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Beruf und Karriere

Warum die Neonatologie Julia-C. Stange so fasziniert   

Die Kinderkrankenschwester mit Weiterbildung erzählt von der Früh- und Neugeborenen-Intensivstation: vom Alltag, den nötigen Kompetenzen, Glücksmomenten und Nottaufen

Frau Stange, was macht Ihren Arbeitsbereich aus?

Julia-C. Stange: Bei uns geht es um die Maximalversorgung von Neu- und Frühgeborenen. Das heißt, wir leisten entwicklungsfördernde Pflege für Frühgeborene, beispielsweise Mehrlinge, die mit einem sehr geringen Geburtsgewicht auf die Welt kommen. Das kleinste Kind, das bei uns war, hat es mit einem Ausgangsgewicht von 330 Gramm ins Leben geschafft. Genauso kümmern wir uns um die Pflege von Neugeborenen, die aus anderen Gründen intensivpflichtig sind, etwa nach Sauerstoffmangel bei der Geburt, wegen eines Infekts oder Fehlbildungen.

Assistieren Sie bei Geburten und Operationen?

Wir sind verantwortlich für mehrere Kreißsäle in unserem Haus. Außerdem übernimmt die Uniklinik Intensivtransporte ins benachbarte Marienhaus Klinikum Mainz (MKM), falls es der Gesundheitszustand eines dort geborenen Kindes erfordert. Bei Kaiserschnitten, auch den regulären, sind wir immer dabei. Das ist ein Teil unserer Arbeit – diese kurze Begleitung während der ersten zehn, fünfzehn Minuten, in denen wir schauen, ob alles gut ist.

Für wie viele Früh- und Neugeborene ist eine Fachkraft zuständig?

Das richtet sich nach der Entwicklungsphase des Kindes. Wenn es weniger als 1.000 Gramm wiegt und beatmet werden muss, erhält es eine Eins-zu-eins-Betreuung. Maximal sollte je Schicht eine Fachpflegekraft für drei Neugeborene zuständig sein.

Sie versorgen die Kinder immer früher im Leben – und damit umso länger?

Wenn bei der Geburt erst die Hälfte der Schwangerschaft herum war, kann es Monate oder ein Jahr dauern, bis die Familien wirklich nach Hause gehen können. Jedes Frühgeborene kommt mit einem eigenen Überraschungspaket auf die Welt. Manche haben Probleme mit der Verdauung, manche können die Milch nicht aufnehmen, manche sind so unreif, dass sie lange von der Beatmung nicht abkommen. Auf der Neonatologie braucht man neben Fachkenntnis, Empathie und Teamwork auch technisches Talent sowie die Neugier und Bereitschaft, sich immer wieder in neue Geräte einweisen zu lassen. Zudem muss man den Draht zu den Angehörigen finden und hochdiplomatisch auf eine ganze Bandbreite von Menschen eingehen können.

Welche Nähe entsteht zu den Eltern?

Der Kontakt zu den Eltern macht einen wesentlichen Teil der Arbeit aus. Wir führen sie an ihr Kind heran und beziehen sie in ganz kleinen Schritten in die Pflege mit ein. Die Eltern sind täglich bei uns auf Station – so lange, wie sie es möchten und physisch sowie psychisch schaffen. Wir lernen sie beispielsweise ins Sondieren und Wickeln ein, erklären alle Geräte am Platz und wie die Alarme der Monitore jeweils zu interpretieren sind. Wir schulen die Eltern darin, einen guten und sicheren Blick für ihr Kind zu bekommen. Und vor allem möchten wir ihnen den Raum geben, wirklich Eltern zu sein.

Ein Beispiel?

Das Känguruing wird meist sehr nett und süß dargestellt, doch tatsächlich ist es für eine entwicklungsfördernde Pflege essenziell. Das bedeutet, das Kind, sobald es medizinisch möglich ist, aus dem Inkubator zu nehmen und es auf die Brust der Mutter oder des Vaters zu legen. Allein dazu braucht es vier bis sechs Hände. Die Nähe, die so aber zwischen Eltern und Kind entsteht, kann man durch nichts ersetzen.

Wir sprechen von Eltern, die extrem zwischen Hoffen und Bangen pendeln?

Als Pflegekraft ist man in den Ethikgesprächen mit dem Ärzteteam auch die Stimme der Kinder und Eltern. Das ist durchaus ein ständiges Hinterfragen: zu erkennen, wie weit das Kind die Belastung der Intensivstation aushält. Es in den Händen zu halten und zu fragen, ob es leben möchte, wo seine und auch unsere medizinischen, pflegerischen Grenzen sind. Genauso, wie wir die Kinder ins Leben begleiten, müssen wir bereit sein, den letzten Weg mit ihnen zu gehen. Wenn wir an diesen Punkt kommen, nehmen wir uns viel Zeit für die Sterbebegleitung und die Wünsche der Angehörigen.

Tragen Sie selbst manche Fälle mit nach Hause?

Davon kann man sich nie ganz freimachen, trotz aller Professionalität und Fachkompetenz. Wenn man beispielsweise ein Kind taufen musste, weil die Zeit nicht reichte, um auf den Seelsorger zu warten. Eine solche Nottaufe darf jeder durchführen, der selbst getauft ist. Manchmal werden wir auch zu den Beerdigungen eingeladen. Mir hilft es, daran teilzunehmen, neben den Gesprächen, die wir zur Verarbeitung solcher Fälle im Team führen.

Ist die Zusammenarbeit mit den Ärzten enger als auf anderen Stationen?

In der Neonatologie gibt es keine klassischen Hierarchien, wir arbeiten Hand in Hand. Wenn die Pflegekräfte sagen: Hier stimmt etwas nicht, das gefällt uns nicht – dann werden die Ärzte sofort hellhörig. Das  st auch die Essenz unseres Berufs: fähig zu sein, an den kleinsten Parametern oder Regungen eines Kindes zu erkennen, dass wir im selben Moment schon reagieren müssen. Nur mit dieser professionell geschulten Beobachtungsgabe und Empathie kann man überhaupt auf unserer Station arbeiten.

Gibt es eine Geschichte, die Sie für immer begleitet?

Ein Erlebnis in meiner Ausbildung hat mich für den Beruf entflammt. Ich durfte ein Frühgeborenes, das ausgerechnet auch noch Jule hieß, auf den Händen halten, während die Unterlage im Inkubator gewechselt wurde. Sie wog damals vielleicht 600 Gramm. Zwei Jahre später habe ich Jule bei einem Fest durch den Park der Klinik laufen sehen. Dieser Moment hat mich gekriegt: dass aus dem winzigen Wesen von damals ein fröhliches Mädchen geworden ist, das herumrennt und sich des Lebens freut. Und tatsächlich gehen die meisten auch so nach Hause – als reife, propere Babys, bei denen niemand auf den Gedanken käme, dass sie Frühgeborene sind. Etwas Besseres, mehr Sinnerfüllung kann ich mir gar nicht vorstellen.

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5 Fragen zur Fachweiterbildung für Neonatologische und Pädiatrische Intensivpflege

Was sind die Voraussetzungen für die Fachweiterbildung für Neonatologische und Pädiatrische Intensivpflege?

Dreijährige Pflegeausbildung, ein bis zwei Jahre Berufserfahrung je nach Qualifikation.

Wie lange dauert die Weiterbildung? Zwei Jahre, berufsbegleitend bei Vollzeittätigkeit; möglich ist die WB auch in Teilzeit, sie dauert dann entsprechend länger.

Welche Inhalte werden vermittelt? Eine übersichtliche Darstellung der gesamten Module findet sich etwa auf der Website der Unimedizin Mainz. 

Schlägt sich die Weiterbildung auf das Gehalt nieder? Wenn die Häuser einem Tarifvertrag angegliedert sind, steigt das Gehalt um ein bis zwei Stufen; gegebenenfalls wird auch eine Zulage gezahlt.

Lohnt sich Weiterbildung finanziell?

Höhere Qualifikation, mehr Wissen und Kompetenz – sicherlich. Aber lohnt sich die Fachweiterbildung für Pflegekräfte finanziell? Wir haben nachgefragt. Einige nennen konkrete Summen, zwei private Träger äußern sich gar nicht   
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Wie sind die Berufschancen? Sehr gut – auch in der Neonatologie fehlen Fachkräfte.

Text: lin

Über Julia-C. Stange

Die Fachkinderkrankenschwester arbeitet auf der Früh- und Neugeborenen-Intensivstation der Universitätsmedizin Mainz. 2001 hat sie ihre Grundausbildung absolviert, 2006 die Fachweiterbildung Intensiv- und Anästhesie-Pflege abgeschlossen. Sie engagiert sich als teilfreigestellte Personalrätin und ist im von ihr mit gegründetem Bündnis „Pflegeaufstand Rheinland-Pfalz“ aktiv.

Hier erfahren Sie mehr über Julia-C. Stange:

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