pflegen-online: Herr Dr. Poppinga, seit August 2021 zahlen Sie Intensiv-Pflegekräften zwischen 300 und 600 Euro mehr Brutto-Gehalt – das klingt gigantisch. Wie finanzieren Sie das? Klar, seit 2019 gibt es für Krankenhäuser keinen Grund mehr bei der Pflege zu knausern: Die Ausgaben für Pflegepersonal sind aus dem DRG-System ausgegliedert. Alle Stellen in der Pflege werden jetzt aus einem nahezu ungedeckelten Pflegebudget finanziert – allerdings nur solange sie nicht aus dem Tarifgefüge fallen.
Alexander Poppinga: Das ist genau der Knackpunkt: Wir fallen nicht aus dem Tarifgefüge. Wir haben unseren Tarifvertrag mit Verdi, und wenn es um die Ärzte geht, mit dem Marburger Bund verhandelt. Es ist unser Haustarifvertrag, unsere Intensiv-Pflegekräfte werden also nicht AT, nicht außerhalb des Tarifs bezahlt. Dass wir als konfessionelles Haus aber die Möglichkeit haben, einen eigenen Tarifvertrag zu verhandeln, ist unser großer Vorteil. Die kommunalen Krankenhäuser müssen sich innerhalb des TVöD- Gefüges bewegen.
Als Vorstand des Evangelischen Krankenhauses Oldenburg möchte auch ganz klar sagen: Pflegekräfte besser zu bezahlen, ist absolut politischer Wille. Unsere tarifliche Leistung muss von den Kostenträgern, den Krankenkassen refinanziert werden, sie sind gesetzlich dazu verpflichtet.
Und wie machen Sie das innerhalb des Tarifvertrags: Zahlen Sie 600 Euro Intensivzulage?
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Nein, wir zahlen 150 Euro Intensivzulage analog zum TVÖD und zusätzlich Summe X. Die Summe von bis zu 600 Euro setzen sich aus diversen Variablen zusammen, die die P-Tabelle und die Eingruppierung betreffen. Es ist ein sehr komplexes Gefüge, das regelmäßig nachjustiert werden muss. Es wäre an dieser Stelle zu kompliziert, das zu erklären.
Einmal ganz naiv gefragt: Warum machen Sie das?
Wir möchten unsere engagierten Mitarbeiter auf Intensivstationen einfach besser bezahlen und natürlich auch wechselwillige Intensiv-Pflegekräfte überzeugen, zu uns zu kommen. Es ist uns ein Anliegen, etwas für Intensiv-Pflegekräfte zu tun. Sie sind hochqualifiziert und tragen extrem viel Verantwortung. Sie sind ja oft auch diejenigen, die die jungen Ärzte auf Intensivstation einarbeiten.
Aber auch im TVöD verdienen Intensiv-Pflegekräfte schon mehr als Kollegen auf Normalstationen. Kommt bei der enorm hohen Summe nicht Neid auf?
Für Verdi und die Mitarbeitervertretung war der große Gehaltsunterschied anfangs tatsächlich ein Problem. Aber am Ende haben wir es doch vereinbaren können.
Und was den Gehaltsunterschied hier im Haus angeht: Für den einen oder die andere ist er vielleicht ein Anreiz, auf die Intensivstation zu wechseln.
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Haben sich schon erste Erfolge gezeigt? Kommen seit August mehr Bewerbungen für ihre Intensivstation?
Ja, das spricht sich rum. Wir haben seit Sommer elf zusätzliche Pflegekräfte für unsere Intensivstationen mit ihren 50 Plätzen gewinnen können – insgesamt haben wir übrigens über 100 Monitorbetten. Eine Intensivpflegerin ist beispielsweise von der Uniklinik Jena zu uns gewechselt, eine andere von der Uniklinik Würzburg.
Seit Mitte Februar läuft zusätzlich eine große Kampagne: In Niedersachsen machen wir auf Großwerbeflächen auf unsere Intensivstationen mit Schwarz-Weiß-Fotos von unseren Pflegefachkräften aufmerksam – und das mit dem Slogan „Weil du mehr verdienst“.
Warum ist es eigentlich so schwer, Pflegekräfte für die Intensivstation zu finden? Immerhin hat die Arbeit Prestige, ist anspruchs- und verantwortungsvoll und wird – wie gesagt – schon unter normalen Umständen besser bezahlt.
Da gibt es ein ganzes Bündel Gründe: Allen voran ist es die gestiegene Belastung. Auch mit der Pflegepersonaluntergrenzen kommt es vielerorts immer noch vor, dass eine Intensiv-Pflegekraft drei statt zwei Patienten versorgt – und das ist mit den eigenen Ansprüchen, die man an seine Tätigkeit stellt, einfach nicht vereinbar. Hinzu kommen die vielen ethischen Fragen, die sich auf den Intensivstationen fast täglich stellen. So fragen sich dann viele Intensivfachkräfte mit der Zeit, ob sie die nächsten Jahre wirklich so weiterarbeiten möchten. Und diese Zweifel wollen wir erst gar nicht aufkommen lassen, indem wir ausreichend Personal für unsere Intensivstationen gewinnen und die Kernkompetenzen der Pflegekräfte stärken.
Interview: Kirsten Gaede
Über das Evangelische Krankenhaus Oldenburg
Die Universität Oldenburg beitreibt zusammen mit der niederländischen Universität Groningen das European Medical School Oldenburg-Groningen (EMS) – und das Evangelische Krankenhaus ist eine der vier Unikliniken in Oldenburg (neben dem katholischen Pius-Hospital, dem Klinikum Oldenburg und der Karl-Jaspers-Klinik). Alle vier Krankenhäuser haben ihre eigene, voneinander abgegrenzten Schwerpunkte – zu denen des Evangelischen Krankenhauses (417 Betten) zählen etwa die Traumatologie und die Versorgung von Covid-Patienten; es gibt hier auch die ECMO-Beatmung, die extrakorporale Membranoxygenierung, bei der das Blut außerhalb des Körpers mit Sauerstoff angereichert wird.
Vorstand Alexander Poppinga ist Notfallmediziner und Gesundheitsökonom.