[Dieser Artikel erschien zuerst im März 2019 und wurde am 1. Juli 2021 aktualisiert.]
Was tun, wenn man sich permanent überlastet fühlt am Arbeitsplatz? Wenn man nicht mehr in der Lage ist, innerhalb der vorgegebenen Arbeitszeit seine Arbeit quantitativ oder qualitativ zu leisten? Entweder mogeln wir uns dann so durch oder wir machen es sorgfältig, was so viel bedeutet wie: Wir machen es nicht mehr in der vorgegebenen Arbeitszeit, sondern in unserer Freizeit. Doch Überstunden darf man nicht auf eigene Faust machen, der Arbeitgeber muss sie anordnen oder zumindest stillschweigend dulden.
3 Gründe, warum eine Überlastungsanzeige sinnvoll ist
Sollte der Überlastungszustand länger andauern, dann sollte man dem Arbeitgeber dies in jedem Fall anzeigen, rät der Berliner Arbeitsrechtler Alexander Bredereck, und zwar schriftlich und nachweislich, denn
Jobportal pflegen-online.de empfiehlt:
- es kann sein, dass man bei der Arbeit Fehler macht aufgrund des erhöhten Drucks. Falls man wegen dieser Fehler später eine Abmahnung oder gar Kündigung erhält, muss man sich darauf berufen können, bereits darauf hingewiesen zu haben, die Arbeit nicht zu schaffen.
- es besteht eine Nebenpflicht aus dem Arbeitsverhältnis zu sagen „So läuft es nicht!“ beziehungsweise den Arbeitgeber auf drohende Schäden hinzuweisen.
- man kann wegen der Überlastung krank werden. Das kann den Arbeitgeber zu einer Kündigung veranlassen. Dann ist es wichtig, im Rahmen der Kündigungsschutzklage deutlich zu machen, dass diese Krankheit auf Überlastung beruht. Die Überlastung lässt sich aber nur dann überzeugend ins Feld führen, wenn man dem Arbeitgeber diese vorher angezeigt hat.
Die „Überlastungsanzeige“ ist kein formaler juristischer Begriff, es handelt sich nur um einen „technischen“ Begriff. Relevant sind aber die Paragrafen 15 und 16 des Arbeitsschutzgesetzes (siehe Kasten am Ende dieses Artikels). Danach sind Pflegekräfte verpflichtet, so gut wie möglich für ihre eigene Gesundheit, aber auch für die ihrer Mitarbeiter und natürlich die der Patienten Sorge zu tragen. Sie müssen darauf achten, sich und andere nicht in Gefahr zu bringen - etwa wenn sie aufgrund der Hektik und des erhöhten Zeitdrucks schwerwiegende Fehler machen könnten. Zudem muss man die Gefahren für seine Gesundheit unverzüglich melden. Das heißt: Wenn man dauerhaft beruflich überlastet ist und fürchtet deshalb krank zu werden, muss man die Überlastung unverzüglich melden – genauso wie andere Gesundheitsgefahren (etwa große Hitze, rutschige Böden et cetera).
[Erfahren Sie, welche Fakten in eine Überlastungsanzeige gehören in unserem aktuellen Artikel So schreiben Sie eine Überlastungsanzeige: 10 Tipps]
Es geht nicht ums Anschwärzen
Bredereck rät unbedingt zur Verschriftlichung etwa in Form einer E-Mail an den Vorgesetzten. Wichtig ist dabei auch, sich den Eingang bestätigen zu lassen. „So können Sie später mit der Antwort des Chefs beweisen, dass Sie Ihre Überlastung rechtzeitig angezeigt haben und der Vorgesetzte die Anzeige nicht ernst genommen hat.“ Ansonsten bekomme man später aus dieser Überlastung noch Nachteile. „Es geht nicht darum, den Vorgesetzten anzuschwärzen, sondern vor allem darum, sich selbst abzusichern.“
Arbeiten Sie nicht bis zum Umfallen!
Wenn der Arbeitgeber dann nicht reagiert, sollte man anwaltliche Hilfe holen und bei einer Erkrankung auch zum Arzt gehen. „Es kommt leider immer wieder vor, dass Arbeitnehmer, vor allem Arbeitnehmerinnen in den helfenden Berufen, arbeiten bis zum Umfallen. Dann sind sie für den Arbeitsmarkt verloren. Damit ist dann aber niemandem gedient.“
Frauen ringen um Anerkennung, Männer schalten auf Leerlauf
Denn Kranken- und Altenpflegerinnen, so der Anwalt, reagieren anders als ihre männlichen Kollegen: „Sie sind oft längst krank und werden trotzdem noch als `Mitarbeiterin des Monats´ gefeiert. Männer schalten dann eher auf Leerlauf, sie neigen bei Überlastung dazu, nur noch Dienst nach Vorschrift zu machen.“ Bei Frauen spiele im Job grundsätzlich der Faktor Anerkennung eine große Rolle. Sie fühlten sich daher meist auch empfindlich getroffen, wenn das Team, die Patienten oder der Chef auf eine Überlastungsanzeige mit „Liebesentzug“ reagieren.
Überlastungsanzeige - mancher Chef reagiert mit Mobbing
„Nicht selten führt das zur Zerstörung der Chemie und man wird zum Mobbing-Opfer, zum schwarzen Schaf. Das ist eigentlich die größte Gefahr.“
Arbeitgeber dürfen auf eine Überlastungsanzeige jedenfalls nicht mit einer Abmahnung reagieren. Das hat das Arbeitsgericht Göttingen Ende 2017 im Fall einer examinierten Pflegefachkraft am Asklepios Fachklinikum Göttingen entschieden (Az.: 2 Ca 155/17).
Bei Überlastung Betriebsrat einschalten
Anderseits gilt aber auch: „Man muss in jedem einzelnen Fall die Folgen abwägen, ob sich eine Überlastungsanzeige lohnt. Auf jeden Fall ist von einer internen Rudelbildung abzuraten, das nehmen Arbeitgeber sehr übel“, warnt Bredereck. Besser wäre, einen offiziellen Sprecher wie den Betriebsrat oder die Gewerkschaft einzuschalten. „Das sind gewählte innerbetriebliche beziehungsweise externe Organe, die können anders agieren.“
Die 5 größten Fehler
Weitere Fehler, die immer wieder passieren bei einer Überlastungsanzeige:
- Man umgeht den Dienstweg, spricht also nicht den direkten Vorgesetzten oder vom Arbeitgeber für solche Fälle Beauftragten an, sondern den Vorstandsvorsitzenden.
- Man überdreht, „kotzt sich aus“. Sachlichkeit ist oberstes Gebot!
- Das Schreiben der Überlastungsanzeige sollte unbedingt eine vertraute Person gegenlesen. Emotionen haben auch in dem Schreiben nichts zu suchen!
- Die Art und Weise der Überlastung sollte möglichst faktengetreu beschrieben werden, etwa dass man den Pflegebedürftigen allein nicht sachgerecht lagern könne wegen des kranken Rückens oder dass man aus Zeitgründen mit der vorgeschriebenen Dokumentation nicht nachkomme.
- Zu warnen sei aber auch davor, so der Anwalt, sich auf dem Fachkräftemangel auszuruhen, das eigene Arbeitspensum herunterzuschrauben und dann eine Überlastung zu beklagen. „Das geht gar nicht, kommt aber in letzter Zeit häufiger vor, nicht nur im Pflege-, sondern auch im Erzieherbereich.“ Wer so agiere, müsse sich früher oder später über eine Abmahnung oder gar Kündigung nicht wundern, sagt Bredereck.
[Überlastungsanzeige per E-Mail oder Brief? Mehr dazu in unserem aktuellen Artikel So schreiben Sie eine Überlastungsanzeige: 10 Tipps]
Überlastung - die Gesetzeslage
Nach Paragraf 15 (Pflichten) des Arbeitsschutzgesetzes sind Beschäftigte „verpflichtet, nach ihren Möglichkeiten sowie gemäß der Unterweisung und Weisung des Arbeitgebers für ihre Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit Sorge zu tragen.“ Zudem haben sie „auch für die Sicherheit und Gesundheit derjenigen Personen zu sorgen, die von ihren Handlungen oder Unterlassungen bei der Arbeit betroffen sind.“ Für den Pflegeberuf heißt das: Es geht nicht nur um die eigene Sicherheit, sondern auch um das Wohl der Patienten.
Nach Paragraf 16 (Besondere Unterstützungspflichten) haben Beschäftigte dem Arbeitgeber oder Vorgesetzten „jede von ihnen festgestellte unmittelbare erhebliche Gefahr für die Sicherheit und Gesundheit sowie jeden an den Schutzsystemen festgestellten Defekt unverzüglich zu melden“ (Absatz 1). Ferner haben „die Beschäftigten gemeinsam mit dem Betriebsarzt und der Fachkraft für Arbeitssicherheit den Arbeitgeber darin zu unterstützen, die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Beschäftigten bei der Arbeit zu gewährleisten und seine Pflichten entsprechend den behördlichen Auflagen zu erfüllen. Unbeschadet ihrer Pflicht nach Absatz 1 sollen die Beschäftigten von ihnen festgestellte Gefahren für Sicherheit und Gesundheit und Mängel an den Schutzsystemen auch der Fachkraft für Arbeitssicherheit, dem Betriebsarzt oder dem Sicherheitsbeauftragten nach Paragraf 22 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch mitteilen.“ (bvl)
Autorin: Birgitta vom Lehn
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