Regina Marx*, 82, war erst zwei Tage in der Früh-Reha, als sie Schüttelfrost und Fieberschübe entwickelte. Der Grund war schnell gefunden: Sepsis nach Infektion der aufsteigenden Harnwege. Der Übeltäter: ein drei Wochen liegender Blasenkatheter. „Meine Mutter kam mit einer Pneumonie ins Krankenhaus und hat direkt einen Katheter bekommen“, erzählt ihre Tochter Christiane Marx*. „Aufgrund ihrer Herzerkrankung musste sie massiv entwässert werden. Allein wegen der notwendigen Bilanzierung schien der Dauerkatheter sinnvoll. Auch konnte sie allein nicht aufstehen.“
Eine Sepsis durch einen transurethralen Dauerkatheter ist nicht selten.
Gewundert hat sich Christiane Marx dann aber doch über die lange Liegedauer des Katheters. Das habe sie aber nicht hinterfragt, sagt die ehemalige Krankenschwester. Es war Herbst 2021 und sie war froh, trotz der vierten Pandemiewelle täglich zu ihrer Mutter zu dürfen: „Die Pflegenden waren durch Corona ohnehin sehr belastet und es hätte sehr viel Arbeitet bedeutet, wenn meine Mutter, die bereits inkontinent war, ohne Katheter gewesen wäre.“
Die beste Lösung: gar kein Katheter
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„Eine Sepsis durch einen transurethralen Dauerkatheter ist nicht selten“, sagt Fabian Mersmann, niedergelassener Urologe aus Menden. Laut einem Artikel aus dem Deutschen Ärzteblatt von 2015 handelt es sich bei der Urosepsis um die zweithäufigste Form der nosokomialen Sepsis – am häufigsten wird sie durch Krankenhauskeime erzeugt, die durch einen Gefäßkatheter in die Blutbahn gelangen.
Über den Blasenkatheter, so Mersmann, könne es leicht zu einer Keimbesiedlung kommen. „Pathogene Keime können dabei von außen eingeschleust werden und aufsteigen, zum Beispiel durch mangelnde Hygiene, oder auch durch körpereigene Bakterien wie Escherichia coli.“ Das könne zu einer Entzündung der Harnwege bis zur Sepsis führen. Je länger ein Katheter liege, desto wahrscheinlicher sei es auch, dass sich Bakterienfilme und Inkrustrationen auf dem Katheter entwickeln, die eine Infektion begünstigen.
„Ein Dauerkatheter ist immer eine Notlösung“, sagt Mersmann, der viele seiner Patienten im Pflegeheim betreut. „Am besten ist überhaupt kein Katheter, die zweitbeste Lösung ist ein intermittierender Katheter.“ Dieser werde im ambulanten Bereich häufig von den Patienten selbst gelegt, zum Beispiel bei Multipler Sklerose oder Querschnittsyndrom. Man spricht dann vom intermittierenden Selbstkatheterismus, kurz ISK. Auch ein suprapubischer Katheter sei bei dauerhafter Harnableitung aus infektiologischer Sicht besser als ein transurethraler Katheter. In jedem Fall erfordere ein Dauerkatheter eine strenge Indikationsstellung.
Inkontinenz ist kein Grund für einen Dauerkatheter
„Eine absolute Indikation für einen Blasenkatheter liegt vor, wenn jemand seine Blase nicht mehr entleeren kann, zum Beispiel weil seine Prostata vergrößert ist und die Harnröhre abdrückt“, sagt Mersmann. Weitere Indikationen seien langandauernden OPs oder große Bauchoperationen. Auch aus diagnostischen Gründen könne ein Blasenkatheter indiziert sein, zum Beispiel um Kontrastmittel einzubringen.
„Eine Harninkontinenz ist hingegen in der Regel keine Indikation für einen Dauerkatheter. Das hängt aber oft vom Einzelfall ab“, sagt Mersmann. Haben Menschen mit Inkontinenz zum Beispiel Wunden oder Pilzinfektionen im Urogenitalbereich, könne ein Blasenkatheter die Situation vorübergehend entlasten und die Wundheilung fördern.
Nicht mehr zeitgemäß: Desinfektion des Intimbereichs.
Bekommt ein Patient oder ein Bewohner ausnahmsweise doch einen Dauerkatheter, gibt es diverse Aspekte zu beachten, um eine Sepsis zu verhindern:
- Das Wichtigste: „Dauerkatheter sollten nie länger als nötig liegen“, betont Urologe Fabian Mersmann.
- Dauerkatheter sollten regelmäßig laut Herstellerangaben gewechselt werden. Katheter aus Silikon können etwa 4 bis 6 Wochen liegen, Katheter aus einem Silikon-Latex-Gemisch etwa 1 bis 2 Wochen.
- Der Urin muss regelmäßig auf Bakterien kontrolliert werden. „Allerdings ist es bei einer Katheter-Versorgung normal, dass immer einige Bakterien im Urin sind“, sagt Mersmann.
- Urologe Mersmann rät von einer prophylaktischen Antibiotikagabe, wie sie von vielen Hausärzten praktiziert wird, ab. „Antibiotika sollten nur bei eindeutigen Beschwerden wie Fieber, Schmerzen oder auffälligem Urin gegeben werden. Eine prophylaktische Gabe fördert nur die Resistenzbildung.“
- „Eine Diskonnektion des Systems sollte nur in begründeten Ausnahmefällen erfolgen, zum Beispiel wenn man von einem Beinbeutel auf einen Nachtbeutel wechselt“, sagt Christine Keller, Lehrerin für Pflegeberufe, Krankenschwester und Fachbuchautorin. Dann müssen die beiden Konnektionsstellen mit einem alkoholischen Präparat sprüh- oder wischdesinfiziert werden.
- Ganz wichtig: die Basismaßnahmen der Hygiene. Dazu zählen vor allem eine gute Händedesinfektion, außerdem sollte der Urin nur aus geeigneten Urinentnahmestellen abpunktiert werden. „Sterile Handschuhe sind im Umgang mit dem Dauerkatheter nicht erforderlich. Pflegende sollten zum Eigenschutz aber Einmalhandschuhe tragen.“
- Der Urin muss über den Katheter ungehindert abfließen können. „Ein Urinstau ist unbedingt zu vermeiden. Das führt zur Keimvermehrung und begünstigt eine Infektion“, sagt Pflegepädagogin Christine Keller. Deshalb: darauf achten, dass der Dauerkatheter nicht abgeknickt oder komprimiert wird.
- Von einem Abklemmen des Katheterschlauchs zum sogenannten Blasentraining, wie es früher üblich war, raten Pflegeexperten heute wegen der Gefahr der Keimvermehrung ab.
- Katheterschlauch und Urinbeutel nicht über Blasenniveau hängen.
- große durchhängende Schlaufen gilt es zu vermeiden.
- Patienten und Angehörige auf den korrekten Umgang mit dem Dauerkatheter hinweisen.
- Der Intimbereich sollte zweimal täglich gereinigt werden, der Harnröhreneingang und Katheter mit Wasser und pH-saurer Waschlotion. Wichtig ist auch, Verkrustungen am Katheterschlauch zu entfernen.
- „Früher wurde häufig routinemäßig ein Schleimhautdesinfektionsmittel eingesetzt“, erzählt Christine Keller. „Davon wird heute abgeraten, weil es die physiologische Keimflora im Intimbereich zerstört.“
- Auch Blasenspülungen mit antimikrobiellen Substanzen seien nicht mehr zeitgemäß.
- Wichtig ist, bei Menschen mit einem Dauerkatheter auf eine ausreichende Trinkmenge zu achten, sofern keine Kontraindikation wie Herzschwäche vorliegt. Denn über eine gute Urinausscheidung können Keime ausgespült und Infektionen vermieden werden.
Dauerkatheter beeinträchtigt Mobilität und Gesundheit
Die Pflegeexpertin Keller sieht es auch als pflegerische Aufgabe, die Indikation eines Blasenkatheters zu hinterfragen. „Ein Dauerkatheter sollte nie belassen werden, weil die Versorgung bei Inkontinenz dann vermeintlich einfacher ist und man die Menschen nicht regelmäßig zur Toilette begleiten muss“, sagt Keller. Die Folgen seien bedenklich: „Die Betroffenen sind weniger mobil, haben eine geringere Lebensqualität und können schwere Infektionen erleiden – von den Kosten einer Katheterversorgung ganz abgesehen.“
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Wenn der Dauerkatheter zu lange liegt …
Eine kürzer Liegedauer hätte auch Regina Marx* vor einer Sepsis bewahren können. „In der Akutsituation war der Blasenkatheter in Ordnung, aber er lag einfach zu lange“, sagt ihre Tochter Christiane rückblickend. „Durch die Sepsis hat sie dann überhaupt nicht von der Früh-Reha profitieren können. Das mussten wir zu Hause alles nachholen.“ Ihre Mutter lebt heute wieder bei ihr und ihrem Mann zu Hause. Sie ist vollkommen pflegeabhängig und kann sich ohne Hilfe nicht umsetzen oder aufstehen. Ihre Inkontinenz hat sich durch den Klinikaufenthalt verschlechtert. „Sie ist sehr unglücklich, das letzte Stück Selbstständigkeit verloren zu haben – da ist viel psychische Aufbauarbeit zu leisten.“
*Name von der Redaktion geändert.
Autorin: Brigitte Teigeler