Leah Weigands Welt ist das Krankenhaus. Doch sie hat schon immer gern geschrieben vor allem über das, was sie dort, im Krankenhaus, erlebt. 
Foto: Luca Motz
Leah Weigands Welt ist das Krankenhaus. Doch sie hat schon immer gern geschrieben vor allem über das, was sie dort, im Krankenhaus, erlebt. 

Pflege als Beruf

Wie eine Poetry Slammerin Pflegekräfte zu Tränen rührt

Leah Weigand ist Gesundheits- und Krankenpflegerin, Medizinstudentin und Poetry Slammerin. Ihr Video „Ungepflegt“ haben mehr als 2,6 Millionen Menschen gesehen

„Oh krass, du arbeitest in der Pflege, ich könnte das ja nicht …“

Das Video schlägt hohe Wellen auf Social Media und im NDR-Fernsehstudio brandet bei „3nach9“ frenetischer Applaus auf, als Leah Weigand ihren Text „Ungepflegt“ beendet. Er ist beides: aufrüttelnde Kritik an den Arbeitsbedingungen im Krankenhaus und eine warmherzige Hommage an den Pflegeberuf. 26 Jahre alt ist Leah Weigand, sie lebt in Marburg. Nach der Schule hat sie als Pflegeassistentin gearbeitet und anschließend eine Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin absolviert. Die Liebe zum Pflegeberuf hat sie in den Genen: Ihre Eltern arbeiten beide in der Pflege.

Leah Weigand hat aber auch schon immer gern geschrieben. „Wenn ich schreibe, verarbeite ich meine Erlebnisse, finde zu mir selbst“, sagt sie. 2017 schlug ein Freund ihr vor, an einem Poetry Slam teilzunehmen und sie merkte: Sie fühlt sich auf der Bühne wohl, obwohl sie keine Rampensau ist und sich selbst als eher introvertiert bezeichnet. Die Bühnen-Leah erzählt Geschichten aus ihrem Alltag, konkret, rau, herzergreifend. So auch in „Ungepflegt“, dem Text über die Arbeit auf Station. Doch diese enorme Reaktion – damit hatte sie nicht gerechnet.

„Ich werde gekniffen, bespuckt und berotzt, ich bin manchmal ganz unmetaphorisch angekotzt, habe mich verrenkt und verhoben …“

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Der Text ging viral, hatte schnell über tausend Likes, tausende Menschen kommentierten ihn, fühlten sich angesprochen, berührt, bestätigten ihre Worte. Sarah S. schreibt: „Da kommt man grad vom Nachtdienst und hört diesen tollen Slam, der die Nacht wunderbar beschreibt. Und man muss weinen.“ Gerti G. kommentiert: „Mir hat es Tränen in meine Pflegeaugen gedrückt, voll aus der Seele.“

Leah Weigand: „Ich wollte mir mein Erlebtes von der Seele schreiben“

Unter dem Video, das von Poetry Slam TV online gestellt wurde, hatte sich schnell eine Community von Pflegefachkräften gebildet, die sich untereinander austauschen. Aber auch Lucia E., die in einem Krankenhaus putzt, fühlt sich in ihrer Sicht auf den Alltag der Pflegekräfte bestätigt, ebenso Angehörige mit Mutter oder Vater in einem Pflegeheim und solche, die Missstände in der Pflege schon lange anprangern. „Ich hatte den Text ohne Intention geschrieben, für mich, um mir mein Erlebtes von der Seele zu schreiben“, sagt Leah Weigand gegenüber pflegen-online. Sie ist tief berührt, so viel Anklang zu finden. „Für mich als Texterin ist es das schönste Kompliment, dass viele Menschen schreiben, dass ich ihnen eine Stimme gegeben habe, weil ihnen die Worte fehlen.“ Über 2,7 Millionen Mal wurde ihr Video allein auf diesem Kanal aufgerufen, über 4.000 Menschen haben es kommentiert, fast 70.000 haben den Beitrag geliked.

„Wir werden geduzt, belästigt und gnadenlos ausgenutzt. Nicht nur einmal habe ich mir gewünscht, dass der Tag nie begonnen hätte ...“

Leah Weigand erzählt auch davon, wie sie bespuckt wird

Leah Weigand beschreibt den Alltag der Pflegefachkräfte, erzählt wie sie von Patienten belästigt, von Patientinnen bespuckt werden. Sie thematisiert die Schattenseite des Berufs, den so viele mit Liebe ausüben, der aber nicht immer ausreichend gewürdigt wird. „Schlechte Bezahlung ist nicht vorrangig das Problem, warum der Beruf vielen zu unattraktiv erscheint“, sagt sie. „Es sind die Bedingungen, Personalmangel und die fehlende Zeit, sich den Patientinnen und Patienten zu widmen.“

„Aber ich hab auch schon 100 Jahre alte Hände gehalten (…) Hab in erleichterte Gesichter und dankbare Augen geschaut (…) Mal hörte ich den allerersten Lebensschrei und mal war ich beim letzten Atemzug dabei …“

Dabei habe der Beruf so viele schöne Seiten. Menschen zu begleiten, die das Licht der Welt erblicken, Menschen beizustehen, die die Welt verlassen. „Es ist so wertvoll, Menschen in den letzten Minuten ihres Lebens die Hand zu halten, und es tut so weh, wenn wir dem nicht nachkommen können, weil die Zeit es nicht zulässt“, sagt sie. Wertvoll auch, ihnen in den oft schwersten Stunden ihres Lebens zur Seite zu stehen, wenn sie eine schlimme Diagnose erhalten, und dabei zu sein, wenn sie genesen das Krankenhaus wieder verlassen. All diese Erfahrungen hat sie in ihren Text gepackt.

„Ich lerne, wie man in das Zimmer hineinruft, so schallt es auch meistens zurück. Und manchmal ist eine Minute nur Zuhören das größtmögliche Glück …“

Leah Weigand möchte jetzt noch mehr über den Körper erfahren

Doch wenn sie die guten und die schlechten Erfahrungen in die Waagschale wirft? „Die Schale mit den guten Erfahrungen wiegt schwerer“, sagt sie. Und dennoch hat sie den Pflegeberuf an den Nagel gehängt. Seit einem Semester studiert Leah Weigand Medizin. „Aber die Missstände waren für mich nicht entscheidend, den Beruf zu wechseln“, sagt sie. Sie will noch tiefer in die Materie „Mensch“ eintauchen, noch mehr über den menschlichen Körper erfahren und viel über verschiedene Therapieansätze lernen.

„Ich lerne nicht alles persönlich zu nehmen und weiß, manchmal bleibt nur Humor. Ich lerne meine Meinung zu äußern und dass ich meine Beobachtungen wichtig find, dass Chefärzt*innen keine Götter und nicht unfehlbar sind …“

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„Pflegekräfte dürfen ihre Expertise nicht anwenden“

„Mein ganz großer Traum ist, dass Hierarchien abgebaut werden“, sagt sie. Denn Pflegfachkräfte hätten viel Erfahrung, kennen die Patienten und Patientinnen, ihre Trauer, ihre Schmerzen und ihre Ängste. „Aber wir dürfen unserer Expertise nicht anwenden, sondern nur auf Anweisung der Ärzte handeln.“ Als Ärztin möchte sie anderes agieren: auf Augenhöhe mit den Pflegefachkräften sein und sie nicht als Handlangerinnen der Ärzteschaft sehen. Und noch was: „Den Kontakt zu den Patienten und Patientinnen, möchte ich auf keinen Fall verlieren.“

„Pflege ist existenziell und außerdem toll. Pflegen ist generell und anspruchsvoll. Du sagst, du könntest das ja nicht. Ich sag: Wir auch nicht – nicht so.“

 Autorin: Dagmar Trüpschuch

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In „Vergessenslücken“ gibt die Krankenschwester und Poetry Slammerin aus Marburg der demenzkranken Klara ihre Stimme. Das Stück ist eine Hommage ans Leben und eine Bitte um Vergebung – auch an das Pflegepersonal – für die von Motten zerfressenen Erinnerungsstränge, für das Einnässen, für die ständigen Wortwiederholungen. Viele dieser Texte hat sie auf der  CD „(Nur zur Erinnerung)“ veröffentlicht. Erhältlich über ihre Webseite oder im Buchhandel.

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