pflegen-online: Herr Cardenas-Rodriguez, verzeichnen Sie in Ihren Sprach-Kursen verstärkten Zulauf von geflüchteten Menschen aus der Ukraine?
Tendenziell ja. Das sind jetzt natürlich noch nicht die Massen, denn viele der Menschen sind ja hier erstmal in der Orientierungsphase. Bei uns sind rund 150 ukrainische Kandidaten dazugekommen.
Weiß man denn schon ungefähr, wie viele qualifizierte Pflegekräfte aus der Ukraine nach Deutschland geflüchtet sind?
Nein, dazu gibt es leider noch keine verlässlichen Zahlen. Da ist ja auch noch viel in Bewegung. Einige Geflüchtete möchten schnellstmöglich wieder zurückkehren, andere sehen Deutschland vielleicht nur als Zwischenstation um in andere Länder weiterzureisen. Wie viele Pflegekräfte letztendlich dauerhaft hierbleiben und arbeiten möchten, ist jetzt noch nicht abzusehen.
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Pflegeeinrichtungen und Initiativen sind jedoch sehr bemüht um die Anwerbung von ukrainischen Arbeitskräften. Denn auch vor dem Krieg kamen ja schon viele Ukrainer nach Deutschland, um als Pflegefachkraft zu arbeiten. Somit ist das an sich nichts Neues für die Einrichtungen, da sie mit der Anerkennung und Integration von ukrainischen Gesundheitsfachkräften bereits erste Erfahrungen sammeln konnten.
Könnten die Ukrainer dann sofort in den Job starten?
Nein, um in Deutschland als Pflegefachkraft zu arbeiten, benötigt man eine offizielle berufliche Anerkennung – wie alle internationalen Gesundheitsfachkräfte. Dafür muss man eine Prüfung ablegen und erhält erst im Anschluss den dauerhaften Aufenthaltsstatus. Wir begrüßen aber sehr, dass sich Bundesarbeitsminister Hubertus Heil aktuell für beschleunigte Anerkennungsverfahren von ukrainischen Ausbildungs- und Berufsabschlüssen einsetzt.
Wie ist das Sprachniveau ihrer ukrainischen Kandidaten und wie viel Deutsch ist nötig, um in den Job einzusteigen?
Die meisten fangen bei null an. Bei der Prüfung für die berufliche Anerkennung ist ein Sprachniveau B2 nötig. Normalerweise erreicht man das nach acht bis zwölf Monaten. Die Lernenden sind in der Regel sehr motiviert, denn Sprache ist der Schlüssel für die berufliche und soziale Integration.
Gibt es Unterschiede zwischen der deutschen und der ukrainischen Pflegeausbildung?
Der größte Unterschied ist sicher, dass in der Ukraine – wie in den meisten Drittstaaten – die Ausbildung zur Pflegefachkraft hauptsächlich schulisch oder als Studium erfolgt. Außerdem zielt sie eher auf die Pflege im Krankenhaus ab. Den Schwerpunkt Altenpfleger als Beruf gibt es vielerorts nicht, weil hochbetagte Menschen normalerweise in der Familie gepflegt werden. Unsere Kandidaten verfügen also häufig über ein großes medizinisches Wissen. Sie übernehmen in ihren Herkunftsländern teilweise sogar die Tätigkeiten, die in Deutschland in den Aufgabenbereich der Ärzte fallen. Dafür müssen sie aber den kompletten Pflegeteil unserer deutschen Ausbildung lernen.
Haben Ihre ukrainischen Kandidaten denn schon alle einen Job in Aussicht?
Das ist die Voraussetzung für alle unsere Kandidaten. Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen werben ja aktiv Fachkräfte aus dem Ausland an und investieren mitunter große Summen, bis diejenigen tatsächlich in den Job starten können. Die zukünftigen Arbeitgeber kommen also auch für Sprachkurse auf, die normalerweise bereits in den Heimatländern starten. Bei den geflüchteten Ukrainern ist die Lage zwar etwas anders, da sie ja meistens schon in Deutschland sind. Trotzdem beginnen sie mit den Sprachkursen normalerweise erst, wenn sie ein konkretes Stellenangebot haben.
Was macht eine Pflegeeinrichtung generell für ausländische Pflegekräfte attraktiv?
Gelebte Integration. Dass neue Mitarbeiter herzlich in den Kollegenkreis aufgenommen werden und allgemein eine familiäre Arbeitsatmosphäre herrscht. Viele ausländische Mitarbeiter sind aus ihrer Heimat starke familiäre Bindungen gewöhnt. Für sie ist es wichtig, in Deutschland auch schnell stabile soziale Kontakte knüpfen zu können. Ganz besonders gut kommt es natürlich an, wenn die Einrichtung auch eine Arbeitsstelle für den Lebenspartner schaffen kann und das neue Teammitglied samt seinem familiären System wahrnimmt und unterstützt.
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Können Sie schon absehen, ob der Zulauf der ukrainischen Pflegekräfte noch ansteigen wird?
Das ist schwer zu sagen. Wir rechnen jedoch mit einer moderaten Zunahme, je länger der Krieg dauert. Da ja die meisten Geflüchteten Frauen mit Kindern sind, ist es für viele erstmal wichtig, dass die Kinder gut betreut sind. Ist das geklärt, werden sich einige auch wieder mehr mit dem Gedanken an eine Berufstätigkeit auseinandersetzen. Wir sehen dafür auch eine große Unterstützung bei den Pflegeeinrichtungen. Sie setzen sich dafür ein, gute Arbeitsbedingungen zu schaffen und potenzielle Mitarbeiter bereits vor Arbeitsbeginn tatkräftig zu unterstützen - beispielsweise bei der Wohnungssuche oder den Behördengängen. Und das ist entscheidend – denn eine gute Integration in den deutschen Arbeitsmarkt gelingt nur gemeinsam mit allen beteiligten Akteuren.
Autorin: Melanie Thalheim
Initiative Match
Die Sprachschule Lingoda hat kürzlich das Netzwerk „Match“ initiiert, mit dem sie die Anerkennung und Integration internationaler Pflegefachkräfte unterstützen und vorantreiben möchte. Mehr über die Initiative Match, dem Netzwerk zur Integration internationaler Gesundheitsfachkräfte, unter: www.match-pflege.de