Das Coronavirus breitet sich in immer mehr Pflegeheimen aus. Nach Recherchen von Süddeutsche Zeitung, WDR und NDR gibt es aktuell in weit mehr als 1.000 Alten- und Pflegeheimen Corona-Fälle (Stand 23. November). Das veranlasst nun manchen Träger über die vom Robert Koch-Institut empfohlenen Schutzvorkehrungen hinauszugehen. Zum Beispiel die Evangelischen Heimstiftung in Baden-Württemberg: Bei körpernahen Tätigkeiten tragen in sämtlichen 145 Einrichtungen des diakonischen Trägers alle Pflegekräfte FFP2-Masken; in einigen Regionen mit hoher Corona-Inzidenz sogar durchgehend, sagt Sprecherin Alexandra Heizereder. Und die Heimstiftung mit ihren 13.500 Kunden ist nicht allein: Das Haus Flottbek-Nienstedten in Hamburg etwa hat bereits im Mai FFP2-Masken eingeführt, ebenso die sieben Pflegeheime der Sozial-Holding der Stadt Mönchengladbach. Auch der bpa (Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste) bestätigt, dass „in einer wachsenden Zahl an Einrichtungen grundsätzlich FFP2-Masken getragen werden“. Damit machen diese Betreiber genau das, was die Expertengruppe um Matthias Schrappe, Internist und ehemaliges Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, fordert.
Auch Besucher und Lieferanten sollten FFP2-Masken tragen
Die Gruppe, zu der auch die frühere Charité-Pflegedirektorin Hedwig François-Kettner gehört, hat seit dem Frühjahr mehrere „Thesenpapiere“ veröffentlicht und darin stets konkrete Vorschläge gemacht, wie man die besonders gefährdeten „vulnerablen Gruppen“, besser schützen könnte. In ihrem Thesenpapier vom 25. Oktober (siehe pdf-Download ganz unten) fordert sie eine FFP2-Masken-Pflicht. Jegliches Personal, Besucher oder sonstige Personen, die Krankenhäuser, Praxen und Altenpflegeheime betreten, sollten verpflichtend FFP2-Schutzmasken dauerhaft während ihres Aufenthaltes tragen, schreiben die neun Autoren.
In Bremen erhält jeder über 65 kostenlos FFP2-Masken
Jobportal pflegen-online.de empfiehlt:
Kranken- und Pflegekassen, so meinen die Experten, könnten die FFP2-Masken finanzieren. Auch ältere oder kranke Menschen außerhalb der Institutionen sollten kostenlos FFP2-Masken über Arztpraxen und öffentliche Stellen erhalten (dafür hat die Bundesregierung im Dritten Pandemiegesetz, verabschiedet am 18 November, inzwischen die Grundlage geschaffen – Bremen war schon vorgeprescht: Dort geben ab 15. November Apotheker zwei FFP2-Masken oder KN-95-Masken pro Woche an alle Einwohner über 65 Jahren aus).
[Warum es wichtig ist, die Filtermaske kontinuierlich zu tragen und nciht nur am (infizierten) Patienten, erfahren Sie in unserem Artikel FFP2-Masken auch, wenn Corona-Patient nur in der Nähe?]
„Anordnung“ für Tests statt „Empfehlung“
Die Autorengruppe drängt außerdem darauf, aus der „Empfehlung“ zu Schnelltests eine „Anordnung“ zu machen. Die Empfehlung sei „weder geeignet noch zulänglich, das Schutzziel zu erreichen“. Trotz der Empfehlung werde „teilweise überhaupt nicht, teilweise viel zu unspezifisch und unsystematisch getestet“, begründen die Experten ihre Forderung.
Expertengruppe: Test-Anordnung vereinbar mit Grundgesetz
Eine solche Anordnung beschränke zwar die Rechte einzelner Personen auf freie Entscheidung, andererseits bestehe aber „die Wahrscheinlichkeit, eine Vielzahl von Individuen und das Gesundheitssystem vor der Infektion und einer Systemüberlastung zu schützen und damit die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs zu wahren“. Die Anordnung entspreche damit der staatlichen Schutzpflicht aus Artikel 1 Absatz 2 Satz 1 Grundgesetz.
In Krankenhäusern mehr auf Team-Trennung achten
Auch in Krankenhäusern müsste regelmäßig getestet werden, meinen die Autoren. Auch sollten Covid-19-Krankenhäuser eine konsequente Team-Trennung für das Personal zu organisieren, einschließlich der Zugangswege und der Aufenthaltsbereiche (Cafeteria). Auch die Schichten sollten versetzte Schichtzeiten und so fort. Gleiches gilt bei Auftreten einer Infektion oder bei Teams, die mit hochgefährdeten Patienten zusammenarbeiten. Auf Covid-19-Stationen sei zu überlegen, ob die Schichtzeiten verlängert werden können, um das Bezugssystem auf weniger Menschen pro Tag zu konzentrieren. Verbände und Pflegekammern sprechen sich allerdings mehrheitlich gegen längere Arbeitszeiten aus.
Was die Expertengruppe außerdem für Pflegeheime fordert
Präventive Schulungsteams
In allen Altenpflegeeinrichtungen muss unabhängig vom jeweiligen akuten Infektionsgeschehen das Auftreten eines Einzelfalls bis hin zur Evakuierung der Bewohner durchgespielt und eingeübt werden, ähnlich wie bei einer Katastrophenschutzübung. Dafür werden sogenannte „präventive Schulungsteams“ gebildet, bestehend aus dem Träger der Einrichtung, den Gesundheitsämtern, der kassenärztlichen Vereinigung/Ärzteschaft sowie pflegerischer, psychologischer, infektiologischer und epidemiologischer Expertise.
Krisen-Interventionsteams
Die Gesundheitsämter bedürfen insbesondere in epidemischen Lagen fachliche und personelle Verstärkung durch spezielle „Krisen-Interventionsteams“, zu denen mindestens drei Pflegefachpersonen und eine ärztliche Kraft sowie Hygienefachpersonen zählen. Sie sind rund um die Uhr binnen zwei Stunden einsatzbereit. Sämtliche Schutzausrüstung und Ausstattung stehen für das Team jederzeit abrufbereit zur Verfügung.
Pflegerische Notfalldienste
Um Personalengpässe im Krisenfall zu vermeiden, ist rechtzeitig vorab ein Pflegenotdienst aus einrichtungsfern tätigen oder anderweitig vorhandenen Pflegekräften zu bilden (aus dem medizinischen Dienst, der Verwaltung, beurlaubte und berentete Pflegekräfte). Diese sind für entsprechende Notfall- oder Kurzzeiteinsätze zu schulen, ihre Rufbereitschaft ist attraktiv zu vergüten.
Test-Teams
Um rasch einen Überblick über die infektiologische Lage von Bewohnern und Personal einer Pflegeeinrichtung zu erhalten, muss prophylaktisch regelmäßig getestet werden. Dazu werden geschulte Testteams gebildet, die zumindest einmalig alle Heimbewohner und Beschäftigten und sodann kontinuierlich alle Personen, die die Einrichtung von außen betreten, testen. Details hierzu wurden bereits in diesem Artikel beschrieben: https://www.pflegen-online.de/corona-schnelltests-was-pflegeheime-beachten-sollten
Autorin: Birgitta vom Lehn/kig
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