Gute Dienste leisten, anderen beistehen, zupacken und unterstützen: Die meisten Menschen, die im Pflegeberuf arbeiten, möchten helfen. Mitgefühl mit Schwachen haben und helfen wollen sind wesentliche Merkmale des Menschen. „Und der Mensch heißt Mensch, weil er mitfühlt und vergibt", singt Herbert Grönemeyer. „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut", so postulierte es Dichterkönig Johann Wolfgang von Goethe.
Die Psychologie führt die Hilfsbereitschaft auf frühkindliche Prägungen zurück: „Die biologische Wurzel der menschlichen Hilfsbereitschaft liegt in der langen, intensiven Mutter-Kind-Beziehung, welche für das Überleben eines bei der Geburt hilflosen Geschöpfs notwendig ist. Die Bereitschaft zu solchen Beziehungen ist tief in unserer Emotionalität verankert", so formuliert es der Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer.
Schmidbauer: Suche nach Selbstbestärkung
Wie jedoch unterscheiden sich Hilfe und Hilfsbereitschaft vom berüchtigten Helfersyndrom? Bei Pflegekräften, die vom Helfersyndrom beherrscht werden, geht das Helfen weit über ihre professionelle Rolle hinaus. Es ist auch kein spontanes Helfen, wie etwa in einer plötzlichen Notsituation. Pflegekräfte, die am Helfersyndrom leiden, helfen so, dass sie immer die Gebenden, die Unabhängigen, die Stärkeren und die Versorgenden sind.
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Anders gesagt: „Die Helfer suchen Sicherheit darin, dass sie stärker und vitaler sind als ihre Schützlinge. Sie triumphieren nicht, sie dienen, sie verachten die Schwachen nicht, sondern sie helfen ihnen. Sie sind ganz für die Schwachen da", so Psychoanalytiker Schmidbauer. Um es drastisch zu sagen: Der Helfer mit Helfersyndrom hilft in erster Linie, um sich selbst zu stabilisieren, um seine Psyche zu stützen, er missbraucht die Klienten geradezu. Sie dienen dazu, den Helfenden zu bestärken.
Anzeichen des Helfersyndroms
Wie können Sie erkennen, ob Sie selbst am Helfersyndrom leiden? Achten Sie auf diese Merkmale:
- Die Balance zwischen Geben und Nehmen ist nicht ausgewogen. Sie geben wesentlich mehr, als Sie nehmen.
- Sie fragen Ihre Klienten nicht mehr, welche Bedürfnisse sie haben. Sie helfen ungefragt.
- Erschöpfung, Müdigkeit und Überforderung sind „normal" geworden.
- Immer öfter werden Sie von einer depressiven Grundstimmung beherrscht.
- Sie wollen alles selbst machen, Unterstützung von anderen nehmen Sie partout nicht an.
- Mit Medikamenten oder anderen Suchtmitteln versuchen Sie, die Belastung auszuhalten.
Mögliche Folgen: Burn-out und Depressionen
Treffen viele dieser Punkte bei Ihnen zu, sollten die Alarmglocken läuten. Die Folgen eines Helfersyndroms können Burn-out, Depressionen und psychosomatische Erkrankungen sein. Deshalb ist es so wichtig, dass Sie bei sich ein Helfersyndrom erkennen können. Um der Aufopferungsfalle zu entgehen, heißt es dann, ehrlich in den Spiegel zu schauen und Bilanz zu ziehen. Bleibt bei all der Hilfe, die ich anderen zukommen lasse, noch genügend Kraft für mich selbst übrig?
Helfersyndrom auch für Bewohner fatal
Umdenken heißt dabei nicht, vom mitfühlenden Menschen zum Egoisten zu werden. Es heißt lediglich, eine Grenze zu ziehen und die eigenen Wünsche und Bedürfnisse starker wertzuschätzen. Auch für die Bewohner und Patienten ist das Helfersyndrom fatal. Sie werden hilfsbedürftiger gemacht als nötig, und das ist das Gegenteil von anregender, fördernder Pflege. Die Individualität gerät in den Hintergrund, Wünsche nach Selbstbestimmung werden nicht mehr wahrgenommen.
Autorinnen: Sandra Masemann/Barbara Messer (Bearbeitung für pflegen-online: Michael Handwerk)