Mehr als vier Monate haben Union und Sozialdemokraten über einen Koalitionsvertrag verhandelt. Anfang Februar einigten sich die Parteien auf ein Papier, dass deutliche Verbesserungen für die Pflege in Kliniken verspricht, etwa die Ausgliederung des Pflegepersonals aus dem DRG-System. pflegen-online bietet Ihnen einen Überblick:
Was ist im Vertrag der wichtigste Punkt aus Sicht der klinischen Pflege?
Die Ankündigung der Koalitionäre, künftig auf „allen bettenführenden Abteilungen“ verbindliche Untergrenzen für das Pflegepersonal festlegen zu wollen. Das geht erheblich über die bislang geplanten Pläne hinaus; damit würde das seit Sommer 2017 laufende Verfahren zur Festlegung von verbindlichen Pflege-Mindestbesetzungen deutlich ausgeweitet. Bislang sollen im Auftrag des Gesetzgebers Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) Regularien für Personalmindestbesetzungen in sogenannten pflegesensitiven Bereichen festzulegen. Grob zugespitzt sind damit all jene Stationen gemeint, die einen erhöhten Pflegebedarf aufweisen. DKG und GKV haben die Vorgabe, das laufende Verfahren bis zum 30. Juni 2018 abzuschließen, denn eigentlich sollen die Vorgaben ab 1.1. 2019 für alle Krankenhäuser verbindlich werden. Nun rechnen beide Seiten jedoch mit einem neuen Gesetzentwurf, der das Verfahren verzögern könnte.
Was ist der Grund für die Ausweitung der Personalmindestbesetzungauf „allen bettenführenden Abteilungen“?
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Dafür gibt es im Wesentlichen zwei Gründe. Zum einen reagiert die Politik auf die heftige Kritik von Pflegekräften, Pflegeverbänden und der Gewerkschaft Verdi gegen die permanente Überlastung des Pflegepersonals. Der Vertrag trägt hier deutlich die Handschrift der SPD, die Verdi-Forderungen ins Papier gedrückt hat. Zum anderen dürfte aber vor allem die Angst vor Personalrochaden im Krankenhaus eine Rolle gespielt haben, denn schon heute wird das Pflegepersonal wild zwischen den Stationen hin- und hergeschoben beziehungsweise werden Pflegepools gebildet. Die Ausweitung soll also das Verschieben von Pflegepersonal von Stationen ohne Mindestvorgaben auf jene mit Mindestvorgaben verhindern. Der Gesetzgeber hat der Selbstverwaltung deutlich zu verstehen gegeben, das so etwas nicht passieren darf.
Die Kliniken klagen, ausreichend Pflegepersonal werde im bestehenden System der Fallpauschalen nicht ausreichend finanziert. Wie sollen Sie dann zusätzliche Pflegekräfte bezahlen?
Die Aufstockung beim Pflegepersonal ist ohne Veränderungen bei der Vergütung der Pflege im DRG-System kaum umsetzbar. Künftig sollen daher Kosten für das Pflegepersonal unabhängig von Fallpauschalen vergütet werden, diese werden laut Koalitionsvertrag aus den DRG herausgerechnet. Geplant ist nun eine Kombination aus Fallpauschalen und Personalkostenvergütung. Gerade dieser Punkt sorgt aktuell für erhebliche Unruhe unter Klinikchefs. Viele sind strikt dagegen, weil sie darin eine Rückkehr zum früheren Selbstkostendeckungsprinzip vermuten.
Die Umstellung könnte erhebliche Auswirkungen auf Pflegekräfte haben. Warum? Das DRG-System ist auf ökonomische Effizienz ausgelegt, die Pflegepersonalkosten ( immerhin 30-40 Prozent der Personalkosten einer Klinik) bieten daher einen großen Anreiz für Klinikchefs, genau dort die Axt anzusetzen, das Person knapp zu halten und sie notfalls je nach Bedarf zwischen den Stationen im Haus zu verschieben. Klinikträger haben so in der Vergangenheit gern auf Kosten des Pflegepersonals – und der Patienten - gespart. Ohne einen Anreiz in den DRG entfällt jedoch der Grund für ein solches Vorgehen. Allerdings tauchen mit der Koalitionsplänen neue Probleme auf. Wie soll man etwa reagieren, wenn auch Ärzte und andere Personalgruppen eine Ausklammerung ihrer Vergütung aus den DRG fordern? Oder wozu zählen künftig neue Pflegeleistungen im Zuge der Digitalisierung, etwa roboterassistiertes Reha-Training für Schlaganfallpatienten? Es ist daher unklar, ob die geplante Ausgliederung des Pflegepersonals aus DRG-Vergütungssystem in dieser Form so tatsächlich umgesetzt wird.
Wie realistisch ist generell die geplante Ausweitung der Mindestpersonalgrenzen?
Da gehen die Meinungen und Einschätzungen weit auseinander. Klinikträger verweisen auf den Fachkräftemangel beim Pflegepersonal und drohen unverhohlen mit der Schließung ganzer Abteilungen, wenn sie nicht genügend Personal rekrutieren können. Die Drohung hat einen konkreten Grund: Im laufenden Verfahren hat der Gesetzgeber festgelegt, dass Krankenhäuser Abschläge bei der Vergütung hinnehmen müssen, wenn die festgelegte Untergrenze beim Pflegepersonal gerissen wird. Bevor es also Strafabzüge gibt, wollen Träger lieber die betreffende Abteilung schließen.
Pflegeverbände und auch Verdi sehen die Drohung allerdings relativ gelassen, denn damit würden sich auch Klinikbetreiber ökonomisch ins eigene Bein schießen. Allerdings ist zusätzliches Pflegepersonal im großen Stil derzeit – ohne massiven „Import“ aus anderen Ländern - nur zu bekommen, wenn die Ausbildungskapazitäten erheblich ausgeweitet, die Fluktuation des Personals gestoppt und Pflegeaussteigern den Weg zurück in die Branche geebnet wird. Voraussetzung dafür sind aber deutlich bessere Arbeitsbedingungen und eine höhere Bezahlung der Pflegekräfte.
Was planen Union und SPD, um die Arbeitsbedingungen in der Pflege zu verbessern?
Im Koalitionspapier heißt es dazu, man wolle Arbeitsbedingungen und Bezahlung „sofort und spürbar“ verbessern. Im Detail bleiben die Koalitionäre jedoch sehr vage. Außer der Ankündigung zu mehr Personal finden sich darin eigentlich nur die Ankündigung, den Kliniken künftig Tarifsteigerungen vollständig finanzieren zu wollen. Das könnte indirekt positive Auswirkungen für das Pflegepersonal haben, weil damit der ökonomische Druck auf Klinikchefs entfallen würde, bei Tariferhöhungen Mehrausgaben durch Personalabbau zu kompensieren.
Autor: Guntram Doelfs
Ilustration: Götz Wiedenroth