie viele Nachwuchskräfte sich für die getrennten Ausbildungen in Alten- und Gesundheits- und Kinderkrankenpflege und wie viele sich für die Generalistik mit Vertiefung in diesen Bereichen entschieden haben. Haben dann z. B. mehr als die Hälfte der Azubis den generalistischen Abschluss mit einem der beiden Schwerpunkte gewählt, kann der Bundestag frühestens 2026 die eigenständigen Abschlüsse in der Alten- und in der Kinderkrankenpflege abschaffen. - Laut Rüddel müsse sich das Parlament bei seiner Entscheidung dann aber nicht an den vorliegenden Zahlen orientieren, denn das Justizministerium habe Bedenken gegen eine solche Regelung.
  • Unangetastet blieben alle Regelungen zur Akademisierung der Pflege, die viele Pflegeverbände und der Deutsche Pflegerat stets verlangt hatten, um die Pflege in Deutschland endlich wie in vielen anderen Ländern aufzuwerten. Über Bachelor- und Masterabschlüsse werden Nachwuchskräften zweite Zugänge zur Pflegepraxis garantiert. Allerdings qualifizieren sich Studienabsolventen in der Regel nur über Masterabschlüsse für einen raschen Einstieg in Führungssaufgaben z. B. als Pflegedienstleitungen in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen.
  • Finanziert werden alle künftigen Ausbildungswege über einen gemeinsamen Ausbildungsfonds. Dadurch entfällt das Schulgeld in der Altenpflege. Davon verspricht sich die Große Koalition größtmögliche Entscheidungsfreiheit für Azubis ohne finanzielle Hürden.
  • Entgegen den bisherigen Plänen wird es keine bundeseinheitliche zweijährige Pflegeassistenzausbildung geben, denn die notwendigen Curricula sollen weiterhin die Bundesländer ausarbeiten. Mit dieser Lösung räumte die Koalition verfassungsrechtliche Bedenken aus dem Weg, der Bund greife in Länderkompetenzen in Bildungsfragen ein. Sehr wohl hält die Regierungsmehrheit an der zweijährigen generalistischen Ausbildung für Pflegeassistenzen fest, um bei Interesse deren Weiterqualifikation zu examinierten Pflegefachfrauen und -männern zu ermöglichen. Wie berichtet, hatten sich der Deutsche Pflegerat (DPR) und die Deutsche Krankenhausgesellschaft für eine eigenständige bundeseinheitliche Ausbildung für Pflegeassistenzen eingesetzt. Denn Pflegeassistenzen würden Generalistik-Ausbildungsplätze von notwendigem qualifizierteren Berufsnachwuchs für Krankenhäuser blockieren.
  • Die einjährigen Ausbildungen für Altenpflegehilfen der Länder sollen unangetastet bleiben.

DPR-Präsident Andreas Westerfellhaus hofft nun, dass das „unwürdige Schauspiel um die Zukunft der Pflegeausbildungen in Deutschland endlich beendet wird“. Der Deutsche Pflegerat sollte federführend an der Planung der Ausbildungs- und Prüfungsordnung beteiligt werden, wünschen sich er und die Seinen. Ausblick des Pflegeratspräsidenten: „Wir brauchen endlich ein schlüssiges Gesamtbildungskonzept für alle Bereiche und Qualifikationsstufen in den Pflegeberufen, das Weiterbildungsqualifikationen mit einschließt.“ Zum Beispiel zweijährig ausgebildete Pflegeassistenzen würden in anderen EU-Ländern nicht anerkannt.

Uwe Lötzerich, UL Fachredaktion Gesundheit + Pflege

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