Geht mit den Stunden rauf! Diesen Appell richten Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung Andreas Westerfellhaus regelmäßig an examinierte Teilzeitkräfte in der Pflege. Doch wie wahrscheinlich ist es, dass halbtags Beschäftigte in Kliniken und Pflegeheimen aufstocken? Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) hat dazu gerade (3. Juni 2019) eine Umfrage gestartet, in der er Teilzeitkräfte nach ihrer Arbeitssituation und ihrer Bereitschaft fragt, auf 30 oder 40 Stunden die Woche hoch zu gehen.
Auf pflegen-online kommt eine dieser angesprochenen Teilzeitkräfte zu Worte: Die Journalistin und halbtagsbeschäftigte Intensivkrankenschwester Sabine Josten erzählt, warum es ihr so gut gefällt, neben ihrer 20-Stunden-Tätigkeit in einem Bochumer Krankenhaus noch etwas ganz anderes zu arbeiten, und warum Pflegekräfte gut daran tun, herkömmliche Arbeits(zeit)modelle für sich ganz persönlich zu überdenken. Das bedeute keineswegs eine Flucht aus der Pflege, meint die Pflege-Expertin, möglicherweise ganz das Gegenteil ...
Ein Kommentar von Sabine Josten
Ich mache 50 Prozent. Was ist das Schöne? Man steckt nicht 100 Prozent drin. Drin in der Teamdynamik. In dieser Gemengelage aus „Wer-spannt-die-Wäschesäcke-richtig-ein“ (und die richtigen Wäschesäcke im richtigen Format - seit Neuestem scheint an der Wäscheaufbereitung frenetisch gespart zu werden) und dem neuen Stationsarzt, der nicht Bescheid weiß und - viel schlimmer noch - auch nicht lernbereit zu sein scheint. Ich bin raus aus dem Strudel aus Freuen-auf-Freihaben und sich dann moralisch verpflichtet zu fühlen, doch einzuspringen. Springe ich ein, dann passt das. Und wenn nicht, dann eben nicht.
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Teilzeitkräfte sind gelassener
Warum Teilzeitkräften das so viel gerühmte Wörtchen „Nö!“ ein bisschen leichter fällt? Ich hätte da zwei Vermutungen:
- Teilzeitkräfte wissen, dass der Laden ohne sie läuft– diese Erkenntnis ist wesentlich!
- Teilzeitkräfte haben Abstand. Den müssen sie auch gar nicht schaffen durch Entspannungsmethoden oder einen Coach. Das klappt automatisch – sie haben ja zwei Leben (und damit Termine außerhalb der Klinik). Zeiteinteilung, Rechte und Pflichten stehen erstens im Arbeitsvertrag und (ebenso) erstens im eigenen Lebensentwurf. Die Lage ist klar.
Was Teilzeitkräfte sich alles anhören müssen
Allerdings haben Teilzeitkräfte mit einigen Vorwürfen zu kämpfen:
- „Teilzeit-Mutti – du nervst und Karriere machst du auch nicht.“ Zweiteres stimmt vermutlich irgendwie – aber möchte jeder Arbeitnehmer Vorstandsvorsitzender werden? Wahrscheinlich nicht. Statistisch gesehen ginge das auch gar nicht an. Und wer weiß, wohin einen das Leben führt, wenn man auch für anderes offen ist …
- „Nun kommen Sie schon: Sie arbeiten zwei Handvoll Tage im Monat und haben dann auch noch Wünsche.“ Logisch! Das ist die Sache mit den zwei Leben. Außerdem: Wer einmal einen Blick auf die Wunschdienstpläne wirft, wirklich einen ganz neutralen Blick, erkennt, dass Vollzeitkräfte meist mehr Wünsche haben. Was verständlich ist – müssen sie doch ihr Leben um den Vollzeitjob herum drapieren.
Was Teilzeitkräfte besonders gut können
Die vielen Vorurteile gegenüber Teilzeitkräften sind ungerecht. Denn wer halbtags arbeitet ist meistens ein Segen für Kollegen und Patienten:
- Aushalten, Vermitteln – das sind die Stärken von Teilzeitkräften. Weil sie Abstand haben. Weil es ein Gegengewicht (das Leben außerhalb der Klinik) zu ihrer Arbeit in der Klinik gibt. Das ist ein echter Luxus!
- Teilzeitkräfte kommen – meistens jedenfalls – zur Arbeit und fragen: Was nervt Euch Vollzeitleute am meisten? Das übernehmen sie dann. Und es ist ihnen meistens wurscht, ob es sich um administrative Aufgaben handelt oder um unmittelbar pflegerische (Stichwort: Langlieger). Für ein paar Tage können sie es eben deutlich besser aushalten. Statt sich über die „Teilzeit-Muttis“ aufzuregen, ist es besser, sie mit ihren Ressourcen zu nutzen.
Pflegekräfte sind begehrt
Sicherlich, eine alleinige Teilzeitarbeit bringt viele Menschen - vor allem Alleinerziehende - leicht in eine wirtschaftlich prekäre Lage. Man kann jetzt auf die Politik warten (das wird dauern) – oder selbst über Alternativen nachdenken. Pflegekräfte haben viele Fähigkeiten, dei auch in anderen Branchen gefragt sind - eine Stelle im Projektmanagement, als Flugbegleiterin, in der Gastronomie und, und, und ...
Verhandeln Sie, seien Sie mutig!
Vielleicht ist das alles nicth ganz das, was Sie sich wünschen. Allerdings: Vor dem Ertrinken kommt der Versuch zu schwimmen. Versuchen Sie doch einmal einen Kraulschlag, bevor Sie die Flossen sinken lassen – und ganz aussteigen. Vielleicht bleiben Sie auch in der Pflege mit Ihrer zweiten Tätigkeit. Sie könnten etwa mit einer gewissen Stundenzahl in die Patientenberatung gehen - oder als Intensivkrankenschwester in die ambulante Pflege. Der Fachkräftemangel hat den großen Vorteil, dass Sie vieles ausprobieren können. Sie sind begehrt, Sie sind viel wert. Besuchen Sie Jobbörsen und verhandeln Sie - über Arbeitszeiten und das Gehalt. Und besinnen Sie sich auf das, was Sie können – das ist mehr als Sie glauben.
Denken Sie an das, was Sie Ihren Patienten Tag für Tag predigen: Bewegung. „Ja, Sie fühlen ein Handicap. Keine Frage. Schauen Sie doch einmal, wie sie es kompensieren können. Probieren wir es aus.“ Nur Mut! Denn die überwältigende Mehrheit der Kollegen ist doch überzeugt: Pflege ist (eigentlich) ein ganz toller Job. Und zu dem Ganz oder Gar-nicht lässt sich vielleicht eine Alternative finden.
Illustration: Maren Melzer