Es war zuerst nur ein knappes Dutzend leidgeprüfter Ärzte und Pflegekräfte, die sich vor gut einem Jahr über Twitter fanden. Um sich auszutauschen, sich gegenseitig zuzuhören, Tipps zu geben. Und um dann festzustellen: Ob in Berlin, Kassel oder Jena - die Probleme sind überall gleich.
#Twankenhaus soll ein „Next Generation Think Tank“ sein
So entstand ein Gefühl der Gemeinsamkeit - und der Hashtag #Twankenhaus, gebildet aus Twitter und Krankenhaus. Nicht irgendein Hashtag: Den Initiatoren begreifen sich als „Next Generation Think Tank“ zur Problemzone Gesundheit. Aus dem Twitter-Hashtag ist inzwischen ein Verein mit über 70 Mitgliedern geworden (weitere Mitglieder sind willkommen), der mit Positionspapieren und Diskussionsveranstaltungen seine „Utopie eines am Patienten orientierten Gesundheitssystems“ an Verbände und Politik tragen will.
#Twankenhaus prangert die „Misere des Systems“ an
Jobportal pflegen-online.de empfiehlt:
Bei Twankenhaus sind alle Berufsgruppen vertreten, die nah am Patienten arbeiten und dort, so sagen sie, die „Misere des Systems“ erleben: Neben Ärztinnen, Ärzten und Pflegekräften Rettungsassistenten, Studenten, Patientenvertreter, Physiotherapeuten und andere Therapeuten.
Wir sprachen mit der Krankenschwester Kathrin Hüster aus dem Vereinsvorstand über die Ziele von Twankenhaus.
pflegen-online: Was sind denn die Gemeinsamkeiten, die die unterschiedlichen Professionen in der Gesundheitsbranche verbindet?
Wir haben einen gemeinsamen Fokus. Das ist der Patient, der durch das Gesundheitssystem geschleust wird. Er ist das schwächste Glied in dieser Kette und derjenige, der als Allererster den ökonomischen Druck erfährt. Stelleneinsparungen und Personalmangel erlebt er tagtäglich im Krankenhaus oder Pflegeheim. Und wir, ob Ärzte oder Pflegende, müssen dann sehen, wie wir noch eine verantwortungsvolle Therapie hinbekommen. Wir stehen am Bett der Patienten – nicht die Klinikverwaltung, nicht die Krankenkassen, nicht die Politik.
In der Vergangenheit sind sich Ärzte und Pflege nicht immer grün gewesen...
Das altbackene Klischee, dass Ärzte gegen die Pflege schießen und umgekehrt, stimmt nicht mehr. Ich habe solche „Kämpfe“ in den letzten Jahren nur noch selten erlebt. Weil wir wissen, dass wir alle gemeinsam in diesem System gefangen sind. Unsere Initiative steht für diese neue Gemeinsamkeit: Wir engagieren uns miteinander für ein gerechtes System, auf Augenhöhe mit allen Fachdisziplinen, und versuchen übergreifende Lösungsansätze zu finden.
Auch die Pflegebranche scheint eher zersplittert. Täuscht der Eindruck?
Leider ist das momentan so! Die Pflege hat sich zwar vom Image des Serviceanbieters emanzipiert und wird nun als eigene Profession wahrgenommen aber die starke Interessenvertretung fehlt. Als ich 1999 meine Ausbildung begann, sprach man schon von einer Pflegekammer. Das ist jetzt 20 Jahre her und die ersten Pflegekammern haben sich gerade gebildet, gegen großen Widerstand. Meine Hoffnung ist, dass diese Kammern die Pflegekräfte vereinen.
Die Pflege ist innerhalb des Gesundheitssystems die größte Berufsgruppe bundesweit. Das muss man sich immer wieder bewusst machen, vereinzelte Splittergruppen und Vereinigungen helfen da wenig. Die Pflege braucht eine gemeinsame Stimme, um den Beruf weiterzuentwickeln und muss auch als eigene Wissenschaft endlich den Respekt bekommen, den sie verdient.
Wie sehen die Probleme konkret bei Ihnen aus?
Meine Heimat ist die Intensivstation. Auch da, obwohl es mittlerweile Personaluntergrenzen gibt – 1 zu 2 tagsüber und 1 zu 3,5 nachts – werde ich meinen Patienten nicht gerecht. Ich wäge oft ab, wer jetzt schlechter versorgt werden kann. Nicht gefährdend nur eben schlechter.
Ist die Personaldecke dann besonders dünn, kommt auch mal ein dritter Patient tagsüber und ein vierter Patient nachts dazu. Verlegung wäre eine Idee, aber es gibt einfach nicht genügend belegbare Intensivbetten aufgrund der dünnen Personaldecke. Das Polytrauma oder der STEMI (Anm. d. Red.: Myokardinfarkt) muss aber dennoch intensivmedizinisch betreut werden. Und so kann ich nur gucken, dass ich mit dem ärztlichen Team zusammen das Bestmögliche für den Patienten erreiche.
Das bedeutet aber auch, dass Ärzte ebenfalls ihre Tätigkeiten erzwungenermaßen verändern müssen und auch uns unterstützen. Wir stehen alle unter Druck und versuchen uns tagtäglich dagegen aufzulehnen, aber wir werden als Einzelne nicht gehört.
Wird zu viel über die Probleme des deutschen Gesundheitssystems gesprochen, aber zu wenig mit denjenigen, die für die Gesundheit der Patienten vor Ort zuständig und verantwortlich sind?
Ja! Die großen Akteure der Gesundheitspolitik sprechen nicht mit denen, die es betrifft. Mit Andreas Westerfellhaus wurde zum ersten Mal vom BGM ein Pflegebevollmächtigter berufen. Damit verknüpften wir große Hoffnungen. Aber seine bisherige Arbeit hat uns enttäuscht. Wirklich mit uns geredet hat er noch nicht.
Wie wollen Sie auf Politik und Verbände konkret Einfluss nehmen?
Wir sind ja noch am Anfang und haben gerade erst den Verein gegründet. Wichtig ist uns, Lösungen zu erarbeiten und nicht nur zu motzen. Auf dem Gründungstreffen haben wir eine Mainzer Erklärung verabschiedet, in der wir unser Selbstverständnis als unabhängige Initiative formuliert haben.
Nun gehen wir auf zwei Wegen weiter: Intern erarbeiten wir unsere Positionen zu den vielen Missständen im Gesundheitssystem, nach außen knüpfen wir Kontakte zu den Verbänden und Kammern. Ein offener Brief an Gesundheitsminister Spahn soll als nächster Schritt eine Gesprächsebene zur Politik öffnen.
Nicht nur über den #Twankenhaus sondern auch mit #MeinEinsatzFürDich oder #WunschUndWirklichkeit sind Sie auf Twitter aktiv. Was versteckt hinter diesen Hashtags?
Das ist unsere Art der Themenwochen. Unter #MeinEinsatzFürDich wollen wir zeigen, dass es neben Arzt und Pflege auch noch viele andere Menschen gibt, die sich um die Patienten kümmern, die aber kaum sichtbar sind. Das fängt beim Labor an, geht weiter über die Mitarbeiter, die sich zum Beispiel um infektiösen Müll kümmern bis zu den Reinigungskräften, die mit dafür sorgen, dass Keime keine Chance haben.
Unter #WunschUndWirklichkeit twittern Betroffene, wie ihr Berufsalltag aussieht, und was sie verändert haben wollen. Daraus ziehen wir unsere Forderungen an die Politik.
Was wünschen Sie sich besonders für die Pflege von der Politik?
Dass wir gehört werden! Dass nicht nur die Arbeitgeberverbände, die Klinikbetreiber, die Krankenkassen angehört werden. Es kann nicht sein, dass die Pflege immer noch als Kostenfaktor gesehen wird und nicht als Erlösfaktor.
Ich wünsche mir, dass man mit uns an der Basis redet – und dass nicht medieninszeniert. Dass man uns nicht länger als selbstverständlich hinnimmt und darauf hofft „Das geht schon irgendwie so“.
Autor: Hans-Georg Sausse
Zur Person
Kathrin Hüster gehört zum achtköpfigen Vereinsvorstand von Twankenhaus. Seit 18 Jahren ist sie Krankenschwester, davon sieben auf Intensivstationen, zuletzt im Klinikum Hochsauerland. Im Oktober 2019 hat sie angefangen, Medizin zu studieren. Deshalb arbeitet sie jetzt als Freelancerin in Kliniken zwischen Hagen und Bochum.