Wenn Bekannte erfahren, dass Alexander Heße in einer forensischen Klinik arbeitet, kommen meist Fragen wie: „Was ist das schlimmste Delikt, das bei euch verbrochen wurde?“ Oder: „Habt ihr Waffen, um euch zu verteidigen?“ Es ist eine Mischung aus Vorurteilen und Voyeurismus, die ihm oft begegnet. Dabei gebe es – selbstverständlich – weder Elektroschocker noch Gummiknüppel in der Klinik, sagt Heße. „Unser Werkzeug ist die Beziehungsarbeit. Die größte Sicherheit erreichen wir, indem wir eine gute Beziehung zum Patienten aufbauen.“ Darüber lasse sich frühzeitig erkennen, ob ein Patient angespannt ist, aggressiv wird oder Frühwarnzeichen einer Psychose entwickelt. So könne eine Eskalation oftmals schon im Vorfeld vermieden werden.
Häufigste Diagnosen auf K1: Schizophrenie und affektive Psychose
Alexander Heße arbeitet seit zwölf Jahren in der Klinik Nette-Gut für Forensische Psychiatrie. Der Fachkrankenpfleger für Psychiatrie ist auf der Station K1 tätig. Hier sind Patienten untergebracht, die straffällig geworden sind aufgrund einer psychischen Erkrankung, aber nicht oder nur vermindert schuldfähig sind. Der juristische Begriff dafür lautet: Maßregelvollzug.
Auf der K1 sind meist Menschen mit Schizophrenien oder affektiven Psychosen untergebracht. Einige hören Stimmen oder leiden unter wahnhaften Vorstellungen, manche sind intelligenzgemindert oder haben Doppeldiagnosen. Auch Demenz und ähnliche Erkrankungen kommen vor. Unterschiedliche Delikte haben zur Einweisung in die forensischen Psychiatrie geführt. Sie reichen von Körperverletzung über Sexualdelikte bis zu Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz.
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Wenn in der Akte CAVE! steht
„Für die Pflege ist das Delikt erst mal irrelevant“, sagt Heße. „Es zählt die psychische Erkrankung und ob der Patient sich auf eine Therapie einlassen kann.“ Manchmal spiele das Delikt allerdings doch eine Rolle. „Wenn Patienten zum Beispiel nur gegen Frauen gewalttätig geworden sind, haben wir bei einigen einen CAVE!-Vermerk in der Akte: keine Einzelaktivitäten mit Frauen“, sagt Heße. Oder wenn ein Patient Brandstiftung begangen habe, müsse entschieden werden, wann und unter welchen Voraussetzungen er wieder ein eigenes Feuerzeug nutzen kann.
Entscheidungen wie diese werden gemeinsam im multiprofessionellen Team getroffen. Diesem gehören Pflegefachpersonen, Heilerziehungspfleger, Pflegehelfer, Ärzte und Fachärzte, Psychologen und Sozialarbeiter an. „Ein einheitliches Vorgehen ist in diesem Bereich enorm wichtig, damit Patienten die Mitarbeitenden nicht gegeneinander ausspielen“, betont Heße. Deshalb sollten alle an einem Strang ziehen. Dazu werden regelmäßige Teambesprechungen, Super- und Intervisionen durchgeführt.
Nach sechs Monaten therapiebereit
Der Weg in der Klinik Nette-Gut beginnt für die Patienten auf der Aufnahmestation. Hierhin kommen sie in der Regel – meist auf eine richterliche Anordnung – direkt nach dem Delikt. „In dieser Phase sind die Patienten oft noch akut psychotisch und häufig aggressiv“, sagt Heße. Deshalb sei die Anzahl der männlichen Pflegekräfte hier höher als auf anderen Stationen, auch der Personalschlüssel liege höher.
Bis die Patienten von diesem „Hochsicherheitsbereich“ auf eine weiterführende Station wie die K1 kommen, vergehe oft ein halbes bis ein Jahr. „In der Regel werden sie erst dann verlegt, wenn sie rechtskräftig zum Maßregelvollzug verurteilt wurden. Bis dahin sind sie meist auch medikamentös eingestellt und therapiebereit“, sagt Heße.
Bis zur ersten Lockerung vergehen meist Jahre
Therapieziele, die angestrebt werden, sind zum Beispiel, dass der Patient sich an Absprachen hält, eine sinnvolle Tagesstruktur einhält und bei der Therapie mitarbeitet. Auch eine Krankheitseinsicht und ein Einlassen auf Beziehungen sind als Therapieerfolge zu werten. In der Klinik Nette-Gut hat jeder Patient eine Bezugspflegeperson und einen Bezugspflegetherapeuten. Um die Patienten bestmöglich zu fördern, erstellt das Team detaillierte individuelle Behandlungspläne.
Ein wichtiger Therapiebaustein in der forensischen Psychiatrie ist ein Lockerungssystem, das von den einzelnen Bundesländern vorgegeben wird. Darin sind bei erfolgreicher Therapie nach und nach Lockerungen für den Patienten vorgesehen – vom begleiteten Ausgang mit einer Betreuungsperson über den Ausgang mit Mitpatienten bis zum Einzelausgang, später dann eine Probeübernachtung und Beurlaubung. Damit werden die Entwicklungsfortschritte in der Therapie schrittweise erprobt – auch das ist ein wichtiger Sicherheitsaspekt. „Bis dahin ist es aber ein langer Prozess“, weiß Heße. Die meisten Patienten verbleiben viele Jahre auf der K1.
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Es geht vor allem um eine professionelle Beziehung zum Patienten
Alexander Heße hat direkt nach seiner Ausbildung in der Klinik Nette-Gut begonnen. Damals hatte ihm ein Bekannter die forensische Klinik empfohlen. „Dort werden immer Männer gesucht“, sagte dieser zu ihm. „Und tatsächlich liegt die Männerquote in der Klinik bei rund 50 Prozent“, sagt Heße – für die Pflege sei das erstaunlich hoch. Das hänge auch damit zusammen, dass in jeder Schicht mindestens ein Mann anwesend sein müsse. Grundsätzlich arbeiten auf der Station K1 bei gut 30 Patienten rund drei bis vier Pflegekräfte pro Schicht. Mindestens eine davon müsse eine Pflegefachkraft sein.
Wer sich für den Bereich forensische Pflege interessiert, sollte wissen: „In der Forensik läuft fast alles anders als auf einer somatischen Station“, sagt Heße. „Wir konzentrieren uns neben der psychopathologischen Beobachtung hauptsächlich darauf, eine professionelle Beziehung zu den Patienten aufzubauen.“ Dazu brauche es viel Wissen über psychische Erkrankungen. Auch müsse man in der Lage sein, situativ schnelle Entscheidung zu treffen. Hilfreich sei ein juristisches Basiswissen, um die Abläufe in der Forensik nachvollziehen zu können. Heße empfiehlt seinen jungen Kollegen immer: „Kommt erst mal in Ruhe an und gebt euch Zeit, diesen Bereich wirklich kennenzulernen.“
Hier werden Patienten über Jahre begleitet
Heße hat seine Entscheidung, in die forensische Psychiatrie zu gehen, nie bereut. Er schätzt besonders, dass er die Patienten über viele Jahre begleiten und somit auch die Erfolge der Therapie sehen kann. „Dadurch kann man eine Entwicklung sehr gut beobachten und die Beziehung gestalten. Das macht die Arbeit sehr wertvoll für mich“, sagt Heße. Für ihn ist es ein besonderes Erfolgserlebnis, wenn es Patienten gelingt, auf dem ersten oder zweiten Arbeitsmarkt wieder eine Stelle zu finden, und sie in ein selbstständiges Leben zurückfinden. Einige halten dann auch weiter Kontakt zu den Mitarbeitenden oder Mitpatienten. Aussicht auf Erfolg bestehe grundsätzlich bei jedem Patienten, sagt Heße. „Einige brauchen jedoch viele Jahre Therapie, bevor es ‚Klick‘ macht.“
Text: Brigitte Teigeler
Der Artikel erschien zuerst im Magazin der Pflegekammer Rheinland-Pfalz