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Berufspolitik

Warum ich Mitglied bei Verdi bin

Vor rund 20 Jahren fanden viele Berufseinsteiger Verdi uncool. Das hat sich geändert. Jetzt gibt es wieder Mitgliederzuwachs, weil auch viele Jüngere beitreten – wie die Pflegefachkraft Johanna Meier

Interview mit Johanna Meier (30) und Sabrina Kiwit, Gewerkschaftssekretärin in Westfalen. Wir trafen sie im  Verdi-Gebäude in Dortmund am Königswall.

pflegen-online: Was hast du für eine Ausbildung gemacht und in welchem Pflegebereich arbeitest du?

Johanna Meier: Ich habe nach der Realschule eine Ausbildung zur Arzthelferin gemacht. Damals wollte ich direkt in die Ausbildung zur Krankenpflege, war aber noch zu jung. 2009 fanden es die Krankenpflegeschulen nicht so gut, wenn man keine 18 ist. Ich habe daher zuerst die Ausbildung zur Arzthelferin gemacht und im Anschluss an meine Lehre in einer orthopädischen Facharztpraxis gearbeitet. 2018 bin ich an das Klinikum Dortmund gewechselt, um eine Ausbildung zur examinierten Gesundheits- und Krankenpflegerin zu machen; 2021 folgte das Examen.

Nach der Ausbildung bin ich am Klinikum geblieben, habe sieben Monate auf einer kardiologischen Akutstation gearbeitet und mich dann auf die HNO- und Augenstation versetzen lassen. Wir betreuen dort sowohl interdisziplinär Augenpatienten als auch HNO-Patienten.

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Wie bist du zur Gewerkschaft Verdi gekommen?

Johanna Meier: Das erste Mal regelmäßig mit der Gewerkschaft in Kontakt gekommen bin ich in der Ausbildung. Die Jugendausbildungsvertretung (JAV) hat mit uns gesprochen. Wir hatten immer wieder die Möglichkeit, Feedback zu geben: Wie sind wir auf unseren Stationen empfangen worden? Wie wurden wir ins Team integriert? Die JAV erfragt auch die Einhaltung des Tarifvertrags öffentlicher Dienst (TVöD) bei der Dienstplanung und ob die Auszubildenden auf ihre Anleitungszeiten in den praktischen Einsätzen in der Klinik kommen.

Und es gab Rückfragen seitens der JAV: Seid ihr zufrieden? Fühlt ihr euch anständig ausgebildet? Fühlt ihr euch wertgeschätzt? Es ist eine ganze Menge zusammengekommen, was wir im Pflegealltag als Auszubildende erlebt haben. Ich fand es sehr gut und beispielhaft, wie Verdi sich für uns eingesetzt hat. In die Gewerkschaft eingetreten bin ich erst viel später, aber auf jeden Fall im Laufe der Ausbildung zur examinierten Gesundheits- und Krankenpflegerin.

Sabrina Kiwit: Für neue Ausbildungsgänge gibt es sogenannte Berufsstarter-Seminare. Verdi arbeitet dabei sehr eng mit der Pflegeschule zusammen. Die JAV gestaltet in Zusammenarbeit mit den Jugendgewerkschaftssekretärinnen diese Seminare.

Was bringt eine Mitgliedschaft bei Verdi?

Johanna Meier: Man hat mit Verdi einen direkten Ansprechpartner. Bei meinen Bewerbungen 2018 war für mich wichtig, dass ich mich für eine Klinik entscheide, die tariflich angebunden ist. Weil ich durch die Kolleginnen und Kollegen, die bei privaten Trägern arbeiten, weiß, dass die Arbeitsbedingungen nicht unbedingt besser sind. Die Bezahlung ist es auf keinen Fall, gerade in der Altenpflege.

Man kann aber natürlich auch Glück haben. In einem tariflich gebundenen Unternehmen, das öffentlich geführt ist, in diesem Fall der Stadt Dortmund angegliedert, hat man gerade durch Verdi, durch die Zugehörigkeit zu einer Gewerkschaft andere Möglichkeiten: Es gibt eine JAV, einen Betriebsrat – das ist leider nicht selbstverständlich.

Sabrina Kiwit: Wir sind Tarifvertragspartei. Also diejenigen, die verhandeln und sich mit den Arbeitgebenden an den Tisch setzen. Wirkliche Verbesserungen in Form von Entgelterhöhungen und allem, was einen Tarifvertrag ausmacht, kann nur eine Gewerkschaft verhandeln, erstreiten und erstreiken – und das ist Verdi. Im Bereich des Gesundheitswesens hat Verdi die meisten Mitglieder.

Wie engagiert bist du als Gewerkschaftsmitglied? Nimmst du die „Dienstleistung“ einer Gewerkschaft eher passiv in Anspruch oder bist du aktives Mitglied?

Johanna Meier: In erster Linie bin ich Pflegefachkraft im Klinikum. Wenn man das beruflich macht, frisst das sehr viel Zeit und Energie. Ich schaffe viele Sachen in meinem Privatleben nicht, für die ich mir gern mehr Zeit nehmen würde. Daher bin ich in erster Linie Mitglied bei Verdi. Aber seit der letzten Tarifrunde nimmt die Gewerkschaft bei mir mehr Raum ein. Mein Interesse wird größer, sich für bessere Arbeitsbedingungen, für einen besseren Tarif einzusetzen – und was dafür zu tun.

Sabrina Kiwit: Es gibt natürlich passive Mitglieder, die die Interessenvertretung als Dienstleistung von uns wahrnehmen. Das ist vollkommen in Ordnung. Mitgliedbeiträge sind auch ein wertvolles Element, um Auseinandersetzungen wie etwa den Streik von 77 Tage Entlastungsbewegung an den Unikliniken in NRW finanziell stemmen zu können.

Auf der anderen Seite ist Verdi so aufgebaut, dass nichts ohne das Mitglied funktioniert. Es ist eine reine basisdemokratische Organisation. Alle vier Jahre werden ehrenamtliche Mitglieder gewählt, die in unseren Vorständen sitzen. Meine Bosse sind die Mitglieder, die dort gewählt worden sind. Auch bei der Tarifrunde öffentlicher Dienst entscheiden die Ehrenamtlichen über das Ergebnis, das verhandelt wurde.

Wie sieht es mit dem Organisationsgrad der Pflegekräfte am Klinikum Dortmund aus?

Johanna Meier: Es kommt sehr darauf an, ob die Leitungen organisiert sind, ob es im Team akzeptiert ist und darüber gesprochen wird. Man muss wissen, worum es geht: Warum betrifft es mich persönlich? Was würde sich für mich ändern? Die Kolleginnen und Kollegen müssen die Bereitschaft haben, etwas zu verändern. Viele sind massiv unzufrieden und tun das kund. Aber dafür Verantwortung zu übernehmen und Position zu beziehen, etwas ändern und aktiv zu werden – das ist oft nicht drin. Da stößt man oft auf Widerstand. Es gibt aber auch Bereiche, die super motiviert und aktiv sind.

Sabrina Kiwit: Gerade in Tarifrunden merkt man, was es für einen Unterschied macht, organisiert zu sein oder nicht. Das Thema Verdi ist superpräsent – in den Medien, durch Streiks, durch Tarifrunden. Und durch Aktionen: Wir stehen vor dem Haupteingang des Hauses und schwingen unsere Fahnen. Das Schwierige im Gesundheitswesen ist aber, dass durch die Schichtarbeit und die enorm belastende Arbeit viele Menschen keine Energiereserven mehr haben. Dann nach Schichtende ein Vernetzungstreffen zu besuchen und zu überlegen, morgen um halb vier zum Streik zu gehen ... das ist für viele einfach zu viel. Das ist ein hemmender Faktor in der Branche.

Johanna Meier: Wir haben in den letzten Jahren gemerkt, dass wir systemrelevant sind. Ohne uns in der Pflege, ohne die Bus- und Bahnfahrer, ohne die Gesundheitsämter, ohne die Erzieher, die die Kinder betreuen, hätte das alles nicht funktioniert. Man hat jetzt eine andere Position und mehr Mut, um auf Missstände aufmerksam zu machen und für sich einzustehen.

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Es geht um alle, die in den letzten Jahren einen erhöhten Mehraufwand an Arbeit hatten unter teilweise ganz schlechten Bedingungen während der Pandemie. Es gibt viele, die von ihrem Gehalt nicht leben können. Sie verdienen gerade einmal über Mindestlohn – und das wird toleriert. Das ist in der Gewerkschaft ein großer gesellschaftlicher Gedanke, der für mich verpflichtend ist: Dass das nicht hingenommen werden kann und man etwas dagegen tun muss. Gar nicht für mich persönlich. Ich verdiene heute tariflich. Aber ich habe ziemlich lange deutlich weniger verdient. Aber nur weil es mir mal schlecht ging, heißt es nicht, dass es anderen ewig so schlecht gehen kann. Das ist mein Hauptanliegen.

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