Ich heiße Sun-Young Yang-Scharf, bin Stationsleiterin, gebürtige Südkoreanerin – und ich erlebe Rassismus. Seit vielen Jahren lebe ich hier, in Deutschland, in Rheinland-Pfalz. Ich pflege, ich leite, ich führe ein Team. Ich lerne, bilde aus, lerne weiter, lebe eine Beziehung, erziehe ein Kind – und erfahre immer noch rassistische Äußerungen. Privat, wie auch an meiner Arbeitsstätte. Hier möchte ich über meine Erfahrungen berichten.
Typischer Alltagsrassismus: Patienten fragen nach einer „richtigen“ Krankenschwester
Zum ersten Mal hörte ich diese Sprüche, da arbeitete ich bereits als Praxisanleiterin, vor 13 Jahren war das; zwei Jahre zuvor hatte ich meine Arbeit als Krankenschwester in Deutschland begonnen. „Die hält sich wohl für was Besseres, hier bei uns in Deutschland“, tuschelten Kollegen und Patienten über mich, mal hinter meinem Rücken, mal aber auch ganz unverhohlen direkt, dass ich es hören musste. Oder sie riefen, wenn sie mich sahen, nach einer – Achtung – „richtigen“ Krankenschwester, oder auch, nicht in Hochdeutsch, sondern in tiefstem pfälzischen Dialekt: „Lauter Ausländer hia, gibt‘s hia kä daitschi Kraakenschwester?“
„Der meint es nicht so“ - ich kann es nicht mehr hören
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Am Anfang, ja, da habe ich diese „Phänomene“, wie ich sie nennen möchte, im Team angesprochen, habe meiner damaligen Vorgesetzten davon berichtet. Aber irgendwann lässt man es, wenn man doch nur zu hören bekommt: „Ach vergiss es. Der meint es nicht so, wie du denkst.“
Es schmerzt, wenn Stationsleitungen Rassismus verharmlosen
Der meint es nicht so? Ja, ist denn Rassismus etwa – ein Missverständnis? Oder schlimmer noch: eine Lappalie? Es schmerzt, wenn Führungskräfte so reagieren, sie kein Verständnis haben oder es nicht zeigen. Das habe ich gelernt – und mir gemerkt.
Ärzte zeigen sich loyal, wenn Patietenn rassistische Sprüche machen
Unter den Ärzten standen mir dankenswerterweise einige zur Seite: Die einen sprachen mir Mut zu, die anderen waren sogar noch rigoroser und entließen die betreffenden Patienten sofort und ohne Diskussionen „zur weiteren ambulanten Behandlung“. Das fand ich großartig. Auch das habe ich gelernt – und mir gemerkt.
In meiner Gegend ist eine gewisse Portion Rassismus normal
Nun lebe ich nicht in einer Metropole, sondern im Randbezirk einer größeren Arbeiterstadt; hier sind kleinere, rassistische Zwischenfälle normal, auch im Privaten. Ohne näher darauf eingehen zu wollen, aber einmal spielten faule Tomaten eine Rolle, und einmal, am Hauptbahnhof, die Frage nach dem „Kaufpreis“ einer Südostasiatin. Ich versuche, solche Vorfälle humorvoll zu nehmen, schreibe sie der „Hinterwäldler-Haltung“ zu, die hier gegenüber Ausländern herrscht, habe fast Mitleid ob dieser einfältigen Weltanschauung.
Was soll der Spruch: „Ich bin zwar nicht ausländerfeindlich, aber…“
Was mich aber sehr stört, ist immer wieder dieser Zusatz, der manch einer Aussage vorgeschaltet wird, auch bei mir in der Klinik, und ja, auch unter Kollegen: „Ich bin zwar nicht ausländerfeindlich, aber…“ Ist diesen Leuten denn gar nicht bewusst, dass das erst recht ihren unbewussten Rassismus zum Ausdruck bringt?
„Maen Bung“ heißt es auf neu-koreanisch, wenn man plötzlich eine beinahe vollständige geistige Leere spürt, eine Ohnmacht. Und „Maen Bung“ erlebe ich jedes Mal, wenn ich solche Äußerungen höre, wenn ich nicht fassen kann, was da gerade (wieder) gesagt wurde. Ich werde dann für Sekunden sprachlos, kann kaum eine Reaktion zeigen. Gott sei Dank hält das nicht lange an.
Ich habe bei der Anerkennung auch strukturellen Rassismus erlebt
Ich möchte auch von dem berichten, was ich strukturellen Rassismus nenne. Der kommt vielleicht nicht so plastisch rüber wie die zuvor genannten rassistischen Äußerungen und Beleidigungen. Für mich ist er aber mindestens ebenso schmerzlich – und noch dazu lebenseinschränkend, chanceneinschränkend. Und zwar so: Ich komme also aus Südkorea, habe dort Gesundheitspflege studiert. Nach meiner Einwanderung nach Deutschland habe ich hier in einer Einrichtung meine so genannte Berufsanerkennung absolviert, knapp 16 Jahre ist das nun her. Damals dauerte das Verfahren sechs Monate, beinhaltete praktische Einsätze und Blockunterricht, eine schriftliche und praktische Prüfung. Alle Gebühren – für das Praktikum, den Unterricht, die Prüfung wie auch Urkunden trug ich selbst, auch die Dienstkleidung und die Sprachkurse bezahlte ich aus eigener Tasche. Für meine Arbeit in der Einrichtung erhielt ich keine Vergütung.
Arbeiten darf ich erst, seit ich mit einem Deutschen verheiratet bin
Ich habe darum gebeten, dass mir die Kosten erstattet würden, so wie sie meinen Kolleginnen aus Russland oder Albanien doch auch erstattet wurden. Nun ist es aber so: Als sogenannte Drittstaatsbürgerin hatte ich jahrelang – zumindest bis zu meiner Heirat mit einem Deutschen – keine Arbeitserlaubnis. Aber weil ich nicht arbeiten durfte, habe ich auch zunächst keine sozialen Beiträge leisten können. Genau darauf, dass ich nicht in die Sozialkasse eingezahlt habe, berief sich aber die Stadt, als sie mir später die Kostenübernahme verweigerte.
Dazu immer dieses Gefühl: Ich müsse doch dankbar sein. Im Gesetz heißt es sinngemäß zu den Anerkennungsregeln, diese Beschäftigung sei dazu da, zu „lernen, Defizite auszugleichen oder Kenntnisse aufzufrischen“. Sei froh, dass du das tun darfst, schwingt da für mich mit. Ich habe mich instrumentalisiert gefühlt, als kostenlose Arbeitskraft.
„Geh doch dorthin, wo du herkommst“ - so heißt es oft, wenn ich über Rassismus klage
Ich will nicht klagen. Ich will nur aufzeigen. Es gibt Ungerechtigkeit in diesem Land, und es gibt Schikane. Sie, als Leser, sagen nun: „Bei uns in Deutschland ist es nun mal so“? Dann reagieren Sie ebenso wie viele andere, denen ich von meinen Problemen erzähle und die es genauso wenig böse meinen. Es seien nun mal Vorschriften, heißt es. Und manchmal aber auch: Wenn es mir nicht passe, könne ich ja „dahin zurückgehen, wo du herkommst“. Aua. Ein verbaler Rauswurf. Aus einem Land, in dem ich gern lebe. Und in dem ich meinen gesellschaftlichen Beitrag leisten will mit dem, was ich am besten kann: pflegen. (Und ich möchte sagen: was ich gut kann.)
Einige Patienten kommandieren meine Mitarbeiterinnen wie Leibeigene herum
Heute bin ich Führungskraft, leite eine Station, lege hier Wert auf Diversität; neun meiner 14 Team-KollegInnen haben Wurzeln, die außerhalb Deutschlands liegen. Ich beobachte, dass der Rassismus, dem sie begegnen, variiert, oft abhängig von den äußeren Merkmalen, die meine KollegInnen zeigen – Hautfarbe, Kopfbedeckung, Gesichtszüge, Form der Augen – oder dem Sprachniveau bei den KollegInnen, die „europäisch“ aussehen. Beispiel: Hat eine Kollegin eine andere Hautfarbe als „weiß“, ist nett, aber eher zurückhaltend in ihrem Auftreten und in manchen Situationen, oder auch sprachlich nicht so souverän, sagen wir B1- bis B2-Niveau, dann ist sie fast ein „gefundenes Fressen“ für Menschen mit einem, ich nenne es mal „ausgeprägten nationalen Stolz“: Sie erfährt Schikanen und Drangsalierungen, wird wie eine Art eigene Haushälterin behandelt,wie eine Leibeigene herumkommandiert.
Manchmal helfen Namensschild und Kasack gegen Rassismus – aber nur manchmal
Nun könnte man sagen: Namensschild tragen, Funktionsbezeichnung gut sichtbar anbringen, sich ordentlich und gut verständlich vorstellen bei der ersten Begegnung, einen Kasack mit Corporate-Identity-Farbe tragen – all das für mehr Respekt, für weniger Missverständnisse. Und ja, manchmal trägt das hier und da zu Klarheit bei. Ich sage Ihnen aber: In den meisten Fällen, bei ausgeprägtem stereotypischen Denken, hilft das nicht. Stattdessen bin ich gefragt, die Leitung. Ich muss einspringen, bevor diese Kollegin zu sehr verletzt wird oder gar die Situation eskaliert.
Meine muslimischen Kolleginnen kontern inzwischen: „Babbelt Ihre Mutter so wie Sie?“
Meine muslimischen Kolleginnen hören sehr häufig Sätze wie: „Sie sprechen aber gut „Daitzsch“, „Muss ihre Mutter auch ein Kopftuch tragen, obwohl ihr in Daitzschland seid?“ Die betroffenen Kolleginnen nehmen das mittlerweile nicht mehr sehr ernst, haben sich eine gewisse Schlagfertigkeit angeeignet. „Und Sie?“, fragen sie gern mal zurück: „Wo haben Sie dieses grässliche Daitzsch gelernt?“ Und: „Babbelt Ihre Mutter genauso wie Sie?“ Herrlich, ich bin so stolz auf sie, wenn sie so parieren, ihre innere und äußere Souveränität zeigen.
Wenn Patienten sich beschweren, herrscht eiserne Loyalität
Ob es dann keine Beschwerden von Seiten der Patienten hagelt, fragen Sie? Aber sicher doch. Die wollen dann explizit die „Chefin“ sprechen, die ja nun mal ich bin, und von diesen „Unverschämtheiten“ berichten. Aber meine KollegInnen und ich sind ja ein Team, wir leben Vertrauen, und so weiß ich immer vorher schon über solche Episoden Bescheid. Und die Patienten gucken dann nicht schlecht, wenn als Chefin dann ich auftauche, selber eine „Ausländerin“, hoppla!
Bei rassistischen Anfeindungen schreite ich ein
Rassistische Äußerungen hören besonders Kolleginnen mit afrikanischer und/oder arabischer Herkunft mit dunklerer Hautfarbe, einmal mehr, wer dazu noch Praktikant oder Auszubildender ist. Da kann es vorkommen, dass ein Patient eine Dreiviertelstunde gepflegt wurde, gewaschen oder angezogen, und dann lospoltert: „Der Junge hier, der versteht jo nur Baanhof, will dann ah noch uns pflege?“ Ohne Zögern wird so etwas gesagt, ohne Scham, und auch so, dass der junge Mensch das hört. Da schreite ich ein und bitte Patienten höflich, aber auch recht streng, den Umgang dieser Art zu unterlassen, dass wir uns hier diesen Ton verbitten. Darin sehe ich eine essentielle Leitungsaufgabe. In der Regel werden solche Patienten nach meinem Auftritt „klitzeklein“.
In harten Fällen von Rassismus: Entlassung aus der Behandlung
Und wenn nicht? Wenn Menschen so gar nicht einsichtig sind und glauben, sie können sich alles erlauben? Dann bekommen sie zu spüren, wie interdisziplinär die Station B0 agiert, haben sofort Assistenzärzte, Oberärzte und sogar die Chefärztin an ihrem Bett stehen, die ihnen die Sachlage erklären. Gott sei Dank stehen alle voll hinter mir und unserer diversitären Ausrichtung.
Krank? Offenbar gesund genug für rassistische Pöbeleien
Wichtig für unseren Anti-Rassismus: Gutes Verhältnis zwischen Medizin und Pflege
Es ist doch so: Wir leben in einer globalisierten Welt, und Pflegerinnen mit Migrationshintergrund leisten in dieser Gesellschaft sehr viel – und zwar in einem Beruf, den tendenziell immer weniger Menschen ergreifen wollen. Wenn ein Patient in der Lage ist, anstatt seines aktuellen Gesundheitsproblems die Hautfarbe der Pflegerin oder ihr „Nicht-Deutsch-Sein“ in den Vordergrund zu stellen, bedarf er offenbar keiner akuten stationären Behandlung. Heißt: Entweder er akzeptiert die Lage und lässt sich behandeln – oder er wird entlassen. Auch gegen ärztlichen Rat. Da ist natürlich das Zusammenspiel zwischen der Medizin und Pflege von größter Bedeutung, müssen beide Professionen auf Augenhöhe interagieren.
Protokoll: Romy König