Wenn es um Softwarenutzung und Digitalisierung geht, gibt es in vielen deutschen Pflegeeinrichtungen noch Luft nach oben. Dabei tun die IT-Hersteller schon einiges, um ihre Programme zu vereinfachen und den Pflegekräften die Nutzung zu erleichtern.
1. Grund: Programme werden mundgerecht serviert
So lassen sich mittlerweile für einzelne Mitarbeiter ganz individuelle Rollen und Rechte vergeben. Meldet sich der jeweilige Kollege im System an, sieht er nur die Funktionen, die für ihn relevant sind. So wird ein komplexes Programm auf das reduziert, was die einzelne Kraft wirklich braucht.
Was hat sich geändert? Das muss schnell ins Auge springen
Grundsätzlich gilt dabei: „Dokumentiert wird nicht nur für die Kontrollorgane wie den MDK oder die Heimaufsicht, sondern auch für die Kollegen“, betont Karen Güttler vom Bremer IT-Unternehmen Atacama Blooms. „Alle, die nicht da waren, müssen schnell wissen, wenn sich bei einem Bewohner etwas verändert hat.“
2. Grund: Weniger Aktenwälzen für die Pflegedienstleitung
Dass Software dabei ein guter Helfer ist, merkt Karin Seifert jeden Morgen bei ihrem Berichte-Check. Lange musste die Pflegedienstleitung im Diakonie-Seniorenzentrum Friede in Elbingerode im Harz dafür in jeden der fünf Wohnbereiche gehen und die Akten der fast 130 Bewohner durchschauen. „Jetzt ziehe ich mir die Dienstübergabe mit zwei Klicks aus dem Computer und habe alles auf einen Blick“, sagt Seifert.
Zwei Klicks und schon weiß die PDL, was sich geändert hat
Sie muss wissen, ob es Auffälligkeiten gab und was der Spät- und Nachtdienst dazu eingetragen hat. Ob jemand gestürzt ist und ins Krankenhaus gebracht wurde, ob es Wünsche von Angehörigen gab. Ob jemand schlecht gegessen hat oder in der Nacht besonders unruhig war und wie die Kollegin reagiert hat. Die Patientendokumentation wirft Seifert dafür die vergangenen 24 oder 48 Stunden aus – „das ist eine große Erleichterung“.
3. Grund: Endlich keine unleserlichen Handschriften mehr
Inklusive der Hauswirtschaft und der Betreuungskräfte gehören 85 Mitarbeiter zu Seiferts Team. 45 davon sind in der vollstationären Pflege beschäftigt. Manche haben sich anfangs nicht an die Computer getraut, die im Dienstzimmer jedes Wohnbereichs stehen. Doch diese Skepsis ist längst weg. Besonders die jüngeren Kolleginnen seien da sehr offen gewesen, erinnert sich Seifert. Was viele überzeugte war nicht nur, dass die richtige Schreibweise komplizierter Begriffe seitdem keine Frage mehr ist. Jetzt kann auch jeder alles lesen: „Bei mancher Handschrift war das teilweise schon problematisch.“
4. Grund: Fragen von Kassen und Ärzten sind leichter zu beantworten
Neben der täglichen Übersicht lässt sich Seifert unter anderem regelmäßig Sturzprotokolle auswerfen. „Die brauche ich für Nachfragen der Krankenkassen, und um die Sturzgründe und unsere Maßnahmen erklären zu können.“ Auch Nachfragen von Ärzten, die im Zuge einer Behandlung die Vitalwerte einzelner Patienten brauchen, seien durch den Software-Einsatz viel einfacher zu beantworten. Etwa wie der Blutdruck und der Blutzucker in den vergangenen 14 Tagen waren.
5. Grund: Mit Spracherfassung noch im Zimmer dokumentieren
Mittlerweile sind Seifert und ihr Team bereit für den nächsten Schritt. Die Dokumentation im Pflegezimmer soll nicht mehr handschriftlich auf Papier erfolgen und dann später in die Computer eingegeben werden. Künftig wird schon im Zimmer alles mit Spracherfassung aufgezeichnet und in Text umgesetzt. Die Handgeräte dafür haben sie sich in Elbingerode vor einiger Zeit vorstellen lassen.
6. Grund: Flexiblere Arbeitszeiten duch Digitalisierung
Margit Christiansen ist überzeugt, dass sich die Digitalisierung auch nutzen lässt, um den Pflegekräften mehr Einfluss auf die Dienstplangestaltung zu gewähren. Allerdings gebe es neben der Bereitschaft, Neues auszuprobieren, auch noch Vorbehalte, sagt die Professorin für Management im Gesundheitswesen mit dem Schwerpunkt Personal an der Hochschule Fulda. Das Projekt SITA mit der Diako Thüringen soll neue Erkenntnisse bringen.
Dienstplan-Wünsche per App eintragen
SITA steht für „Schichtdienstmodell und IT-gestützte Dienstplanung in der stationären Altenhilfe“. Kernstück ist eine App, in die Mitarbeiter Wünsche für ihre Einsätze eintragen können – über die Computer auf der Station oder über Smartphones. Zudem erfahren sie so frühzeitig, wann sie Dienst haben, und können bei Bedarf Dienste tauschen. „Die Idee dahinter ist vollkommene Transparenz und bessere Planbarkeit“, sagt Christiansen.
App regelt komplizierte Tauschaktionen im Dienstplan
Darüber hinaus sinke der Aufwand für die Planer: „Die App entlastet die Leitungskräfte, da sie in der Dienstplangestaltung unterstützt werden und auch die Freigabe von Tauschanfragen abwickelt werden kann“, erklärt Christiansen. Nicht nur handschriftliche Wunschzettel einzelner Pflegekräfte seien damit passe, auch der „Machtfaktor Dienstplan“ relativiere sich: „Die App arbeitet nach klaren Kriterien, welche Wünsche in welcher Reihenfolge berücksichtigt werden – und das gilt für alle gleichermaßen.“
Einige Kollegen sehen die Dienstplan-App kritisch
Seit Anfang April ist die App erstmals im Einsatz. Christiansen und ihr Team interessiert jetzt vor allem, wie die 23 Mitarbeiter der Test-Einrichtung das Angebot annehmen. „Manche fürchten, dass ihr Arbeitgeber genau sehen kann, wann und wie sie die App nutzen“, nennt Christiansen einige Vorbehalte, die ihre Befragungen ergeben haben. „Andere denken, dass sich so ihre Handynummer ermitteln lässt und sie am Ende sogar noch öfter eingesetzt werden.“ Gerade deshalb gelte es, alle im Team mitzunehmen und offen über das Projekt zu informieren.
7. Grund: Weniger Krankheitstage durch Digitalisierung?
„Wenn wir es schaffen, die Bedingungen zur Dienstplanung so zu gestalten, dass die Mitarbeitenden ein gutes Gefühl der Zugehörigkeit und Zufriedenheit entwickeln, haben wir die Grundlage für eine bessere Gesundheit für alle geschaffen“, ist die Professorin überzeugt: „Denn die krankheitsbedingten Ausfallzeiten der Pflegekräfte würden weiter sinken.“ Mittlerweile haben zwei weitere Pflegeeinrichtungen Interesse angemeldet. Zurzeit laufen die ersten Untersuchungen im Projekt SITA II.
Autor: Jens Kohrs