Gestorben sind im Krankenhaus etwas mehr als die Hälfte der Patienten, die künstlich beatmet werden mussten (53 Prozent). Aber auch bei den Patienten ohne Beatmung erreichte die Sterblichkeit immerhin 16 Prozent. Dies ist das Ergebnis (veröffentlicht am 29. Juli 2020) einer Analyse des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO), der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) und der Technischen Universität Berlin, publiziert in „The Lancet Respiratory Medicine“. Ausgewertet wurden die Daten von etwa 10.000 Patienten mit bestätigter Covid-19-Diagnose in insgesamt 920 deutschen Krankenhäusern. Die Studie basiert auf AOK-Abrechnungsdaten, die knapp ein Drittel der deutschen Bevölkerung abbilden.
Was die trockene Bestandsaufnahme in der Praxis bedeutet, schildert Hong Thuong Brinkmann im Interview. Sie arbeitet als pflegerische Bereichsleitung der internistischen Abteilung HI4 im Klinikum am Gesundbrunnen in Heilbronn (SLK-Kliniken) und war als Sicherheitsbeauftragte und pflegerische Bereichsleitung bei der Umstellung auf die Versorgung von COVID-19-Patienten von Anfang an dabei.
pflegen-online: Wie haben Sie die psychische Verfassung der Patienten erlebt – fiel es ihnen sehr schwer, auf die persönliche familiäre Unterstützung zu verzichten?
Hong Thuong Brinkmann: Wenn Patienten positiv auf COVID-19 getestet sind und die Diagnose bekommen, haben sie erst einmal einen Schock. Sie haben Ängste, Sorgen, Bedenken, sind von den Informationen aus den Medien bestimmt. Dann dürfen sie auf den Stationen keinen Besuch von ihren Angehörigen bekommen, werden isoliert, sind allein in einem Zimmer. Da sind sie schon erst einmal verzweifelt.
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Nicht nur die Patienten haben Angst und machen sich Sorgen. Auch die Angehörigen zu Hause machen sich sehr viele Sorgen, rufen sehr oft am Tag an, fragen über Telefon, über Skype nach.
pflegen-online: Wie haben Sie im Team darauf reagiert?
Hong Thuong Brinkmann: Wenn wir bemerken, dass ein Patient psychische Unterstützung braucht, dann schicken wir unsere Klinikseelsorger hin. Sie kommen oft auf die Station. Bei uns kann der Patient auch, wenn er kein Handy hat, ein Telefon bekommen, damit er mit seinen Angehörigen telefonieren kann. Wir haben auch ein I-Pad eingerichtet, so dass die Patienten mit ihren Angehörigen ein Videochat über Skype machen können.
pflegen-online: Wie ging Ihr Team mit der neuen Situation um?
Hong Thuong Brinkmann: Anfangs waren die Sterbenden ein großes Thema für uns in der Pflege: Der Patient kommt allein, stirbt allein, ohne die Sterbebegleitung, die wir sonst so gewöhnt sind. Normalerweise kommen die Angehörigen während des Sterbeprozesses, halten dem Sterbenden die Hand, sind die letzten Stunden, die letzten Minuten dabei und leisten Gesellschaft. Das ist in einer Covid-Situation überhaupt nicht möglich.
Zudem war der Umgang mit den Verstorbenen unter Infektionsschutzmaßnahmen für uns ungewohnt und sehr belastend. Beispielsweise mussten wir die Verstorbenen in einen Leichensack verbringen, Desinfektionsmaßnahmen durchführen. Das Pflegemanagement und unser Institut für Pathologie haben sich sehr engagiert und den Prozess der Versorgung von Verstorbenen weiter angepasst.
Im Artikel „6 Stress-Experten mit Tipps für Pflegekräfte" finden Sie Anregungen, wenn Sie unter Angst und Trauer leiden
pflegen-online: Haben Sie Unterstützung dazu geholt?
Hong Thuong Brinkmann: Die Klinikseelsorger haben uns unterstützt und regelmäßig Gespräche mit den Mitarbeitern geführt. Gott sei Dank ist es mittlerweile auch so, dass für die toten Covid-19-Patienten kein Leichensack mehr erforderlich ist. Sie werden jetzt in ein Leintuch gewickelt. Wir haben zudem vereinbart, dass die Kollegen einen Verstorbenen nie alleine herrichten. Sie unterstützen sich gegenseitig, sprechen miteinander, auch danach noch. Und auch auf die Unterstützung durch das Pflegemanagement und das Leitungsteam können die Mitarbeiter immer zählen.
pflegen-online: Fiel es den Patienten sehr schwer, in ihren letzten Stunden keinen Besuch empfangen zu können?
Hong Thuong Brinkmann: Viele Patienten äußern sich nicht darüber. Aber wir spüren als Pflegefachkräfte schon, dass dieses Bedürfnis da ist, Abschied von den Angehörigen zu nehmen. Am Anfang war es so, dass Angehörige nur nach dem Tod der Patienten für maximal 15 Minuten und in Schutzausrüstung kommen durften. Manche Patienten tun sich ohne die Besuchsmöglichkeit sehr schwer, zu gehen. Ich habe es zwei Mal selbst erlebt, dass ein Patient nach dem Abschied von seinen Angehörigen über Skype an dem Tag noch gestorben ist.
Interview: Melanie Klimmer
Foto (Porträt Hong Thuong Brinkmann): SLK-Kliniken