Was ist in der Branche nicht so gern gesehen, aber was wird toleriert? Eine einfache Antwort auf diese Frage gibt es nicht. Was auf jeden Fall gilt, ist eine unter Juristen gerne mit einem Augenzwinkern verwendete Verlegenheitsantwort: „Das kommt darauf an.“ Es kommt an auf den Arbeitgeber, den Träger, die von mir betreuten kranken oder alten Menschen und die teils miteinander konkurrierenden rechtlichen Bestimmungen, die hier mit hineinspielen – und nicht zuletzt die Toleranzfreudigkeit der Gesellschaft und der Fachkräftemangel in der Pflege, der Arbeitgeber dazu bringen kann, die Leinen lockerer zu halten.
Diese 5 Bestimmungen spielen eine Rolle
Die entscheidenden Bestimmungen und Kräfte kann man sich wie einen Stern mit fünf Spitzen vorstellen:
- Allgemeines Persönlichkeitsrecht des Mitarbeiters: Allgemeines Persönlichkeitsrecht des Mitarbeiters Jeder Mitarbeiter ist erst einmal frei in der Entscheidung, was er anzieht oder wie er aussieht (allgemeines Persönlichkeitsrecht aus dem Grundgesetz). Dieses Recht kann aber etwa mit professionellen Standards wie der Hygiene kollidieren.
- Weisungsrecht des Arbeitgebers: Das Weisungsrecht („Direktionsrecht“) kann Vorgaben zum Aussehen am Arbeitsplatz machen. Beispiel: einheitliche Dienstkleidung. Dafür braucht es aber eine stichhaltige Begründung.
- Sicherheit am Arbeitsplatz für Mitarbeiter und Patienten: das Infektionsschutzgesetz: Das Infektionsschutzgesetz ist speziell auch für das Gesundheitswesen präzisiert in der „Technischen Regel für Biologische Arbeitsstoffe“ (Abkürzung: TRBA 250) – zum Beispiel für Schmuck und Fingernägel an Hand und Unterarm. Technische Regeln bilden den aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik ab.
- Fürsorgepflicht des Arbeitgebers: Paragraf 5 Arbeitsschutzgesetz verpflichtet den Arbeitgeber, eine „Gefährdungsbeurteilung“ ausarbeiten – für Gesundheitsrisiken am Arbeitsplatz und den Umgang damit. Hier besitzt er Verantwortung– und Weisungsbefugnis. Allerdings muss gut begründet sein, dass die Standards wirksam vor Gefahren schützen (siehe „Weisungsrecht“). Grenzen finden die Vorgaben im allgemeinen Persönlichkeitsrecht (s. o.). Missachten Arbeitnehmer die hausinternen Standards wiederholt, drohen Abmahnung und Kündigung.
- Gesellschaftliche Toleranz und Zeitgeist: Jenseits von rechtlichen Normen gibt es noch den persönlichen Geschmack von Arbeitgeber und Beschäftigtem. Und die Toleranzbereitschaft in Einrichtung, Team und Gesellschaft. Um eine verträgliche Lösung zu finden, sei ein wichtiges Prinzip immer das der Verhältnismäßigkeit, sagt Michael Kowatzky, der für die Berufsgenossenschaft BGW Betriebe im Gesundheitswesen (vor allem Pflegeeinrichtungen) in dieser Frage kontrolliert wie berät. „Der Arbeitgeber hat eine Weisungsbefugnis, aber die geht natürlich nicht ins Unendliche.“ Kein Arbeitgeber könne sagen: „Ich möchte, dass Sie Ihre Haare rot färben, weil mir das besser gefällt.“ Die Persönlichkeitsrechte müssten gewahrt bleiben. „Ist eine Maßnahme jedoch durch eine reale Gefährdung fundiert begründet, kann und muss ein Arbeitgeber sie im Haus durchsetzen. So sind künstliche Fingernägel aus Hygienegründen in Pflegeberufen nicht erlaubt. Dasselbe gilt für Ringe an den Fingern – auch für Eheringe. Mitarbeiter, die dann nicht mitspielten, könne ein Arbeitgeber abmahnen. Umgekehrt könnten Arbeitnehmer, die mit einer Vorgabe nicht einverstanden sind, dagegen klagen. „Beschäftigte sind dem Arbeitgeber ja nicht völlig ausgeliefert“, sagt Kowatzky.
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Doch was genau ist verboten? Was kann toleriert werden? Wie sind die sechs der beliebtesten Stylings zu beurteilen?
1. Tattoos
In vielen Branchen sind Tätowierungen ein Tabu. In der Pflege nicht. Hier sind sie sogar sehr verbreitet. Manche Kliniken werben als Arbeitgeber sogar mit Plakaten oder Videos, die (junge) Pflegefachkräfte mit tätowierten Unterarmen zeigen. Tattoos, die kleiner sind oder die man mit Dienstkleidung verdecken kann, gelten als akzeptabel. Nicht so gerne gesehen sind größere Tattoos an sichtbaren, nicht abdeckbaren Partien des Körpers.
Als unangemessen gelten Tätowierungen im Gesicht. Aus Respekt vor ihren hochbetagten Bewohnern oder Patienten verbieten Einrichtungen sichtbare Totenkopf-Tätowierungen. Strafrechtsrelevante Tattoos, die beispielsweise verfassungsfeindliche Symbole wie das Hakenkreuz zeigen, sind verboten.
Wer eine leitende Position anstrebt, kann mit Tattoos schlechtere Karten haben: Für manchen Arbeitgeber strahlen sie nicht die Seriosität aus, die sie von einer Führungskraft erwarten.
2. Piercings
Kleinere Piercings (Ohr-/Nasenstecker) gelten als unproblematisch. Größere Piercings erhöhen die Gefahr, sich selbst oder andere zu verletzen – erst recht Piercings mit Kanten oder Spitzen. Sie können auch deshalb eine Eigengefährdung darstellen, da diese von Patienten abgerissen werden könnten.
Von einem Piercing mit entzündungsfreier Hautumgebung gehen laut Robert Koch-Institut im Stationsalltag keine besonderen Infektionsgefahren aus. Ist ein Piercing infiziert (unmittelbar nach dem Stechen, aber auch später), sollte dies laut Robert Koch-Institut dem Vorgesetzten und dem Betriebsarzt gemeldet werden. Sie können dann prüfen (lassen), ob oder inwieweit die Ausübung der Tätigkeit unter dem Aspekt der Patientensicherheit möglich ist. Eine Übertragung von Infektionserregern vom Pflegepersonal auf Patienten ist denkbar.
3. Fingernägel
Lange natürliche beziehungsweise künstlich verlängerte Fingernägel stehen einer regelmäßig nötigen Händedesinfektion in professioneller Qualität im Wege. Hinzu kommt: Sie können die Behandlungshandschuhe perforieren und ihnen ihre Schutzwirkung nehmen.
4. Lange Haare, exponierte Schmuckstücke und Accessoires
Halsketten, Ohrringe mit großem Durchmesser (Kreolen), lange Haare, aber auch Schals können die Eigengefährdung von Pflegekräften erhöhen: Es besteht das Risiko, dass verwirrte oder an Demenz erkrankte Patienten sie ergreifen und schlimmstenfalls ab- oder herausreißen.
5. Lippenstift, grelle Schminke, aufreizendes Äußeres
Beim Berliner Krankenhauskonzern Vivantes sind Lippenstift und Schminke kein Thema. Es gibt aber auch Einrichtungen, da ist auffällige Kosmetik im Dienst gemäß Betriebsvereinbarung nicht erlaubt. „Es kann an der falschen Stelle provokant sein“, sagt etwa Helmut Wallrafen, Geschäftsführer der Sozial-Holding der Stadt Mönchengladbach, zur Begründung. „Das Thema Sexualität spielt ja auch im Alter eine Rolle. Mindestens ein Drittel der Frauen hebt regelmäßig die Hand, wenn man fragt: Gibt es sexuelle Belästigung. Wir haben mit alten, oft verwirrten und nicht immer zurechnungsfähigen Menschen zu tun.“ Geschlossenheit der Kleidung und Verzicht auf aufreizendes Äußeres könnten einen sachlicheren Umgang erleichtern und möglichen Übergriffen vorbeugen.
Kaugummi kauen
Das Kaugummi im Mund ist kein Styling im eigentlichen Sinne. Es beeinflusst aber die äußere Erscheinung (vermittelt einen Eindruck) und ist deshalb immer wieder Auslöser für kleine Auseinandersetzungen. Es gilt im Kontakt mit Patienten oder Bewohnern vielfach als nicht angebracht. In den Pausen ist es allerdings kein Problem.
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Vivantes in Berlin als Praxisbeispiel
Als Beispiel dafür, wie Einrichtungen mit dem rechtlichen und gesellschaftlichen Fünfeck und seinen teils widersprüchlichen Kräften umgehen, sei der kommunale Berliner Krankenhauskonzern Vivantes genannt. „Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei Vivantes sind so vielfältig wie die Metropole Berlin“, sagt Martina Henke, Sprecherin der Pflegedirektion bei Vivantes. „Ob Pflegekräfte tätowiert sind, gefärbte Haare haben oder sich privat ausgefallen kleiden, spielt für uns keine Rolle, solange das Erscheinungsbild während des Diensts insgesamt gepflegt ist.“ Bei Vivantes zählten ausschließlich die fachliche Qualifikation sowie eine zugewandte Kommunikation mit Patienten und Kollegen. „Mit Blick auf Hygienevorschriften gelten allerdings ein paar Regeln, an die sich jeder halten muss: So dürfen bei pflegerischen Tätigkeiten etwa keine Uhren und Schmuckstücke an den Armen getragen werden. Die Fingernägel müssen zudem unlackiert und kurz geschnitten sein.“
Text: Adalbert Zehnder
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