„Meine Schwiegermutter ist seit einiger Zeit in einer Pflegeeinrichtung im nördlichen Hamburger Speckgürtel untergebracht“, berichtet ein Leserbriefschreiber in der Frankfurter Allgemeinen. „Bereits im Frühjahr gab es strenge Ausgangsregeln, die (…) die alten und oft kranken Menschen tagelang in ihren Zimmern zurückließen. Nun sind im Oktober (…) 15 Heimbewohner und wenige Personen des Pflegepersonals positiv getestet worden, einige Patienten sind bereits verstorben. Mit dem heutigen Tag sind die Heimbewohner insgesamt dreimal getestet worden, meine Schwiegermutter (…) jedes Mal negativ.“
Empörung über Besuchsverbote in Heimen wächst
Trotzdem herrsche „eine vollkommene Isolation für alle betroffenen Stationen“, klagt der Autor. „Isolation heißt in diesem Fall schlimmste Vereinsamung! Meine Schwiegermutter lebt jetzt bereits seit Tagen und vermutlich auch noch deutlich länger auf zwölf Quadratmeter Wohnraum und ohne jeden sozialen Kontakt mit Ausnahme des Pflegepersonals, das die Speisen und Medikamente bringt. Die Korridore dürfen nicht betreten werden. Von ‚Intelligenten Konzepten‘ keine Spur. (…) Die Bewohner der Pflegeeinrichtung werden ‚zu ihrem eigenen Schutz‘ verwahrt. Dazu fehlen mir die Worte.“
Rechtswissenschaftler: „Besuchsverbote sind verfassungswidrig“
Berichte, wie die des Leserbriefschreibers, sind keine Ausnahme. Das hat die Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (BAGSO) veranlasst ein Gutachten bei dem Rechtswissenschaftler Friedhelm Hufen in Auftrag zu geben. Dieser kommt zu einem eindeutigen Schluss: Die schlimmen Erfahrungen des Frühjahr-Lockdowns für viele Heimbewohner dürften sich nicht wiederholen, denn Heimbewohner seien „grundsätzlich uneingeschränkt Träger der Grund- und Freiheitsrechte“, betont der Mainzer in seinem soeben veröffentlichten Gutachten. „Vor dem Tod und im Sterbevorgang gewinnen neben der Freiheit von Schmerz und Leiden die Wahrung der Würde und menschliche Zuwendung den Vorrang vor reiner Lebenserhaltung“. Pauschale Besuchsverbote in der Endphase des Lebens seien daher „in aller Regel verfassungswidrig“.
2.000 Tests für Bremer Heimstiftung
Große Hoffnung ruht daher auf den Schnelltests. Die meisten Einrichtungen haben ihre Konzepte zu deren Anwendung bei den Gesundheitsämtern inzwischen eingereicht und warten jetzt auf das Okay. In der Zwischenzeit dürfen sie aber schon 30 Tage lang Tests beschaffen und auch anwenden. Für die Bremer Heimstiftung mit ihren 2.600 Mitarbeitern an 34 Standorten seien 2.000 Tests bestellt worden, teilt Susanne Brockmann mit. Die Pflegedirektorin hat ein dreiseitiges Konzept beim Bremer Gesundheitsamt eingereicht. Derzeit werde das mit dem Testen betraute Personal geschult.
[Erfahren Sie, wie Schnelltests funktionieren in unserem Artikel Corona-Schnelltests: Was Pflegeheime beachten sollten]
Für Reihentests fehlt das Personal
Getestet werden sollen in der Bremer Heimstiftung vorerst nur Bewohner und Mitarbeiter mit typischen Corona-Symptomen. Auch Bewohner, die aus dem Krankenhaus entlassen werden und bislang zunächst 14 Tage in Quarantäne müssen, könnten von den Schnelltests profitieren und die Quarantänezeit abkürzen, hofft Brockmann. Fraglich sei, ob man auch Reihentestungen durchführen könne. „Dafür fehlt uns schlicht das Personal.“
Bremer Heimstiftung hofft auf „eine gewisse Ruhe“
Auch sei noch unklar, wie man mit den Besuchern verfahren werde. Die Pflegedirektorin ist jedoch optimistisch, dass die Schnelltests „eine gewisse Ruhe“ in den Heimen schaffen werden: „Es ist hilfreich, erste Ergebnisse zu haben, auch wenn sie nicht immer genau sind. Neulich hatten wir allerdings auch ein falsch-positives PCR-Ergebnis aus der Klinik, das kommt eben auch vor.“ Bislang musste bei Bremens größtem Anbieter im Bereich Seniorenwohnen und Pflege erst eine einzige Einrichtung vom Gesundheitsamt vollständig unter Quarantäne gestellt werden, weil 14 Bewohner sich infiziert hatten.
Gleiches Schnelltest-Konzept: mal okay, mal bemängelt
Beim Evangelischen Johanneswerk in Bielefeld, das an rund 70 Standorten in Nordrhein-Westfalen etwa 7.000 Mitarbeiter beschäftigt, hat Peter-Christian König, Leiter der Stabsstelle Altenhilfe, bereits Erfahrungen mit den Rückmeldungen der Gesundheitsämter zu den Testkonzepten gesammelt. „Es ist ein Phänomen, dass die Kommunen die Landesverfügung sehr unterschiedlich auslegen. Wir haben es bei uns mit 15 verschiedenen Kommunen zu tun, und alle legen die Testverordnung unterschiedlich aus. So hatten wir beispielsweise in Bielefeld für vier Einrichtungen das gleiche von der Stabsstelle entwickelte Konzept eingereicht. Drei wurden akzeptiert, eins wurde bemängelt.“
So sieht das Schnelltest-Konzept des Johanneswerks aus
Neben den anlassbezogenen Tests für Bewohner, Kunden, Besucher und Mitarbeiter verteilt das Johanneswerk die von den Kassen finanzierten 20 Tests je Bewohner und Monat folgendermaßen:
- zwei pro Bewohner
- vier pro Bewohner, wenn er die Einrichtung verlässt
- zwei pro Besucher in regelmäßiger Besuchshäufigkeit
- vier pro Mitarbeiter bei wöchentlichem Kontakt
- acht pro Mitarbeiter im Kontakt mit positiv getesteten Bewohnern, in Isolations-/Quarantänebereichen (zweimal wöchentlich).
Was tun, wenn Bewohner oder Besucher die Schnelltests ablehnen?
König treiben derzeit nach eigenen Worten aber noch zwei Fragen um. Die erste lautet: „Lassen sich die Testungen über einen längeren Zeitraum durchführen, wenn die Kassen und Entscheidungsträger merken, in welches Kostenvolumen wir da kommen?“ Und: „Wir sind laut Bundes- und Landesverfügung verpflichtet, die Testungen durchzuführen. Aber die Tests sind freiwillig. Wollen sich wirklich alle Heimbewohner und Besucher testen lassen?“ Aus Erfahrung mit seiner eigenen 92jährigen Mutter wisse er, dass viele Hochbetagte sich am Lebensende gar nicht testen lassen wollen, weil der Abstrich tief im Rachen unangenehm ist. Und ob sich alle Besucher wirklich testen lassen wollen, bezweifelt König ebenfalls, denn: „Positive Ergebnisse müssen ja auch hier in jedem Fall dem Gesundheitsamt gemeldet werden.“
Autorin: Birgitta vom Lehn