1. Frage: Warum streiken die Berliner Pflegekräfte?
Die Streikenden wollen in zwei Fragen deutliche Verbesserungen. Zum einen geht es um den „Entlastungstarifvertrag“: Er soll einen besseren und einklagbaren Personalschlüssel für Pflegekräfte sichern. Die Krankenhausleitungen schätzen, dass der Entlastungstarifvertrag zehn bis 15 Prozent mehr Mitarbeiter an den Krankenbetten bedeuten würde. Charité und Vivantes müssten mindestens 1.000 Pflegekräfte zusätzlich einstellen.
Zum anderen geht es um ein Thema, das nicht die Pflege betrifft, sondern die Beschäftigten in den sogenannten patientenfernen Bereichen: Die Mitarbeiter der Vivantes-Tochterfirmen für Reinigung, Transport und Küche fordern den besser dotierten Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes, der in den Vivantes-Stammhäusern gilt. Während die Pflegekräfte unbefristet streiken, endet der Streik der Tochterfirmen-Beschäftigten am Samstag.
2. Frage: Wie viele Pflegekräfte machen bei dem Streik mit?
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Verdi meldet für den ersten Streiktag rund 1.000 Streikende. Das heißt: Die Mehrheit der Pflegekräfte streikt nicht, was auch Verdi einräumt, dennoch habe „der Streik erhebliche Auswirkungen auf die Patientenversorgung“ und werde somit Druck auf die Arbeitgeber ausüben.
3. Frage: Welche Folgen hat der Streik für die Berliner Kliniken?
Die Folgen sind massiv. Die Klinikleitungen rechnen mit Einschränkungen der Rettungsstellen. Außerdem muss wohl die kardiologische Versorgung im Berliner Norden eingestellt und „die Notfallversorgung für Schlaganfallpatient*innen abgemeldet und eine erhebliche Zahl von schwerkranken Patient*innen der neurologischen Frührehabilitation aus dem Klinikum Spandau verlegt werden. Auch die akut-psychiatrische Patientenversorgung in Reinickendorf und Neukölln würde über Tage sehr stark eingeschränkt“, so Vivantes in einer Presseerklärung.
4. Frage: Dürfen Pflegekräfte bedingungslos streiken?
Nein. Es gibt Einschränkungen im Streikrecht das zum Beispiel für Lokführer so nicht gilt. So wurde ein dreitägiger Warnstreik in beiden Kliniken von einem Gericht wegen Zweifel an einer reibungslosen Notfallversorgung vorübergehend untersagt. Denn in Krankenhausbetrieben könne ein Streik nur durchgeführt werden, wenn die medizinische Versorgung der Patienten in Notfällen gesichert sei, hieß es in der Entscheidung des Gerichtes.
5. Frage: Werden die Streikenden finanziell unterstützt?
Ja. Verdi zahlt seinen Mitgliedern für den ausgefallenen Lohn ein Streikgeld aus, das in der Regel aber nicht den gesamten Lohnausfall deckt. Außerdem gewährt die Gewerkschaft Rechtsschutz im individuellen Streitfall mit den Arbeitgebern.
6. Frage: Wie viele Pflegekräfte sind gewerkschaftlich organisiert?
Der genaue Organisierungsgrad ist nicht bekannt. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad in der Pflege ist niedrig, sieht man von einigen großen Unternehmen ab. Je nach Einrichtung liegt er im unteren einstelligen Prozentbereich, punktuell, so Schätzungen, kann er auch bis zu 15 Prozent betragen. In vielen Altenheimen ist die Gewerkschaft Verdi nahezu nicht existent.
Weitere Hinweise auf den Organisationsgrad gibt eine Studie des Wissenschaftszentrums Berlin aus dem Jahr 2017 zur Situation der Interessenvertretung in der Altenpflege. Danach bestanden nur in rund zehn Prozent der privaten Pflegeheime gewerkschaftlich organisierte Betriebsräte. Außerdem gaben elf Prozent der 750 befragten Beschäftigten in der Altenpflege an, gewerkschaftlich organisiert zu sein.
Zum Vergleich: Von den Krankenhausärzten und -ärztinnen sind gut über 60 Prozent bei der Spartengewerkschaft Marburger Bund Mitglied. Dieser hohe Organisationsgrad ist ein hauptsächlicher Grund, weshalb die Gehälter der Ärzte in den vergangenen 15 Jahren so stark gestiegen sind.
7. Frage: Wie häufig kommt es vor, dass Pflegekräfte streiken?
Eher selten, obwohl sie immer wieder gute Gründe haben. Pflegekräfte fühlen sich ihren Patienten sehr verpflichtet. In der Berliner Wissenschaftsstudie antworteten 77 Prozent der Befragten, das Streiken für sie bedeutet, ihre Patienten im Stich zu lassen.
Allerdings gab es auch schon einen Streik in einem konfessionellen Krankenhaus, was außerordentlich ungewöhnlich ist, weil es bei kirchlichen Trägern ein grundsätzliches Streikverbot gibt.
8. Frage: Wie reagiert die Politik auf den Streik?
Politik und Parteien halten sich grundsätzlich in diesen Auseinandersetzungen zurück, um nicht auf eine Seite der Konfliktparteien gezogen zu werden. Und: Charité und Vivantes sind Landesbetriebe, somit sitzt der linke, Gewerkschaftsnahe Senat zwischen allen Stühlen. Außerdem – und das weiß natürlich auch Verdi – will es sich keine Partei jetzt mitten in der Corona-Krise und kurz vor den Bundestagswahlen mit den Pflegekräften verscherzen.
9. Frage: Wie lange wird der Streik dauern?
Auch wenn er als „unbefristet“ geplant ist, gehen viele Beobachter davon aus, dass er in den nächsten Tagen beendet wird. Auch die Gewerkschaft. Man sei sich mit Vivantes darüber einig, „dass es nachhaltige Veränderungen im Pflegebereich und im gesamten Gesundheitssystem geben muss. Hierzu möchte Vivantes auch mit Verdi und der Politik auf Landes- und Bundesebene in die Diskussionen gehen“, heißt es bei Verdi.
10. Frage: Wie kommt der Streik bei den Patienten und den Ärzten an?
Viele Patienten bei Vivantes und in der Charité solidarisieren sich mit den Pflegekräften. Und den Präsidenten der Berliner Ärztekammer, den Internisten Peter Bobbert zitiert der Berliner „Tagesspiegel“ mit diesen Worten: „„Wenn man jahrelang den falschen Weg gegangen ist, lässt sich das nicht in wenigen Wochen korrigieren. Die Arbeitsbedingungen – nicht nur, aber gerade – in der Pflege sind oft schlecht. Den Pflegekräften gilt unsere volle Solidarität.“
Autor: Hans-Georg Sausse