Länger als eine Stunde sollte die Pflegekraft in Rufbereitschaft nicht brauchen. 
Foto: Jens Schünemann
Länger als eine Stunde sollte die Pflegekraft in Rufbereitschaft nicht brauchen. 

Arbeitsrecht

Streit wegen Rufbereitschaft: 14 klärende FAQs 

Wo verläuft die Grenze zum Bereitschaftsdienst? Wie weit kann ich mich vom Einsatzort entfernen? Darf ich auf eine Party gehen? Fragen wie diese entfachen Diskussionen

Da ist man mitten am Grillen und das Handy klingelt. Rufbereitschaft, die Gartenparty ist vorbei. Eine Szene, die für manche Pflegekräfte Arbeitsalltag ist. Und in den Arbeitsverträgen in der Regel eindeutig beschrieben ist. Doch es lohnt sich, genau hinzuschauen – Stichwort „Einspringen aus dem Frei“ oder „Bereitschaftsdienst durch die Hintertür“. Was geht und was nicht erlaubt ist – ein Überblick.

1. Frage: Ist Rufbereitschaft Arbeitszeit?

Eine Frage, die bisher nicht eindeutig geklärt wurde. Nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) ist auch Rufbereitschaft Arbeitszeit. Er urteilte 2018, dass Bereitschaftszeit, die ein Arbeitnehmer zu Hause verbringt und während der er der Verpflichtung unterliegt, einem Ruf des Arbeitgebers zum Einsatz innerhalb kurzer Zeit Folge zu leisten hat, als Arbeitszeit anzusehen ist. Denn die Verpflichtung, persönlich an dem vom Arbeitgeber bestimmten Ort anwesend zu sein, sowie die Vorgabe, sich innerhalb kurzer Zeit am Arbeitsplatz einzufinden, schränken die Möglichkeiten eines Arbeitnehmers erheblich ein, sich anderen Tätigkeiten zu widmen, so die Begründung des EuGH.

Das deutsche Arbeitszeitgesetz sieht das anders. Danach zählt die Zeit, in der die Pflegekraft nicht gerufen wird, als Ruhezeit. Muss die Pflegekraft während der Rufbereitschaft tätig werden, zählt die Zeit der Arbeitsleistung als Arbeitszeit. 

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Nach dem Betriebsverfassungsrecht wiederum gilt Rufbereitschaft als Arbeitszeit. Hier gibt es offensichtlich noch Klärungsbedarf.

2. Frage: Was ist der Unterschied zwischen Rufbereitschaft und Bereitschaftsdienst?

Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft unterscheiden sich in der Regel dadurch, dass sich beim Bereitschaftsdienst die Pflegekraft an einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle aufhält – für die Rufbereitschaft gilt dies nicht. Da dies für den Bereitschaftsdienst in der Regel das Krankenhaus oder der Sitz des ambulanten Dienstes ist (in seltenen Fällen auch das Pflegeheim) ist, damit die Pflegekraft im Bedarfsfall umgehend die Arbeit aufnehmen kann, fällte das EuGH schon 2003 ein grundsätzliches Urteil: Demnach muss der Bereitschaftsdienst vollständig als Arbeitszeit gewertet werden.

Das EuGH-Urteil bedeutet: Der Bereitschaftsdienst muss komplett als geleistete Arbeitszeit entlohnt werden. Das hat manche Arbeitgeber dazu verleitet, Rufbereitschaft anzuordnen, wenn es sich eigentlich um einen Bereitschaftsdienst handelt.

3. Frage: Was dürfen Pflegekräfte in der Rufbereitschaft?

Die Rufbereitschaftszeit können Pflegekräfte in der Regel so gestalten, wie sie möchten. Ins Kino gehen, Party feiern, mit der Familie einen Ausflug unternehmen – das alles ist erlaubt, allerdings in Absprache mit dem Arbeitgeber. Pflegekräfte müssen sich an einem Ort aufhalten, der so nah an ihrem Arbeitsplatz liegt, dass sie jederzeit und „zeitnah“ verfügbar sind.

Der Begriff „zeitnah“ ist dabei juristisch umstritten. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) urteilte, dass zwischen dem Abruf und der Arbeitsaufnahme nur eine solche Zeitspanne liegen dürfe, die den Einsatz nicht gefährdet und die Arbeitsaufnahme gewährleistet. In einem anderen Urteil heißt es, dass bei einer Zeitvorgabe von 20 Minuten der Arbeitnehmer gezwungen ist, sich in der Nähe des Arbeitsplatzes aufzuhalten, somit nicht mehr Rufbereitschaft sondern Bereitschaftsdienst vorliege. Eine allgemeingültige Vorgabe oder ein allgemeingültiges Urteil gibt es allerdings nicht. Aus allem, was verlautbart wurde, dass Pflegekräfte in Rufbereitschaft zwischen 30 und 60 Minuten einsetzbar sein sollten.

Fest steht auf jeden Fall, dass man während der Rufbereitschaft jederzeit einsatzfähig bleiben muss. Also Vorsicht mit Alkoholkonsum. Außerdem muss die Erreichbarkeit gewährleistet sein. Etwa durch Handy.

4. Frage: Ist Rufbereitschaft Pflicht?

Nein, nur wenn es im Arbeitsvertrag steht, eine entsprechende Betriebsvereinbarung existiert oder die Rufbereitschaft in einem Tarifvertrag geregelt ist. Gibt es keine vertragliche Regelung zu Rufbereitschaft, darf die Pflegekraft die Rufbereitschaft verweigern. Gibt es allerdings eine Vereinbarung, muss die Rufbereitschaft geleistet werden. Bei Verweigerung kann der Arbeitgeber abmahnen und bei wiederholter Weigerung sogar kündigen.

5. Frage: Muss die Rufbereitschaft begründet werden?

Nach dem TVöD kann die Rufbereitschaft nur angeordnet werden, wenn es akute dienstliche oder betriebliche Gründe gibt. Das heißt, dass eine vorhersehbare und planbare Arbeitsleistung nicht als Rufbereitschaft gewertet werden kann. „Einspringen aus dem Frei“ kann verweigert werden. Der Arbeitgeber muss immer einen konkreten Anlass haben, um die Rufbereitschaft anzuordnen.

6. Frage: Ist die Rufbereitschaft zeitlich begrenzt?

Ja. Bei Rufbereitschaft wird ein Zeitraum festgelegt, innerhalb dessen sich die Pflegekräfte bereithalten und mit Arbeitseinsätzen rechnen müssen. Wenn dieser Zeitraum abgelaufen ist, endet die Rufbereitschaft.

7. Frage: Auf welche Weise muss der Arbeitgeber die Rufbereitschaft anordnen?

Nach TVöD schriftlich. In der Anordnung muss der Arbeitgeber auch festlegen, wo sich die Pflegekraft während der Rufbereitschaft aufhalten darf. In der Regel aber wird das mündlich und auf Zuruf abgesprochen.

8. Frage: Wie oft darf eine Rufbereitschaft verlangt werden?

Die Zeit der Rufbereitschaft zählt nicht zur Arbeitszeit und ist deshalb grundsätzlich ohne bestimmte Grenzen zulässig.

9. Frage: Wie oft ist eine Rufbereitschaft zulässig?

Eine gesetzliche Regelung gibt es dazu nicht. Sie können aber als Vereinbarungen Teil von Arbeits- und Tarifverträge sein.  Als allgemeine Vorgabe und Vorgangsweise ist die Anordnung der Rufbereitschaft zulässig, wenn sie weniger als ein Achtel der regulären Arbeitszeit einnimmt.

10. Frage: Wie wird die Rufbereitschaft vergütet?

Das ist üblicherweise im Arbeitsvertrag oder im Tarifvertrag geregelt. Zwei Vergütungsformen sind die Regel:

  • Pauschale Vergütung: Die Pflegekraft wird pauschal vergütet – unabhängig davon, ob und wie viel Arbeitsleistung sie während der Rufbereitschaft erbringt.
  • Stundenlohn: Bezahlung gibt es nur für die Zeit der Rufbereitschaft, in der der Arbeitnehmer Arbeitsleistung erbringt. Üblich ist dabei eine Bezahlung nach dem regulären Stundenlohn plus Zuschlag.
  • Nach TVöD: Dort wird die Vergütung der Rufbereitschaft gemäß § 8 Abs. 3 in Form einer Entgeltpauschale geregelt. Die Höhe der Entgeltpauschale hängt vom Zeitumfang (mindestens 12 Stunden) und der jeweiligen Entgeltgruppe ab. Von Montag bis Freitag gilt der zweifache Satz der jeweiligen Entgeltgruppe; Samstags, Sonntags oder Feiertags wird der vierfache Stundensatz zugrunde gelegt. Bei weniger als 12 Stunden Rufbereitschaft liegt die Vergütung bei 12,55 Prozent des Stundensatzes.

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11. Frage: Wie viele Stunden müssen zwischen Arbeitsende und Beginn liegen?

Nach der werktäglichen Arbeitszeit gilt eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens 11 Stunden. Kommt es während der Rufbereitschaft zu einem Arbeitseinsatz, wird die Ruhezeit dadurch unterbrochen und muss entsprechend nachgeholt werden. 

12. Frage: Gibt es für Rufbereitschaft extra Urlaub?

Nein. Da die Rufbereitschaft als Ruhezeit gilt, kann nur die Arbeitszeit, die während der Bereitschaft anfällt, auf den Urlaubsanspruch angerechnet werden.

13. Frage: Ist Fahrzeit bei Rufbereitschaft Arbeitszeit?

Nach dem Arbeitsrecht zählt die Fahrzeit bei Rufbereitschaft nicht als Arbeitszeit. Nur in Ausnahmefällen wird sie als solche betrachtet. Dies vor allem dann, wenn ein Mitarbeiter innerhalb einer sehr kurzen Zeit an der Einsatzstelle sein muss und folglich den Ort seiner Freizeit nicht frei wählen kann.

14. Frage: Gibt es Grenzen bei der Rufbereitschaft?

Ja, allerdings sind die im Arbeitsrecht weit gefasst. So darf die tägliche Höchstarbeitszeit von 10 Stunden als auch die wöchentliche Höchstarbeitszeit von 60 Stunden nicht überschritten werden. Es besteht das Gebot der Sonn- und Feiertagsruhe. Und: Rufdienste über ein ganzes Wochenende sind nur erlaubt, wenn der Pflegekraft genügend Zeit zum Ausruhen bleibt.

Autor: Hans-Georg Sausse

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