Sabrina Roßius steht mit Mikrofon in der Ausstellerhalle des Deutschen Pflegetags am Stand der katholischen Klinikverbunds Alexianer und beschönigt nichts: Sicherlich, die Pflegekräfte wurden nicht irgendwohin versetzt – sie wurden in die Entscheidung, wo sie übergangsweise arbeiten, einbezogen. Auch erfuhren sie von der Schließung ihrer Station nicht zunächst gerüchteweise, wie es leider oft in solchen Fällen passiert. Sie wurden direkt von der Klinikleitung informiert.
Es ist mehr als die übliche Bettensperrung
„Dennoch bleibt es ein einschneidendes Ereignis“, sagt Sabrina Roßius, die in der Pflegedirektion des Krankenhauses Hedwigshöhe in Berlin arbeitet. „Es ist nicht zu vergleichen mit vorübergehenden Stationsschließungen oder Bettensperrungen aufgrund eines infektionsbedingten Ausbruchs: Da haben Teams oder einzelne Kollegen die Station verlassen – aber eben vorübergehend, es war eine Ausnahme. Bei der Schließung der Geriatrie aber blickten wir in viele betroffene Gesichter. Die Kolleginnen und Kollegen sind über Jahre zusammengewachsen, sie fühlen sich teilweise fast so verbunden wie eine Familie – und nun stand fest, dass sie sich ungewollt verabschieden mussten.“
Pflegedirektorin Reimer: „Wir hatten 40 offene Vollkraftstellen“
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Doch warum hat die Geschäftsführung überhaupt entschieden, die geriatrische Station zu schließen? Normalerweise trennen sich Klinikbetreiber nur ungern von Fachgebieten – schließlich beeinträchtigt es den Umsatz, möglicherweise auch das Renommee. Nicht zuletzt gerät ein Krankenhaus oft in ein moralisches Dilemma, wenn es bestimmte Patienten nicht mehr versorgen kann. Manchmal treffen Geschäftsführungen eine solche Entscheidung, wenn sie sich in heftiger Konkurrenz zu anderen Häusern befinden. Das passiert gelegentlich in Ballungsgebieten mit einem Überangebot bestimmter Fachrichtungen. Dann reichen die Patienten für so viele Abteilungen schlicht nicht aus. So haben etwa vor über zehn Jahren die Evangelischen Kliniken Essen Mitte ihre Geburtshilfe geschlossen, weil sie die Abteilung im krankenhausreichen Essen wegen zu geringer Patientinnen-Zahl nicht mehr wirtschaftlich betreiben konnten.
Enorme Erschöpfung durch die Pandemie
Das Krankenhaus Hedwigshöhe hat eine seiner geriatrischen Stationen aus einem ganz anderen Grund geschlossen: Es fehlten zu viele Pflegefachkräfte. „Wir hatten 40 offene Vollkraftstellen. Hinzu kam – kommt im Grunde noch immer: Die Corona-Pandemie hat beim Stammpersonal zu enormer Erschöpfung geführt, teils durch die angespannte Situation bei der Arbeit, teils durch die vermehrten familiären Verpflichtungen zu Hause“, sagt Pflegedirektorin Ann-Christin Reimer. Die offenen Stellen und der gestiegene Krankenstand ließen sich nur dürftig durch Zeitarbeit kompensieren. „Es ist wie im Hamsterrad: Man versucht dann mit viel Mühe den Betrieb aufrechtzuerhalten, doch dabei bleibt die Gesundheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf der Strecke. Die Folge: Es fallen weitere Mitarbeitende wegen Krankheit aus. Dann bemüht man sich um noch mehr Zeitarbeitskräfte …“
Zeitarbeit wurde im Hedwigshöhe Krankenhaus viel zu teuer
Genau diese immer wieder bemühten Zeitarbeitskräfte aber haben die Situation ins Absurde gekehrt: Sie haben die Personalkosten so sehr in die Höhe schießen lassen, dass sich der Betrieb sämtlicher Fachbereiche betriebswirtschaftlich nicht mehr gelohnt hat. „Ich habe nachvollziehbarerweise wegen der Kosten von der Geschäftsführung die Rote Karte gezeigt bekommen. Vor Corona waren die Kosten für Zeitarbeit auch unverhältnismäßig hoch und die Vertragsregeln bereits im Ungleichgewicht, es gab etwa ungleiche Stornierungsbedingungen für Entleiher und Kunden. Deshalb hat 2019 die damalige Gesundheitssenatorin eine Bundesratsinitiative zur Regulierung von Leasingfirmen auf den Weg gebracht“, erklärt Ann-Christin Reimer.
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Arbeitsbedingungen verbessern sich durch die Schließung
Die temporäre Schließung einer geriatrischen Station ist für die Pflegedirektorin also notwendiges Übel, aber auch eine Chance: Es wird mehr Ruhe einkehren durch die zusätzlichen „hauseigenen“ Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die jetzt verteilt sind auf die übrigen Stationen. „Die Arbeitsbedingungen werden sich verbessern – und das ist das beste Rezept gegen den Fachkräftemangel.“
Autorin: Kirsten Gaede