pflegen-online: Neulich erzählte mir ein Musiker aus Brandenburg, dass seine Auftritte mit gemeinsamem Singen in Pflegeheimen alle abgesagt seien. Das klingt nicht nach einer fröhlichen Weihnachtszeit …
Andreas Westerfellhaus: Sicherlich können Krippenspiele, Chorauftritte und ähnliches, wo viele Menschen in einer Veranstaltung zusammenkommen, auch dieses Jahr wieder nicht in den Einrichtungen in gewohnter Form stattfinden. Und man sollte sich im Übrigen auch außerhalb der Einrichtungen fragen, ob wirklich alles durchgeführt werden muss, was nicht ausdrücklich verboten ist. Aber warum sollten die Künstler nicht draußen vor den Heimen spielen? Man öffnet die Fenster weit, sorgt dafür, dass die Bewohner sich warm einpacken, organisiert vielleicht für die Darsteller vorher noch ein paar Heizstrahler. Mit etwas Fantasie lässt sich vieles machen. Natürlich ist der Aufwand höher, aber es lohnt sich: Solch ein gemeinsames Erlebnis wirkt sich oft tagelang, wenn nicht wochenlang, positiv auf die gesamte Atmosphäre im Heim aus.
Und wie sieht es mit gemeinsamen Vergnügen der Bewohner aus? Gesellschaftsspiele, Vorlesen, Basteln?
Geselligkeit und gemeinsames Feiern im Kreise derer, die so und so zusammen sind in einer Wohngruppe oder einem Wohnbereich, müssen möglich sein. Wenn Heime auf Zimmerisolation bestehen, ist das nicht angemessen.
Ich habe von einem Heim in Sachsen gehört, das einer orientierten Bewohnerin verboten hat, mit dem Rollator draußen mit ihrem Sohn spazieren zu gehen. Wie kann es sein, dass so etwas passiert?
Es macht mich schon ärgerlich, dass es überhaupt nötig ist, über diese Frage zu diskutieren. Ausgangsbeschränkungen brauchen immer eine rechtliche Grundlage. Eine Senioreneinrichtung oder ein Pflegeheim ist für die Bewohner ein Zuhause und kein Gefängnis. Die Bewohner haben sich die Einrichtung als Wohnort ausgesucht, sie sind dort nicht zwangseingewiesen. Das kann ich nur wie ein Mantra ständig wiederholen.
Es scheint, als ob einige Einrichtungen – wie die Erwähnte in Sachsen - dauerhaft in Panik geraten seien. Der Fall, den ich gerade geschildert habe, ist ja nicht im April 2020, sondern im Sommer 2021 passiert, als es schon Impfungen gab und die Inzidenzen niedrig waren.
Angst und Panik sind schlechte Berater. Es gibt viele Mittel, die Bewohner zu schützen, und wir müssen sie alle parallel nutzen. Die Impfung ist das Wichtigste, aber auch das Tragen von Masken, vor allem natürlich FFP2-Masken, die Abstandsregeln, das regelmäßige Lüften und das Testen sind wesentlich für den Infektionsschutz im Heim. Wenn ich alles stringent anwende, sinkt mit jeder zusätzlichen Maßnahme die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung oder eines Corona-Ausbruchs massiv.
Und wenn es doch zu einer Ansteckung kommt, ist die Infektion bei geimpften Bewohnern in der Regel nicht so schwer wie bei jemanden, der nicht geimpft ist. Wie verheerend es ist, wenn Bewohner keinen vollen Impfschutz erhalten, sehen wir gerade an dem traurigen Fall in Rudolstadt in Thüringen: In dem Pflegeheim sind bisher 28 mit Corona infizierte Bewohner gestorben, 22 von ihnen hatten Berichten zufolge keinen Impfschutz.
Sie sagten, FFP2-Masken gehörten zum wirkungsvollen Infektionsschutz im Pflegeheim. Ich bin mir nicht sicher, ob das alle Einrichtungen so praktizieren. Immer wieder habe ich von der Devise „chirurgische Maske für geimpfte Mitarbeiter, FFP2-Maske für ungeimpfte Mitarbeiter“ gehört.
Entscheidend ist zunächst einmal, dass alle – Mitarbeiter, Besucher und möglichst auch Bewohner – im Kontakt mit anderen durchgängig Mund-Nase-Schutz tragen. FFP2-Masken bieten dabei einen besonders hohen Schutz, gerade jetzt, wo wir wissen, dass die hochansteckende Omikron-Variante auf uns zukommt. Alle Masken müssen allerdings richtig getragen werden, dazu gibt es jede Menge Anleitungen im Internet. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dürfen auch nicht müde werden, orientierte Bewohner darauf aufmerksam zu machen, wenn sie etwa die Nase unbedeckt lassen.
Sie plädieren also für eine strenge Anwendung der AHA-L-Regeln in Heimen mit dem Ziel auf diese Weise weiterhin viele menschliche Bedürfnisse zu ermöglichen - geselliges Beisammensein und Besuche, zum Beispiel. Was können Angehörige, Freunde und Bewohner unternehmen, wenn sie in diesem Winter nun doch wieder mit Besuchsverbote und Zimmerisolation konfrontiert werden?
Vielleicht hilft es schon etwas, wenn sie der Heimleitung dieses Interview unter die Nase halten – oder auch die Handreichung, die ich vor etwa einem Jahr herausgegeben habe. Manche Angehörige haben mir erzählt, dass die Handreichung ihnen in der Auseinandersetzung mit der Heimleitung schon geholfen hat.
In jedem Fall ist das der Weg: Zunächst mit der Heimleitung sprechen. Wenn diese nicht reagiert, wäre die Heimaufsicht der nächste Ansprechpartner. Auch auf Landesebene gibt es Ansprechpartner, in Nordrhein-Westfalen etwa seit Sommer 2020 auch eine Dialogstelle für Pflegebedürftige, die in solchen Fällen auch helfen kann. Und wenn man als Angehöriger nicht weiterkommt und das Gefühl hat, hingehalten zu werden, kann man sich natürlich auch für den Rechtsweg entscheiden.
Ich wünsche mir in jedem Fall, dass sich niemand entmutigen lässt. Denn es bleibt dabei: Der Schutz der Bewohnerinnen und Bewohner ist oberste Prämisse, aber die Eigenständigkeit und das Recht auf Selbstbestimmung werden durch das Virus nicht ausgeschaltet.
Interview: Kirsten Gaede