Frank Vilsmeier, Vizepräsident Pflegeberufekammer Schleswig-Holstein spricht darüber, was sich seit Gründung der Pflegeberufekammer in Schleswig-Holstein verändert hat, warum es wichtig ist, dass die Pflegekammern die Konzertierte Aktion Pflege mitgestalten und warum die kommenden drei Jahre für die Zukunft der Pflege in Deutschland entscheidend sein werden.
pflegen-online: Herr Vilsmeier, mit der Arbeit der Pflegeberufekammer in Schleswig-Holstein starten Sie ja pflegepolitisch in ein neues Zeitalter. Was hat sich in Sachen Mitbestimmung aus Ihrer Sicht seit April verändert? In welchen Gremien und Ausschüssen wird die Pflegeberufekammer in Schleswig-Holstein vertreten sein?
Frank Vilsmeier: Es ist schon nach so kurzer Zeit bemerkbar, dass sich die Ansprache verändert hat. Das Schwierige für Politik und auch für die Presse ist ja die Frage: Wer hat für die berufliche Pflege etwas zu sagen? Und da die Pflege, und zwar nicht nur in Schleswig-Holstein, in so viele Berufsverbände aufgeteilt ist, traut sich niemand, einen bestimmen Berufsverband anzusprechen, weil er befürchtet andere vor den Kopf zu stoßen.
Das veränderte sich fundamental von dem Zeitpunkt an, als wir mit dem Absender Pflegeberufekammer Schleswig-Holstein auftreten konnten. Wir erhalten plötzlich Ansprachen und Anfragen, die es vorher nicht gegeben hat. Wir werden jetzt auch unmittelbar und, anders als früher, im Vorwege von gesetzlichen Entwicklungen angefragt, beispielsweise vom Ministerium, um Expertisen und Einschätzungen zu geben. Bisher war es schwierig, beispielsweise als pflegerischer Berufsverband, im Land überhaupt Gehör zu finden. In der berufspolitischen Arbeit des Landespflegerates seit 2008 haben wir sehr darum kämpfen müssen, Anhörung und Beteiligung zu erhalten. Das ist uns zwar zunehmend gelungen, aber ob man einbezogen wurde, war immer vom ‚Goodwill‘ der politischen Partner und Parteien abhängig – und meistens auch erst, wenn die Entscheidungen im Wesentlichen bereits gefallen waren.
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Seit der Kammergründung im April 2018 ist nun gesetzlich verankert, dass wir unter anderem im Gemeinsamen Landesgremium zur Entwicklung medizinischer Versorgungsstrukturen sowie im Landespflegeausschuss für die Pflege umfassend beteiligt sind. Im MDK-Beirat zur Begleitung des Verwaltungsrates des MDK haben wir ebenfalls Sitz und Stimme, wie auch in der Beteiligtenrunde für die Gewährung von Investitionskostenzuschüssen, Fördermitteln und Krankenhausplätzen in Schleswig-Holstein.
pflegen-online: Was wollen Sie mit der Pflegeberufekammer Schleswig-Holstein pflegepolitisch in Ihrem Bundesland verändern?
Frank Vilsmeier: Es gibt da einiges, was es zu verbessern gilt, insbesondere an den Strukturen des Landesrahmenvertrags. Wir werden uns in naher Zukunft dazu positionieren, wie beispielsweise die Stellenschlüssel in Schleswig-Holstein, insbesondere im Nachtdienst, in diesem Landesrahmenvertrag gestaltet sind.
Die Realität sieht so aus, dass es Pflegeheime mit 120 Bewohnern gibt, die nachts nur eine Fachkraft in der Pflege und zwei unausgebildete Helfer beschäftigen, weil das so günstig finanziert werden kann. Das gilt es aufzulösen, und auch hier im Land dafür zu sorgen, dass eine beanspruchungsgerechte Nachtdienstbesetzung entsteht. Das führt sich im Tagesdienst fort, auch dort müssen die Personalschlüssel angepasst werden. Wir haben bisher eine Betreuung nach Kassenlage, das kann so nicht weitergehen.
Wir beanspruchen Beteiligung, oder zumindest Gehör. Den Landespflegeausschuss werden wir nutzen, um zu beraten und unterschiedliche Sichtweisen einzuholen und vorzubringen. Wichtig ist uns auch, ein Feedback an die Pflegenden zurückzuspielen, die ja ein hohes Interesse daran haben, informiert zu sein. Viele Pflegende arbeiten in einer Art Blackbox was ihre Arbeit betrifft. Insgesamt geht es uns in Schleswig-Holstein erstmal darum, in Richtung der Pflegenden Transparenz, Information und Aufklärung zu betreiben, um insbesondere über die Rahmenbedingungen und über das, was es zu verbessern gilt, aufzuklären.
Damit ist zu verhindern, dass über die Berufsgruppe hinweg Dinge entschieden werden, die unsere Berufsgruppe betreffen. Ich halte es übrigens für völlig absurd, dass es 16 unterschiedliche Personalbemessungen in den 16 Bundesländern gibt, bei einem gleichen Bewertungssystem der Pflegebedürftigkeit. Da müssen alle Pflegekammern ran. Um die Versorgung im Land zu ergänzen, wollen wir im ländlichen Raum gemeinsam mit den Ärzten und dem Ministerium schauen, wie interprofessionelle Arbeit in der Fläche gelingen kann. In anderen Bundesländern gibt es bereits eine Vielzahl von Projekten, aber in Schleswig-Holstein fangen wir jetzt erst langsam damit an. Wir wollen pflegerisch präventive Konzepte entwickeln, um Menschen zu ermöglichen, so lange wie möglich in den eigenen vier Wänden zu leben, also ansetzen, bevor ein Hilfebedarf entsteht.
pflegen-online: Viele Vorhaben lassen sich ja nur mit Unterstützung umsetzen. Wie steht es mit dem Dreiklang aus Kammer, Gewerkschaften und Verbänden in Schleswig-Holstein. Sind Sie Partner oder Gegner?
Frank Vilsmeier: An Tag der Entscheidung, dass es eine Pflegeberufekammer wirklich geben wird, waren wir von gewerkschaftlicher Seite akzeptiert. Wir haben auch Kollegen aus der Gewerkschaft in der Kammerversammlung. Ich finde die Zusammenarbeit konstruktiv und an gleichen Zielen ausgerichtet. Auch die Berufsverbände und der Pflegerat sind involviert, in Personalunion sogar teilweise in die Kammerarbeit inkludiert. Mittelfristig wird es notwendig sein, bei der Ausschuss- oder themenbezogenen Arbeit insbesondere die Berufsverbände einzubeziehen.
Die Diskussionen über die Auflösung der Verbände haben wir hier in Schleswig-Holstein ebenfalls geführt, sind aber zu dem Ergebnis gekommen, dass es einen Austausch der Berufsverbände untereinander geben muss. Für den Pluralismus halte ich es ohnehin für notwendig, dass die Sichtweisen der Gewerkschaften und der Berufsverbände eine Rolle spielen. Es kann keiner für sich beanspruchen, die Wahrheit allein gepachtet zu haben.
pflegen-online: Die Konzertierte Aktion Pflege will in einem Jahr erste Ergebnisse vorweisen. Gearbeitet wird aktuell in fünf Arbeitskreisen. Sind Sie als Pflegeberufekammer Schleswig-Holstein involviert?
Frank Vilsmeier: Es ist uns gelungen, zumindest in die Arbeitsgruppen ‚Ausbildung und Qualifizierung‘, die Arbeitsgruppe ‚Personalmanagement, Arbeitsschutz und Gesundheitsförderung‘ sowie Arbeitsgruppe ‚Innovative Versorgungsansätze und Digitalisierung‘ ein Mitglied von den drei Pflege(berufe)kammern entsenden zu können. In einem Schreiben haben wir aber nochmals deutlich gemacht, dass wir auch eine Beteiligung an dem Dachgremium beanspruchen.
Die drei jetzt bestehenden Pflegekammern vertreten bereits rund 150.000 Pflegefachpersonen, und wir denken, dass wir die Konzertierte Aktion durch Abfragen an unsere Mitglieder unterstützen können. Bedauerlich finde ich, dass die tarifliche Arbeitsgruppe 5, „Entlohnungsbedingungen in der Pflege“, pflegerisch sehr, sehr schwach besetzt ist. Meines Wissens ist dort nur noch der Deutsche Pflegerat vertreten. Es ist zwar nicht davon auszugehen, dass in den Verhandlungen konkrete vertragliche Tarifverhandlungen beschlossen werden, aber ein Tarifvertrag kann mit seiner Eingruppierungsstruktur etwas verhindern oder ermöglichen. Wenn in einer neuen Tarifstruktur die akademische Pflege jetzt nicht berücksichtigt wird, dann werden wir uns noch viele Jahre abstrampeln müssen, um sie überhaupt in den Einrichtungen etablieren zu können. Eine gute Tarifstruktur sollte daher so gestaltet werden, dass auch unterschiedliche Qualifikationen und Zusatzqualifikation Berücksichtigung finden.
pflegen-online: Gibt es Kontakte zu der nur wenige Monate nach Schleswig-Holstein gegründeten Pflegekammer Niedersachsen?
Frank Vilsmeier: Wir sind in einem engen, vertraulichen Miteinander. Das Engagement der Kammern bei der „Konzertierten Aktion Pflege“ haben wir gemeinsam auf den Weg gebracht. Es wird auf jeden Fall weitere Zusammenarbeit geben. Gerade hinsichtlich der Frage, wie eine Bundesvertretung aussehen könnte, gab es bereits intensivere Gespräche. Frühzeitig gilt es für uns auch zu schauen, wie wir eine Harmonisierung vor allem im Bereich der Fort- und Weiterbildungsordnungen hinbekommen, damit wir die Qualifikationen gegenseitig anerkennen können.
pflegen-online: Sie sagen, dass sich die Ansprache in Schleswig Holstein fundamental ab dem Zeitpunkt veränderte, als Sie mit dem Absender Pflegeberufekammer auftreten konnten. Ist ein zügiger Zusammenschluss der Landespflegekammern zu einer Bundespflegekammer dann nicht der logische Schluss?
Frank Vilsmeier: Die große Diskussion ist ja, wie kongruent ist eine Bundespflegekammer mit drei Landespflegekammern im Sinne einer Bundesvertretung der beruflich Pflegenden? Und wie wird das in der Mitgliedschaft gesehen, die ja den Landespflegekammern gegenüber nicht unkritisch ist? Demgegenüber steht die Frage, wie wir es hinbekommen, in den kommenden drei Jahren alle Möglichkeiten einer Einflussnahme auszuschöpfen. Denn die Entscheidungen, die in den kommenden drei Jahren getroffen werden, werden weitreichend sein. Ich kenne das aus der Zeit Mitte der 80er- bis Anfang der 90er-Jahre. Politik, die sich jetzt sehr engagiert, wird dann sagen: Wir haben alles getan, wir haben nun andere Dinge, um die wir uns kümmern müssen. Und hier muss die Bundesvertretung anknüpfen. Wie wir das organisieren, das besprechen wir gerade. Bis Ende des Jahres hoffen wir zu wissen, wie eine gemeinsame Bundesvertretung der Pflegenden aussehen soll, um spätestens Anfang 2019 organisiert zu sein – und zwar so, dass es eine Bezeichnung und eine Adresse gibt.
Vielen Dank für das Gespräch
Interview: Kerstin Werner
Die Arbeit der Pflegekammern ist zentrales Thema des Deutschen Pflegetages 2019, der vom 14.–16. März in der Station Berlin stattfinden wird. „Stark, stärker, Pflegeberufekammern: Eine starke Macht auf dem Weg zur professionellen Selbstverwirklichung“ heißt einer der Programmpunkte. Nutzen Sie bis zum 31. August 2018 den Frühbucherrabatt [embed]https://deutscher-pflegetag.de/tickets[/embed]