Foto: jens schuenemann - jps-berlin.de

Corona-Krise

... und plötzlich kommen die Pflegekräfte zurück

Viele Pflegekräfte, die ihren Beruf verlassen haben, melden sich in der Corona-Krise als Freiwillige. Aber wer soll sie koordinieren?

In Großbritannien haben sich im Kampf gegen die Coronavirus-Epidemie bereits 560.000 Freiwillige (Stand 26.3.2020) angeboten, den staatlichen Gesundheitsdienst National Health Service (NHS) zu unterstützen. Man brauche jetzt eine „Armee von Freiwilligen“, flehte der NHS, um die Ärzte, Pflegekräfte, Krankenwagenfahrer und anderes Personal zu entlasten.

Auch hierzulande rüsten sich nun verschiedene Akteure, um drohenden Überlastungen entgegenzuwirken. Die Kernidee ist, die sogenannte „stille Reserve“ zu reaktivieren. Gesucht werden examinierte Pflegefachkräfte, die aus unterschiedlichen, meist familiären Gründen aus dem Beruf ausgestiegen sind.

Fast 100 Freiwillige haben sich in Niedersachsen gemeldet

Die Pflegekammern in Rheinland-Pfalz, Niedersachsen und Schleswig-Holstein rufen daher Freiwillige auf, sich über eine E-Mailadresse zu melden, ebenso wie die Vereinigung der Pflegenden in Bayern ist mit einer Plattform dabei. Die Pflegekammer Niedersachsen führt seit dem 24. März ein zentrales Melderegister und ordnet die Anfragen, um die Daten bei Bedarf an die regionalen Krisenzentren weiterzuleiten. Innerhalb einer woche haben sich bereits knapp 100 Freiwillge mit Telefonnummer und E-Mail-Adresse gemeldet. „Wesentliche Elemente sind pflegefachliche Qualifikationen, berufliche Vorerfahrung, das regionale Einsatzgebiet, Mobilität und Alter“, erläutert Nora Wehrstedt, stellvertretende Präsidentin der Pflegekammer Niedersachsen. Auch telefonische Anfragen werden anhand eines Fragebogens aufgenommen und in eine Datenbank eingespeist.

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Hilfe auch für Heime und ambulante Dienste

Wehrstedt versichert, dass die erhobenen Daten „ausschließlich der Kommunikation und Koordination im Krisenfall sowie gegebenenfalls der Weitergabe an Krisenzentren“ dienten. Die Pflegekammer selbst koordiniert aber nicht, da sie die Dringlichkeit nicht einschätzen kann. Keineswegs gehe es bei der Aktion nur um Krankenhäuser, betont Wehrstedt: „Ich möchte ganz deutlich darauf hinweisen, dass ein Großteil der pflegerischen Versorgung außerhalb der Krankenhäuser geschieht: in Pflegeheimen und der ambulanten Versorgung. Diese Bereiche werden in der gegenwärtigen Krise leider in der öffentlichen Diskussion viel zu oft vergessen. Pflegeheime und ambulante Dienste benötigen dringend Unterstützung und Hilfe.“

Über 70 Freiwillige in Schleswig-Holstein

Bei der Pflegeberufekammer Schleswig-Holstein haben sich bislang über 70 Freiwillige gemeldet „mit zum Teil sehr guten Qualifikationen und langjährigen Erfahrungen“, sagt Pressesprecher Jan Dreckmann. Diese Leute bräuchten nicht extra „fit gemacht“ zu werden für ihren Einsatz, es genüge in einigen Fällen eine Einweisung vor Ort. Dreckmann: „Schulungsmaßnahmen für Beatmungsplätze stellen wir gerade.“

Bei Medwing registrieren sich 7.000 Pflegekräfte, Ärzte und Ehrenamtliche

Mit der Plattform „Wir wollen helfen“ will das Startup Medwing medizinisches und pflegerisches Personal, das nicht mehr in der Branche aktiv ist, wieder mit den Krankenhäusern zusammenbringen. Man baue einen „Bereitschaftspool“ mit besonderem Fokus auf Unterstützung der Krankenhäuser auf.

„Innerhalb der ersten sieben Tage haben sich über 7.000 Menschen auf unserer Plattform registriert“, berichtet Pressesprecherin Sophie Guggenberger. Zu 65 Prozent handle es sich dabei um medizinische oder pflegerische Kräfte aus dem gesamten Bundesgebiet.

Fertige Bewerbungspakete für Krankenhäuser

Medwing möchte so Krankenhäuser entlasten, die teilweise „überrannt“ würden von Hilfsbereiten, aber keine Kapazitäten haben, die Bewerbungen zu sichten, Interviews zu organisieren und Einsätze zu koordinieren. Die Personalvermittlung mit Hauptsitz in Berlin übernimmt den „strukturieren Bewerbungsprozess“, der ein persönliches Telefongespräch und die Prüfung aller relevanten Unterlagen wie Lebenslauf, Urkunden und Zertifikate beinhaltet. „Danach werden die Profile mit einem übersichtlichen Deckblatt an die Partnereinrichtungen weitergegeben.“ Derzeit habe man Kandidaten in Vermittlungsprozessen in Hamburg, Düsseldorf, München und Berlin. „Im ersten Schritt adressieren wir die Krankenhäuser mit Intensivbetten- und Beatmungskapazitäten, die Kern der Corona-Notversorgung sind“, sagt Guggenberger.

#pflegereserve: ganz allmählicher Aufbau

Auch die Bertelsmann Stiftung hat eine neue Plattform #pflegereserve an den Start gebracht, unterstützt von der Bundespflegekammer, den darin organisierten Landespflegekammern und dem Deutschen Pflegerat. Durch die Registrierung auf der Plattform entstehe „keine Verpflichtung“, heißt es in einer Pressemitteilung. „Im ersten Schritt erfassen wir die Pflegekräfte. Nach und nach erweitern wir die Website, fragen weitere Informationen bei den Pflege-Reservisten ab und laden die Versorgungseinrichtungen auf die Plattform ein.“

Rund 100.000 Pflege-Reservisten in ganz Deutschland?

Registrieren können sich alle Fachkräfte mit einem Staatsexamen bis zu einem Alter von 65 Jahren. Die Mindesteinsatzzeit sollten zehn Tage betragen, um die zweitägige Einarbeitungsphase in ein sinnvolles Verhältnis zu setzen. Derzeit arbeite man an einer „möglichst unbürokratischen Lösung für die Honorierung der Tätigkeit“, die zugleich „rechtssicher“ sein müsse. Denkbar sei etwa die Lohnfortzahlung von freigestellten Mitarbeitern, die jetzt als Reservisten arbeiten. Für Selbständige und Arbeitslose müssten natürlich andere Lösungen gefunden werden.

Die Stiftung geht von bis zu 100.000 Pflege-Reservisten aus und bezieht sich dabei auf die #PflegeComeBack-Studie der Hartmann-Unternehmensgruppe aus dem Jahr 2018, die die Bereitschaft ehemaliger Pflegekräfte für einen Wiedereinstieg in den Beruf analysiert hatte.

GigWork - zu 100 Prozent digital

Im Gegensatz zu allen oben genannten Initiativen sei die Plattform der GigWork GmbH „zu 100 Prozent digital“ und verfüge über eine mehr als einjährige Praxiserfahrung, so GigWork-Gründer Nicolai Kranz. „Unser Alleinstellungsmerkmal ist, dass Pflegekräfte dort gleich konkrete Arbeitszeit- und Einsatzwünsche äußern können bis hin zur konkreten Uhrzeit. Darauf können sich die Krankenhäuser dann entsprechend bewerben.“ Dieser Ansatz geht zum einen auf Kranz‘ langjährige Erfahrung als Personalchef der Uniklinik Köln und Vorstand der Uniklinik Essen zurück. Zum anderen auf die seines Sohnes, der als gelernter Krankenpfleger die Bedürfnisse seiner Kollegen von der Pike auf kennt und die Plattform mitentwickelt hat. Der Deutsche Pflegerat, so Kranz, unterstütze ebenfalls die Gigwork-Initiative.

Wollen die Krankenhäuser überhaupt Freiwillige?

Allerdings hat Kranz in der aktuellen Situation auch beobachtet: Manche Krankenhäuser wollen sich jetzt gar nicht „mit etwas Neuem“ beschäftigen, sie stehen der „stillen Reserve“ teilweise „ambivalent“ gegenüber. Kranz hält es allerdings für „fahrlässig, sich nur auf frisch Ausgebildete und nicht um die Pflegerückkehrer zu kümmern“. Es sei jetzt „auch eine einmalige Gelegenheit, mit den Menschen in Kontakt zu kommen und so dem Dauerpflegemangel zu begegnen“.

Autorin: Birgitta vom Lehn

Adressen

Zentrale Meldestelle der Pflegekammer Rheinland-Pfalz: corona@pflegekammer-rlp.de

Koordinierungsstelle der Pflegeberufekammer Schleswig-Holstein: pool@pflegeberufekammer-sh.de

Meldestelle für Freiwillige der Pflegekammer Niedersachsen: corona@pflegekammer-nds.de

Plattform der Medwing GmbH: www.wirwollenhelfen.com

Plattform der Bertelsmann Stiftung: #pflegereserve

Plattform von Gigwork: www.gigwork.de/pflegecomeback

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