Die an Demenz leidende Mutter beginnt nachts durch die Wohnung zu laufen, schiebt Möbel umher, die Nachbarn beschweren sich. Die Nerven der Tochter liegen blank, sie kann nicht rund um die Uhr auf ihren demenzkranken Vater aufpassen. Der 87-jährige Herr hat eine leichte, beginnende Demenz, die sich nun nach einer OP rapide verschlechtert. Dies sind drei von Dutzenden Situationen, wie sie Demenzkranke und ihre Angehörigen häufig erleben.
Seit Kurzem gibt es in Deutschland eine Weiterbildung, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer befähigt, gerade in solchen Situationen Menschen mit Demenz und dren Angehörige durch den Versorgungsdschungel zu lotsen: Die Weiterbildung zur Dementia Care Nurse (kurz DCN). Entwickelt hat die Qualifikation das Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaft der Medizinischen Fakultät der Martin-Luther-Universität in Halle-Wittenberg. Seit 2022 bietet die Halle School of Health Care die Weiterbildung an. Dr. Anja Bieber, Modulverantwortliche in der Weiterbildung beim Universitätsklinikum Halle erklärt: „Es ist eine Zusatzqualifizierung für beruflich oder ehrenamtlich tätige Personen im Feld der Pflege und Versorgung bei Demenz. Nach der Weiterbildung kann man insbesondere im Bereich Beratung und Begleitung arbeiten.“
Angehörige und Demenzkranke werden zu wenig unterstützt
Ein Schwerpunkt sei die Beratung von zu Hause lebenden Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen. Das kennt Teilnehmerin Doris Wilhelmstroop schon aus ihrer täglichen Arbeit. Die stellvertretende Stationsleiterin arbeitet auf einer gerontopsychiatrischen Station mit Schwerpunkt Demenz. „Die Weiterbildung mache ich, weil ich im Alltag immer wieder erlebe, wie wenig Unterstützung die Angehörigen haben. Und wie viele Aufnahmen ins Klinikum verhindert werden könnten, wenn Hilfe da wäre.“
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Es ist sicherlich nicht die erste Demenz-Fortbildung in Deutschland. Es finden sich inzwischen zahlreiche Angebote etwa die „Fachkraft für Geriatrie und Demenz“ im Bildungszentrum Schlump und dem Marienkrankenhaus Hamburg. Auch gibt es noch die Weiterbildung „Demenz-Coach“ von der Deutschen Alzheimergesellschaft und der ZAB oder die „Demenz-Fachkraft“ von der PPM-Akademie und, und, und … Die Demenz-Weiterbildung in Halle zeichnet sich dadurch aus, dass sie den Aspekt der Versorgung in den Mittelpunkt stellt.
1. Frage: Was sind die Inhalte der Weiterbildung Dementia Care?
- Wissenswertes zur Demenz und Versorgung der Betroffenen
- Angehörige und Demenz-Betroffene bei Entscheidungs- und Problemlösungsprozessen unterstützen
- Menschen mit Demenz und ihre Familien auch in schwierigen Versorgungssituationen beraten und begleiten
- Individuell passende Hilfen planen, organisieren und steuern.
6 E-Learning-Module umfasst die Weiterbildung
Der Kurs gliedert sich in sechs E-Learning-Module. Vor Beginn gibt es eine Online-Auftaktveranstaltung. Die Module:
Modul 1 - Grundlagen Demenz
Modul 2 - Kommunikation als DCN
Modul 3 - Umgang mit Menschen mit Demenz
Modul 4 - Unterstützung von Menschen mit Demenz und Angehörigen
Modul 5 - Fallbegleitung von Menschen mit Demenz und Angehörigen
Modul 6 - Kooperation und Koordination in der Versorgung bei Demenz
2. Frage: Welche Voraussetzungen brauche ich für die Weiterbildung?
„Dieses Angebot richtet sich an Personen mit einem gesundheitsbezogenen Berufsabschluss. Alternativ akzeptieren wir auch einen Bachelor-Abschluss in Kombination mit dem Themenfeld Demenz oder eine ehrenamtliche Tätigkeit“, erklärt Dr. Anja Bieber. Eine Teilnehmerin sei beispielsweise Diplompädagogin mit staatlicher Anerkennung in sozialer Arbeit und Sozialpädagogik, die jetzt unter anderem auf einer gerontopsychologischen Station arbeitet.
3. Frage: Wie lange dauern die DCN-Kurse?
Die Weiterbildung läuft berufsbegleitend über zwölf Monate und beinhaltet Präsenztage in Halle und auch eLearning beziehungsweise Selbststudium. Dr. Anja Bieber beziffert den Aufwand auf insgesamt etwa 300 Stunden, wovon ca. 140 Stunden auf das eigenständige Lernen entfallen. Sie betont: „Auf jeden Fall sind selbstständiges Planen und Arbeiten erforderlich.“ Die Daten der Präsenztage erhalten die Teilnehmer gleich zu Anfang, damit sie sich diese Termine freihalten können.
4. Frage: Wo kann ich die Weiterbildung machen und was kostet sie?
Bisher bietet nur die Halle School of Health Care die Weiterbildung an. Die Teilnehmergebühren betragen 3.250 Euro (inklusive Kursmaterialien). Anreise und Unterbringung sind nicht im Preis enthalten. In vielen Fällen finanziert der Arbeitgeber zumindest einen Teilbetrag, so wie bei Doris Wilhelmstroop. „Mein Arbeitgeber übernimmt die Kosten und für die Selbstlernzeit bekomme ich freie Tage.“
Nähere Informationen unter
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5. Frage: Was bringt mir die Qualifikation?
Ob die Teilnehmer nach abgeschlossener Weiterbildung mehr Gehalt bekommen, kommt natürlich immer auf den jeweiligen Arbeitgeber an. Fest steht, dass Demenz-Experten auch zukünftig sehr gefragt sein werden. Eine Pflegefachkraft mit der DCN-Weiterbildung kann deshalb selbstbewusst in Gehaltsverhandlungen gehen.
Doch auch persönlich nehmen die Teilnehmer viel mit. Doris Wilhelmstroop erzählt: „Das Wissen zum Thema Demenz wird nochmal aufgefrischt, man erfährt viel über neue Erkenntnisse. Außerdem wird man dafür sensibilisiert, das eigene Handeln zu hinterfragen.“ Für die erfahrene Stationsleiterin ist jeder ihrer Patienten einzigartig. „Jeder Mensch mit Demenz ist anders, es gibt kein Schema F.“ Sie sieht auch in der Begleitung der Angehörigen eine große Aufgabe: „Sie bleiben zurück und müssen miterleben, wie sich der geliebte Mensch durch die Demenz verändert und langsam entschwindet.“
Doch sie erkennt auch die Lichtblicke in ihrer Arbeit. „Bei einer Fortbildung in Schottland habe ich einmal den beeindruckenden und wahren Schriftzug über Demenzbetroffene gelesen: Ich bin ein Mensch mit einer Vergangenheit, einer Gegenwart - und einer Zukunft.“ Dementia Care Nurses können durch ihr Fachwissen die Gegenwart und Zukunft der Menschen mit Demenz noch etwas lebenswerter gestalten.
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6. Frage: Wie viele Menschen leiden unter Demenz?
Laut dem Statistischen Bundesamt leben fast 1,8 Millionen Menschen in Deutschland mit Demenz (Stand 2021). Prognosen gehen von bis zu 2,8 Millionen Betroffenen im Jahr 2050 aus, wenn Forscher bis dahin keine wirksame Therapie gefunden haben. Der Bedarf an spezialisierten Pflegekräften ist also hoch und wird in den nächsten Jahren weiter ansteigen.
Autorin: Melanie Thalheim
https://buecher.schluetersche.de/de/111-fragen-zum-umgang-mit-menschen-mit-demenz,573146880.html