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Recht

Was tun, wenn ich Fehlverhalten bei Ärzten beobachte?

Eingreifen ist für Pflegekräfte in diesem Fall alles andere als ein außerordentlicher Akt – es ist schlicht Pflicht, macht Hubertus Klein, Anwalt für Medizinrecht, deutlich       

Was in der Diskussion über Whistleblowing oft untergeht: Wenn Pflegekräfte Missstände beobachten, sind sie verpflichtet einzugreifen. Wer gefährliche Pflege und Therapien, Gewalt oder sexuelle Übergriffe beobachtet und der oder dem Vorgesetzten nicht meldet, macht sich im schlimmsten Fall strafbar. In einer Mini-Serie haben wir die häufigsten Situationen zusammengestellt. Im 1. Teil ging es um Pflegefehler von Kollegen oder Einrichtungen (Pflegeheime, Krankenhäuser), im 2. Teil um Gewalt, Diskriminierung und sexuelle Übergriffe. Im 3. Teil geben wir jetzt Antworten auf die Frage nach der richtigen Reaktion auf Fehlverhalten von Ärzten.   

1. Frage: Was mache ich, wenn eine ärztliche Anordnung unzulässig oder sogar gefährlich ist?

Wenn eine Pflegefachkraft erkennt, dass eine ärztliche Anordnung unzulässig oder sogar gefährlich ist, darf sie diese nicht ausführen. Es gehört zur Durchführungsverantwortung der Pflegekraft, einer solchen ärztlichen Anordnung nicht zu folgen. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn es sich um ein kontraindiziertes Medikament oder eine falsche Nährlösung für einen Diabetiker handelt.

Auch darf ein Arzt nicht unterstützt werden, wenn er ohne Not Interventionen ohne Einwilligung des Patienten oder dessen gesetzlichen Betreuer vornehmen will. „Man darf eine unzulässige Anordnung nicht umsetzen oder sich an einer solchen beteiligen, da man sich sonst der Beihilfe oder gar Mittäterschaft zur Körperverletzung strafbar macht“, sagt Hubert Klein. Im Gegenteil: „Ist sich die Pflegefachperson absolut sicher, dass die ärztliche Anordnung falsch ist, muss sie zunächst gegenüber dem Arzt auf ihre Gegenmeinung hinweisen (,Remonstrieren’). Bleibt der Arzt bei seiner Anordnung, kann sich die Pflegefachperson auf ihr gewohnheitsrechtlich anerkanntes Arbeitsverweigerungsrecht berufen (früher Paragraf  8 Absatz 2 BAT)“, so der Anwalt für Medizinrecht. Die Pflegefachkraft muss ihre Gegenmeinung zeitnah dokumentieren. Kommen solche Behandlungsfehler öfter vor, müssen sie gegenüber der Ärztekammer und der Gewerbeaufsicht, gegebenenfalls der Heimaufsicht gemeldet werden.

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Arzt darf Pflegekraft nicht überfordern

Anordnungen an die Pflegefachkraft können auch unzumutbar sein. Das ist dann der Fall, wenn der Arzt zum Beispiel Aufgaben delegiert, die nicht dem Ausbildungsstand der Pflegefachkraft entsprechen. Daran ändert auch seine schriftliche Anordnung nichts. „Ein Arzt muss sich im Rahmen seiner ärztlichen Anordnungsverantwortung von der Qualifikation der Pflegefachkraft überzeugt haben“, so der Kölner Anwalt.

2. Frage: Darf der Arzt von der Pflegekraft im Notfall Tätigkeiten fordern, die sie nicht sicher beherrscht?

„Im Notfall steigert sich bei der Übernahme von ärztlichen Tätigkeiten ‚das rechtliche Dürfen‘“, so Hubert Klein. „Dieses erhöhte ‚Dürfen‘ ist aber gedeckelt durch das tatsächliche Können der Pflegefachkraft. Das heißt: Nur im äußersten Notfall und nur dann, wenn die Pflegefachkraft die Technik für die Verabreichung des Medikaments beherrscht und noch dazu eine medikamentenbezogene Fortbildung genossen hat, darf sie diese Grenze überschreiten“, so der Anwalt für Medizinrecht. „Das wäre zum Beispiel der Fall, wenn zur unmittelbaren Lebensrettung ein bestimmtes Medikament i.v. gespritzt werden muss, kein Arzt zur Verfügung steht, die Pflegefachkraft keine i.v.-Fortbildung besitzt, aber die Injektionstechnik beherrscht. Kann sie den Patienten damit retten, steht das Recht auf ihrer Seite. Stirbt der Patient trotz der lebensrettenden Maßnahme, wird zu prüfen sein, warum der Arzt nicht rechtzeitig gekommen ist und ob die Pflegefachkraft alles dafür Notwendige getan hat, ärztliche Hilfe zu organisieren, so der Anwalt.

[Australischen Krankenschwestern und Pflegern fällt es offenbar leichter Ärzten zu widersprechen und sich für den Patienten stark zu machen. Warum ist das so? Eine Antwort liefert der Artikel Warum Pflegekräfte in Australien besonders selbstbewusst sind]     

3. Frage: Was tun, wenn ein Notfall eintritt, und der anwesende Arzt sagt „Ich bin nicht im Dienst“?

„Entscheidend ist auch hier, dass die Pflegefachkraft alles Notwendige veranlasst, um den Schaden vom Patienten abzuwenden. Und sie muss zeitgenau dokumentieren, dass sie alles unternommen hat, um auf den drohenden schweren Gesundheitsschaden hinzuweisen, dass sie alles versucht hat, ärztliche Hilfe zu holen, und sich die medizinischen Werte des Patienten verschlechtert haben. Wird sie nicht gehört, muss sie schriftlich festhalten, dass die ärztliche Hilfe unterlassen beziehungsweise abgelehnt wurde. Dann begeht sie mit einer eigenständigen Rettungshandlung keine Pflichtverletzung. Der Arzt aber, der die Hilfe verweigerte, kann für das schädliche Ergebnis seiner Unterlassung strafrechtlich belangt werden. Ein anwesender Arzt, der nicht handelt, obwohl der diensthabende Kollege nicht da ist, und der Patient stirbt, begeht ein Unterlassungsdelikt, auch wenn er offiziell nicht im Dienst ist – er hat in diesem Fall eine Garantenpflicht aus Paragraf 13 Strafgesetzbuch“, so der Anwalt weiter.

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Unbedingt alles dokumentieren!

„Die Pflegekraft muss zur Eigensicherung die Fakten dokumentieren. – Why not? Andernfalls ist nun ein Patient tot und die Pflegekraft hat keine Beweise, für die Verantwortlichkeit (durch Unterlassung) des Arztes, falls jetzt gegen sie wegen fahrlässiger Tötung oder Körperverletzung ermittelt würde.“ 

Für solche Unterlassungen muss ich als Pflegefachkraft eine konkrete Beweislage schaffen!

Vorsicht vor „Totschlag durch Unterlassen“

„Wenn Arzt und Pflegefachkraft im Dienst sind, sind sie durch ihren Arbeitsvertrag in Kombination mit dem Behandlungsvertrag mit dem Patienten als sogenannte „Garanten“ nach Paragraf 13 Strafgesetzbuch immer zum Handeln verpflichtet“, so Hubert Klein. „Wer verpflichtet ist und dann nicht handelt, ist dafür verantwortlich, wenn der Patient stirbt. Und zwar nicht wegen lapidarer ,unterlassener Hilfeleistung’, Paragraf 323c StGB, sondern wegen ,Totschlags durch Unterlassen’, Paragrafen 212 und 13 StGB. – Gerade wenn es der Chefarzt ist, der nicht handelt, auch wenn er nicht im Dienst ist, missbraucht damit seine hohe Aufsichtsverantwortung. Spätestens, wenn er im Haus ist und ein Gesundheitsschaden bei einem Patienten droht, hat der Chefarzt Garantenpflichten gemäß Paragraf 13 StGB gegenüber dem Opfer und haftet für das Ergebnis seiner Unterlassung“, gibt der Anwalt zu bedenken.

 Autorin: Melanie Klimmer

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