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Foto: Dorothee Lee

Recht

Was tun, wenn ich (sexuelle) Gewalt beobachte?

Der Anwalt für Medizinrecht Hubert Klein rät Pflegekräften dringend, die Augen vor sexueller Belästigung und Gewalt nicht zu verschließen. Ein Überblick über die heikelsten Situationen  

Was in der Diskussion über das populäre Thema Whistleblowing oft untergeht: Wenn Pflegekräfte Missstände beobachten, sind sie verpflichtet einzugreifen. Wer gefährliche Pflege und Therapien, Gewalt oder sexuelle Übergriffe beobachtet und der oder dem Vorgesetzten nicht meldet, macht sich im schlimmsten Fall strafbar. 

In einer Mini-Serie haben wir die häufigsten Situationen zusammengestellt. Im 1. Teil ging es um Pflegefehler von Kollegen oder Einrichtungen (Pflegeheime, Krankenhäuser). In diesem 2. Teil stehen Gewalt, Diskriminierung und sexuelle Übergriffe im Mittelpunkt. Im 3. Teil werden wir Antworten auf die Frage nach der richtigen Reaktion auf Fehlverhalten von Ärzten geben.     

1. Frage: Was kann ich tun, wenn ich Zeuge eines sexuellen Übergriffes an einer narkotisierten, sedierten oder einer anderen hilflosen Person werde?

Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung sind in den Paragrafen 174 bis 184j StGB geregelt. Die sexuelle Belästigung durch „Begrabschen“ ist dabei erst seit wenigen Jahren im Strafrechtsparagraphen Paragraf 184h bis j geregelt und neu ins Strafgesetzbuch (StGB) eingepflegt worden. Was früher nur ein ‚Kavaliersdelikt‘ war und nur als Beleidigung galt, wird seit 2016 wesentlich stärker bestraft und kann in besonders schweren Fällen mit einer mehrjährigen Freiheitsstrafe oder Geldstrafe bestraft werden. Wer laut Paragraf 184i Absatz 1 StGB „eine andere Person in sexuell bestimmter Weise körperlich berührt und dadurch belästigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft“.

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Bis zu 5 Jahren Freiheitsstrafe für sexuelle Belästigung

Werden die Taten von mehreren Personen gemeinschaftlich durchgeführt oder narkotisierte (auch durch sogenannte K.O.-Tropfen) Patienten auf dem OP-Tisch „in sexuell bestimmter Weise“ begrapscht oder Pflegebedürftige in Einrichtungen der Alten- oder Behindertenhilfe zum Beispiel beim Waschen sexuell belästigt, kann es sich um besonders schwere Straftaten handeln, die mit bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe bestraft werden können.

„In solchen Strafverfahren liegt übrigens keine ‚Aussage gegen Aussage‘ vor“, so Hubert Klein. „Denn hier klagt der Staatsanwalt gegen den Täter; das Opfer ist in diesem Verhältnis Zeuge von außen, dessen Aussage dann voll als Beweismittel gilt. Kann das Opfer, wegen seiner Bewusstseinstrübung in diesen Fällen nicht für sich sprechen, reicht natürlich die Zeugenaussage der Pflegekraft, die ihren Kollegen bei einer solchen sexuellen Handlung beobachtet, als Beweismittel der Staatsanwaltschaft.“

Wer nicht eingreift, macht sich eventuell strafbar

Und noch einen weiteren Punkt gibt der Anwalt zu bedenken: „Soweit die beobachtende Kraft sogar noch eingreifen und die Tat hindern könnte, und dies nicht tut, kommt auch gehen sie die Verantwortlichkeit aus Paragraf 13 StGB in Betracht. Sie wird Tatbeteiligte (!) des gerade laufenden Delikts „durch Unterlassen“. Auch Pflegekräfte sind über ihren Arbeitsvertrag Garanten für die Patienten im Sinne von Paragraf 13 StGB“, sagt Hubert Klein.

2. Frage: Was kann ich tun, wenn ich soziale Diskriminierung beobachte?

Außerhalb oft stumpfer arbeitsrechtlicher Instrumente, kann jedermann bei Diskriminierungen, die eine Beleidigung darstellen, natürlich eine Strafanzeige stellen. „Geht ein Arzt oder Kollege mit Patienten beleidigend um, können Pflegekräfte strafrechtlich dagegen vorgehen“, so der Anwalt. „Bei einer Beleidigung muss aber zusätzlich das Opfer auch noch einen Strafantrag hierzu stellen, ansonsten wird das Verfahren eingestellt.“

Im AGG (Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz) wurde im Jahr 2006 hier eine Ausnahme geschaffen: „In arbeitsrechtlichen Belangen kann auch der Betriebsrat Klage wegen Diskriminierung eines Kollegen aufgrund von Geschlecht, Alter, Behinderung, ethnischer Herkunft, Religion und Weltanschauung sowie sexueller Identität einreichen, wenn der Betroffene selbst keine Klage einreichen will“, sagt Hubert Klein.

3. Frage: Was kann ich tun, wenn ich beobachte, dass die Patientenglocke hochgehängt wird, um ‚nervende‘ Patienten oder Bewohner zu ‚erziehen‘ und ‚stumm‘ zu schalten?

„Ganz klar: Man darf einem Patienten nicht die Schutzmaßnahmen wegnehmen“, so der Kölner Anwalt. „Die Glocke wegzuhängen, ist eine Pflichtverletzung. Je nachdem, was passiert, muss sich derjenige, der die Pflichtverletzung begangen hat, für die Miterzeugung des Notfalls verantworten. Schlimmstenfalls kann das auf eine fahrlässige Tötung oder fahrlässige Körperverletzung hinauslaufen“, gibt Hubert Klein zu bedenken.

Eine weggehängte Glocke kann Körperverletzung bedeuten

„Wenn ein hilfebedürftiger Mensch wegen einer weggehängten Patientenglocke zum Beispiel eine halbe Stunde lang gelitten hat, dann hat die dafür verantwortliche Pflegefachkraft in dieser Zeit eine fahrlässige Körperverletzung begangen“, so Klein. Jedermann, der die Schadensbringung beobachtet, kann eine Strafanzeige stellen.

Bei Körperverletzung braucht es dann aber noch eines gesonderten Strafantrags des Geschädigten, wie im Falle der Beleidigung. Der oder die Geschädigte könnte zusätzlich auch zivilrechtlich Schadenersatz fordern. „Bei Verletzungsfolgen, die weitere Behandlungsschritte und -kosten notwendig machten, kann auch die Krankenkasse, die übernommenen Behandlungskosten ebenfalls als Schadensersatz geltend machen“, so der Anwalt für Medizinrecht.

Überlastung oder Sorgfaltspflichtverletzung?

Beruht ein Handeln oder Nicht-Handeln der Pflegekraft auf einer Überlastung und nicht auf einer Sorgfaltspflichtverletzung, muss in der Dokumentation stehen, warum andere Tätigkeiten bevorzugt wurden, anstatt zu helfen. „Wird eine Infusion zum Beispiel eine Zeitlang nicht verabreicht oder eine Maßnahme wegen anderer, wichtigerer pflegerischer Interventionen nicht durchgeführt, muss in der Dokumentation ganz konkret begründet werden, welche andere Maßnahme WARUM vorrangig war. Andernfalls gehen die Gerichte davon aus, dass beim leidenden Patienten unzulässig pflegerische Standards nicht eingehalten wurden und eventuell eine Körperverletzung durch Unterlassen bei jenem Patienten vorliegt“, sagt Rechtsanwalt Hubert Klein.

Autorin: Melanie Klimmer

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