pflegen-online: Frau Chaikevitch, die Corona-Pandemie hat Pflegekräften extrem viel abverlangt. Ist jetzt ein guter Zeitpunkt für Gehaltsverhandlungen?
Ljubow Chaikevitch: Gerade jetzt sind Pflegekräfte sehr gefragt und großen Belastungen ausgesetzt. Viele übernehmen mehr Verantwortung, als sie es vorher getan haben. Deswegen würde ich probieren, das Gehalt jetzt neu zu verhandeln beziehungsweise auch weitere Punkte außerhalb des Gehalts. Das Schlimmste, was man bekommen kann, ist ein Nein.
Nicht doch besser noch etwas abzuwarten, bis die Klinik oder das Altenheim von sich aus mehr Gehalt anbietet?
Das wird fast nie passieren. Gar nicht, weil die Klinik oder das Altenheim das nicht möchte, sondern weil es einfach unterschiedliche Interessen gibt. Eine Klinik- oder Altenheim-Leitung hat das Interesse, das Haus so wirtschaftlich wie möglich zu führen. Die Pflegekräfte haben das Interesse, gut bezahlt zu werden. Weil es diese konträren Ziele gibt, ist es extrem wichtig, dass man selbst aktiv wird.
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Ich hatte vor kurzem eine Kundin aus dem Personalwesen im Pflegebereich, die keinen Corona-Bonus bekommen hat. Sie hat für sich und mehrere Kolleginnen aus der Pflege verhandelt, dass sie den Corona-Bonus ausgezahlt bekommen und zwei Urlaubstage mehr, weil sie wegen Corona eine sehr hohe Belastung hatten und extrem viele Aufgaben übernommen haben, die nicht zu ihren üblichen Aufgaben gehörten. Der Chef war ein bisschen überrascht und auch überrumpelt. Aber nichtsdestotrotz haben sie den Corona-Bonus bekommen, weil sie sich dafür eingesetzt haben.
Trotz Tarifvertrag verdienen Krankenpfleger häufig mehr als Krankenschwestern. Wie kann das sein?
Laut dem Deutschen Gewerkschaftsbund ist der Gender-Pay-Gap – also der Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Löhnen – im Tarif geringer, aber ein Tarifvertrag eliminiert die Unterschiede nicht. Wichtig ist, dass sich jede Person dafür einsetzt, eine angemessene Bezahlung zu bekommen und nicht darauf wartet, dass sich irgendwer anderes darum kümmert. Gewerkschaften rufen ebenfalls dazu auf, sich für sich selbst einsetzen – zusätzlich zum Tarifvertrag, den sie aushandeln. Viele Beschäftigte lesen ihren Tarifvertrag nicht ordentlich und sind manchmal einfach zu niedrig eingestuft. Dann müssen sie sich selbst dafür einsetzen, dass sie gemäß ihren Qualifikationen in die nächste Stufe kommen und gegebenenfalls vereinbarte Sonderzahlungen erhalten.
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Verhandeln, obwohl es einen Tarifvertrag gibt – was ist da drin?
Zum Beispiel Zulagen, Urlaubstage, bezahlte Weiterbildungen und Zuschüsse zu den Kinderbetreuungskosten. Ich kenne eine Pflegekraft, die immer gestückelt für drei Stunden zur Arbeit kommen muss und allein anderthalb Stunden An- und Abfahrtsweg hat. Das ist doch auch Vereinbarungssache! Ich empfehle, sich mit Menschen aus anderen Einrichtungen und im eigenen Haus auszutauschen, sich zu informieren und ein Netzwerk mit Mentorinnen und Mentoren aufzubauen, die einen an die Hand nehmen können, wenn man selbst noch nicht weiß, was möglich ist.
Frauen unterschätzen oft, was ihre Arbeit wert ist. Warum ist das so?
Meine Erfahrung zeigt, dass Frauen in Deutschland so erzogen sind. Es ist leider noch gar nicht so lange her, dass Frauen überhaupt eigene Bankkonten eröffnen konnten. In meiner Community von "Frau verhandelt" stelle ich fest, dass viele Frauen beim Thema Gehaltserhöhung denken, dass sie undankbar sind und unverschämt erscheinen. Doch das muss nicht sein.
Gerade Menschen, die in der Pflege arbeiten, müssen sehr empathisch mit anderen Menschen umgehen. Genauso empathisch kann auch ein Verhandlungsgespräch ablaufen, wenn die Pflegekraft sich überlegt, was die Bedürfnisse des Hauses, des Vorgesetzten oder der Vorgesetzten sind und versucht, die eigenen Forderungen mit den Zielen des Hauses und des Gegenübers abzustimmen. Viele haben Angst und denken, dass sie sich in Verhandlungen total verstellen müssen, dass sie dreist und forsch werden und die Ellbogen auspacken müssen. Aber das ist ein Irrglaube! Weil wenig darüber gesprochen wird, wissen viele in der Pflege nicht, dass es auch ein freundliches Gespräch sein kann, in das man positiv hineingeht und sagt: Ich arbeite gerne hier und habe tolle Erfolge aufzuweisen. Dafür finde ich eine Gehaltsanpassung angemessen. Eine Gehaltsverhandlung muss keinen harten Ton haben. Klar ist es erst einmal ein Sprung ins kalte Wasser, aber die Erfahrung zeigt, dass es nach dem ersten Verhandlungsgespräch immer einfacher wird.
Über Ljubow Chaikevitch
Nach einem Master in International Business (Leibniz Universität Hannover) und Tätigkeiten unter anderem im Bertelsmann-Startup careerloft und im Gründungszentrum der Universität Stuttgart hat sich die geborene Russin selbstständig gemacht.
In nur zwei Jahren hat Ljubow es geschafft, ihre eigenen Tagessätze zu vervielfachen, heißt es auf ihrer Website. Nun möchte sie ihre Erfahrungen an andere Frauen weitergeben. Als Gründerin und Geschäftsführerin von „Frau verhandelt“ plant sie, die Differenz zwischen Gehältern von Männern und Frauen in Deutschland aufzuheben. Mittlerweile hat sie nach eigenen Aussagen über 600 Frauen dabei geholfen, „angemessene Gehälter und Tagessätze“ zu erhalten.
Interview: Martina Janning
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