Besser als Fragen stellen: Dem Demenzkranken bei der Orientierung unterstützen. 
Foto: Maren Schlenker
Besser als Fragen stellen: Dem Demenzkranken bei der Orientierung unterstützen. 

Pflege als Beruf

Umgang mit Demenz: Warum viel Fragen nicht gut ist

Wie kommen Pflegekräfte mit Demenzkranken ins Gespräch? Monika Hammerla-Claassen, Demenz-Expertin und Autorin des Buchs „Qualitätsmerkmal Beziehung“ erzählt im Interview, wie es am besten klappt

pflegen-online: Frau Hammerla-Claassen, bei einer Alzheimer-Demenz treten schon früh Wortfindungsstörungen und Einschränkungen des Kurzzeitgedächtnisses auf, die eine Unterhaltung schwierig machen können. Wie lässt sich im Kontakt mit einem erkrankten Menschen dennoch eine gute Gesprächsatmosphäre aufbauen?

Monika Hammerla-Claassen: Zu Beginn einer Alzheimer-Demenz ist noch viel möglich. Entscheidend ist aber immer eine eindeutige Kontaktaufnahme. Das heißt, Blickkontakt zu schaffen und zu warten, bis der erkrankte Mensch signalisiert: Ich habe dich wahrgenommen. Dann erst sollte man sprechen, und zwar langsam und deutlich – ohne dabei eine Frage an die nächste zu reihen. Und natürlich muss der Betroffene seine Hilfsmittel wie Hörgerät oder Brille verfügbar haben.

Zu einer guten Atmosphäre gehört auch, Außenreize zu minimieren und dafür zu sorgen, dass der Mensch mit Demenz beispielsweise nicht durch den Fernseher oder das Radio beschallt wird und kein anderer Lärm herrscht.

Warum sollten Pflegende besonders Fragen vermeiden?

Jobportal pflegen-online.de empfiehlt:

Sie überfordern Menschen mit Demenz schnell. In der mittleren Phase, wenn die Wortfindungsstörung stärker wird und das Kurzzeitgedächtnis merklich reduziert ist, werden sie auf die Frage, was es als Mittagsessen gab, beispielsweise antworten: Etwas Gutes. Wenn Sie dann weiter nachhaken, kommt es zum Konflikt. Weit einfühlsamer ist eine Kontaktaufnahme, bei der Sie ganz auf Fragen verzichten.

Qualitätsmerkmal Beziehung

Gestalten Sie die Beziehung zu Menschen mit Demenz
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Welche Anknüpfungspunkte sind eher geeignet?

Das ist grundsätzlich die Biografie des Menschen. Ich gehe also nicht hin und sage: „Guten Morgen, Herr Müller, wie haben Sie denn geschlafen, wie geht es Ihnen …?“ Stattdessen sage ich: „Guten Morgen – Herr Müller – Herr Müller, Alfons – der Förster …“ Diese Ansprache wiederhole ich dreimal. Dann nenne ich auch den Ort, aus dem er kommt. Dieser Einstieg hilft wirklich. Denn diese Punkte sind einfach wahr. Und die Erfahrung gibt mir Recht. Ich hospitiere ja weiterhin in Wohngemeinschaften für Menschen mit Demenz. Wenn ich so beginne, nehmen sie mich wahr, reagieren und stimmen mir zu.

Was sind Ihre wichtigsten Tipps, um dann auch in einen Dialog zu finden?

Ein Gespräch, wie wir es verstehen, funktioniert nicht. Wenn der Mensch mit Demenz aber etwas mitteilt, bestärken Sie ihn – und zwar immer. Das wirkt wunderbar, weil es den Betroffenen entspannt. Und es bedeutet zugleich: Korrigieren Sie nicht! Dieser Punkt sollte im Grundkurs jeder Pflegeausbildung enthalten sein.

Bleiben Sie ruhig und gelassen bei Wortfindungs- und Gedächtnisstörungen, sprechen Sie in kurzen Sätzen, zeigen Sie Wertschätzung, auch durch ihre Körpersprache. Loben Sie und überhören Sie Anschuldigungen.

Diskutieren und löchern Sie nicht bei Erinnerungslücken. Das macht Spannung. Versuchen Sie, das Gesagte so stehen zu lassen. Wenn sich eine Situation zuspitzt, etwa bei Wahnvorstellungen, die in der mittleren Phase der Alzheimer-Demenz auftreten können, sollte die Methode der integrativen Validation nach N. Richard angewandt werden (beispielsweise erklärt im Buch 111 Fragen zum Umgang mit Demenz, Anm. d. Red.).

Was raten Sie, wenn ein Mensch mit Demenz bei einem Thema einrastet und gar nicht abzulenken ist?

Führen Sie das Thema fort. Und warten Sie in aller Ruhe, wie lang das geht. Wenn Sie merken, dass es völlig abstrus wird, suchen Sie einen Weg, aus diesem Thema herauszukommen. In den meisten Situationen reicht es aber, sich auf den Menschen einzulassen, auf ihn einzugehen. Beispielsweise wollen Menschen mit fortgeschrittener Demenz gegen Abend oftmals heim, sie wollen zur Mutter, haben Angst, wenn es dunkel wird. Auch in diesem Moment bestätige ich sie und sage: „Ja, zuhause ist es am schönsten.“ Wenn jemand nach der Mutter ruft, sage ich: „Ja, Sie haben die allerbeste Mutter.“ Und dann warte ich, bis mein Gegenüber sich beruhigt und entspannt.

Wie gehen Sie auf Menschen ein, die aufgrund einer fortgeschrittenen Demenz nicht mehr antworten können?

Wichtig ist, ganz klar im Hier und Jetzt zu sein und alles klar und freundlich zu benennen, ohne viel Drumherum. Ich teile mit, kündige meine Pflegehandlung oder eine Aktivität an, beispielsweise zusammen etwas im Garten anzuschauen. Für Gesunde mag das seltsam sein, aber es geht in diesen Fällen nicht darum, viel zu sprechen.

Einen Menschen in einer mittleren Phase der Demenz am Frühstückstisch zu fragen: „Möchten Sie Kaffee, Tee, ein Brötchen mit Marmelade, Käse oder Wurst“ – das ist zu viel! Als Pflegekraft wissen Sie aus der Biografie, was die Person gern gegessen hat. Bereiten Sie vor, was gewohnt und gewünscht ist, und benennen Sie es, sagen Sie schlicht: „Herr Müller, hier ist Ihr Brötchen mit Marmelade.“ Denn dieses Brötchen hat sich Herr Müller jahrzehntelang selbst auf den Frühstücksteller gelegt, und so soll es weitergehen. Sich den Menschen wirklich zuzuwenden, kostet im Übrigen nicht mehr Zeit als jede andere Ansprache.

Diese Zuwendung sollte aber authentisch und aufrichtig sein?

Wenn ein Verhalten nur antrainiert ist, spürt das auch ein Mensch mit Demenz. Damit erzeuge ich nur eine Abwehrhaltung. Dann heißt es allerdings oft: „Oh, der Herr Müller ist wieder aggressiv.“ Dabei bin ich es, die diese Reaktion hervorruft – ich erzeuge das Gefühl beim Gegenüber.

Welche Unterstützung brauchen Pflegende selbst, um Menschen mit Demenz gerecht werden zu können?

Pflegekräfte sollten zunächst einmal geschult sein, wie eine Demenz verläuft. Das ist vielen leider nicht genug bekannt. Im Zuge des Pflegenotstands werden zudem zahlreiche Hilfskräfte eingestellt, die vielleicht frohen Herzens arbeiten und sich bemühen, aber kaum die Basics kennen. Ich wünsche mir hier eindeutig mehr Schulungen. Sie können Wunder bewirken – sofern das Wissen danach auch von allen Beschäftigten der Einrichtung mitgetragen wird.

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Denn teilweise kommen einzelne Pflegekräfte zwar beseelt und mit neuem Fachwissen von einer Weiterbildung zurück, werden dann aber in den Heimen ausgebremst. Sie treffen plötzlich auf Kollegen, die tuscheln: „Ach, die ist jetzt was Besseres.“ Da gibt es viel Neid, viel Unwissenheit. Deswegen ist es eine Sache der Leitung, alle ins Boot zu nehmen und zu sagen: Wir wollen die Kommunikation mit Menschen mit Demenz verbessern. Letztlich spüren Sie immer, wer die Leitung innehat und das Personal an die Hand nimmt.

Eigentlich obliegt es den Heimleitungen nach dem neuen Expertenstandard zur „Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz” ohnehin, personenzentriert zu arbeiten und die Mitarbeitenden vor allem regelmäßig zu schulen. Schließlich vergessen ja auch wir, die Pflegenden, vieles immer wieder.

Interview: lin

Über Monika Hammerla-Claassen

Die Demenz-Expertin (68) ist Fachpflegekraft für Gerontopsychiatrie und geriatrische Rehabilitation. Sie hat unter anderem 17 Jahre für die Heimaufsicht Kronach gearbeitet und gehört zum Vorstand der Deutschen Expertengruppe für Demenzbetreuung (DED). In Heimen und Kliniken schult sie Pflege- und Betreuungskräfte im Umgang mit Demenzkranken, als Autorin hat sie mehrere Fachbücher verfasst, unter anderem Qualitätsmerkmal Beziehung: Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz.

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