Was in der Diskussion über das populäre Thema Whistleblowing oft untergeht: Wenn Pflegekräfte Missstände beobachten, sind sie verpflichtet einzugreifen. Wer gefährliche Pflege und Therapien, Gewalt oder sexuelle Übergriffe beobachtet und der oder dem Vorgesetzten nicht meldet, macht sich im schlimmsten Fall strafbar.
In einer Mini-Serie haben wir die häufigsten Situationen zusammengestellt. Wir beginnen mit dem Thema Pflegefehler. Im 2. Teil wird es um Fehlverhalten von Ärzten gehen, im 3. Teil um Gewalt, Diskriminierung und sexuelle Übergriffe.
1. Frage: Was muss ich tun, wenn ich gefährliche Pflege bei Kollegen beobachte?
Es gibt im Arbeitsrecht eine Vielzahl ungeschriebener vertraglicher Nebenpflichten. Zu diesen gehören: gefährliche Kollegen oder schwere Gesundheits- und Sicherheitsgefahren (Notlagen) für sich selbst, für andere Kollegen und für Patienten oder Bewohner dem direkten Vorgesetzten zu melden. Das bedeutet die Meldung von:
Jobportal pflegen-online.de empfiehlt:
1. Sicherheitsgefahren für Mitarbeiter und Patienten, beispielsweise wenn der Arbeitgeber keine der Norm entsprechenden, sicheren Masken oder nicht die geeigneten Desinfektionsmittel zur Verfügung stellt.
2. gefährlichen Kollegen, Vorgesetzten oder Ärzten, die grobe Behandlungsfehler und grobe Pflegefehler begehen, zum Beispiel wenn sie
- die vorgeschriebene Händehygiene nicht einhalten
- keine Handschuhwechsel durchführen
- unter Drogen oder alkoholisiert arbeiten
- wenn Pflegekräfte Medikamente ohne ärztliche Anordnung ändern
- oder wenn andere erhebliche Gesundheits- und Sicherheitsgefahren für Patienten oder Beschäftigte von diesen ausgehen
3. gefährlichen Strukturfehlern, wie die Unterschreitung der Mindestpersonalbesetzung, so dass die Sicherheit von Patienten und Mitarbeitern leidet und Menschen zu Schaden kommen.
Pflegekräfte, die solche Handlungen und Strukturen beobachten, sollten unbedingt Gefährdungsanzeigen schreiben und solche erheblichen Gefahren für die Sicherheit und Gesundheit schriftlich melden. „Betreffen sie konkret einen Patienten, sollten zur Eigensicherung unbedingt auch zeitgenaue Angaben in der Pflegedokumentation gemacht werden, wann und an wen die Gefahrenlage gemeldet wurde“, rät Hubert Klein, Rechtsanwalt für Medizin- und Betreuungsrecht in Köln. „Stationsleitende und deren Vorgesetzte haben eine eigene Aufsichtspflicht und Organisationsverantwortung und sind haftungsrechtlich verpflichtet, auf Beschwerden und konkrete Gefährdungen angemessen zu reagieren.“
3. Frage: Was tun, wenn der Vorgesetzte selbst gefährliche Pflege praktiziert oder die beobachteten Missstände toleriert?
Wenn direkte Vorgesetzte nicht auf Beschwerden eingehen und keine Abhilfe schaffen, wie es §17 Absatz 2 Arbeitsschutzgesetz „Rechte der Beschäftigten“ fordert, und wenn „die vom Arbeitgeber getroffenen Maßnahmen und bereitgestellten Mittel nicht ausreichen, um die Sicherheit und den Gesundheitsschutz bei der Arbeit zu gewährleisten“, können Pflegekräfte den Dienstweg verlassen.
„Spätestens dann, wenn grobe Sicherheitsgefahren von Vorgesetzten selbst ausgehen oder sie nicht dafür sorgen, dass Missstände beseitigt werden, sollten Pflegekräfte auch direkt die Ärztekammer und zusätzlich die Aufsichtsbehörden davon in Kenntnis setzen“, sagt Rechtsanwalt Hubert Klein. „Diese haben die Aufsichtspflicht im Klinikbereich. In der Altenhilfe sind dies die Heimaufsichtsbehörden gemäß Heimrecht des jeweiligen Bundeslandes und der Medizinische Dienst der Krankenversicherungen gemäß SGB-XI.“ Wichtig ist, die Beweislage zu sichern: „Es braucht immer konkrete Anhaltspunkte und diese müssen penibel dokumentiert werden, auch wenn die gefährlichen Handlungen und Unterlassungen vom Chefarzt oder den Stationsleitenden ausgehen“, sagt der Kölner Anwalt.
4. Frage: Was kann ich tun, wenn ich beobachte, dass Kollegen regelmäßig andere Medikamente verabreichen, als ärztlich verordnet sind?
„Jeder Patient hat das Recht auf eine ordnungsgemäße Behandlung“, so Hubert Klein. „Dazu gehört, dass nur der Änderungen an der Medikation vornehmen darf, der dafür auch ausgebildet ist, und das ist der Arzt und nicht die Pflegefachkraft. Eine Pflegefachkraft darf nur das Medikament spritzen und verabreichen, was ärztlich angeordnet wurde. Die eigenständige Änderung einer ärztlichen Anordnung als Pflegekraft wird damit zur Körperverletzung, denn die Einwilligung des Patienten erstreckt sich nur auf die Maßnahmen, die der Arzt mit ihm besprochen hat. Verabreiche ich als Pflegefachkraft ein anderes Medikament, einen anderen Wirkstoff, habe ich dafür weder die Anordnung des Arztes noch die Einwilligung des Patienten. Und so ist und bleibt es eine Körperverletzung im schadensersatzrechtlichen und im strafrechtlichen Bereich“, erklärt der Anwalt für Medizinrecht.
Autorin: Melanie Klimmer