Doris Schohl hat 30 Jahre als Fachschwester für Anästhesie und Intensivpflege gearbeitet, bevor sie vor vier Jahren ein Studium an der Hamburger Fern-Hochschule gGmbH begann. Die inzwischen 51-jährige Mutter zweier Kinder erhielt dafür ein Aufstiegs-Stipendium des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Ihr Motto: Es lohnt sich, immer dran zu bleiben und sich anzustrengen! Diesen Rat gab sie auch den Altenpflegeschülern in Trier mit auf den Weg, die sie währenddessen unterrichtete.
pflegen-online: Frau Schohl, Sie beschäftigt vor allem die Frage, warum viele schwangere Auszubildende in der Altenpflege das Handtuch werfen. Sind es denn wirklich so viele?
Doris Schohl: Es liegen derzeit keine konkreten Daten über die Anzahl von Ausbildungsabbrüchen in der Altenpflegeausbildung aufgrund einer Schwangerschaft vor. Aus der eigenen Beobachtung und dem Austausch mit Kolleginnen und Kollegen ging jedoch hervor, dass ein Abschluss der Ausbildung für die Betroffenen nur schwer zu realisieren ist.
Darüber hinaus machen aktuelle Untersuchungen deutlich, dass die häufigsten Gründe für Ausbildungsabbrüche in der beruflichen Praxis anzusiedeln sind. Die Abbruchwahrscheinlichkeit ist hierbei eher unabhängig von den Merkmalen der Auszubildenden. Empfohlen wird, erfolgreiche Maßnahmen zum Vorbeugen von Ausbildungsabbrüchen bei der Attraktivität des Ausbildungsberufs, den betrieblichen Arbeitsbedingungen, der Ausbildungsqualität und dem Umgang mit Konflikten anzusetzen. Voraussetzung ist allerdings, dass die Auszubildenden den Berufsabschluss auch erzielen möchten.
Wo hakt es und wie könnte eine gute Unterstützung der Schwangeren aussehen?
Die Organisation des Alltags stellt für die Schwangeren und später dann jungen Mütter oft eine große Hürde dar. Hier kann eine auf die Lebenssituation zugeschnittene Begleitung in Form eines Case Management-Konzeptes zur Unterstützung der Betroffenen beitragen. Pro Familia etwa bietet Beratung und sozialpädagogische Begleitung, Unterstützung bei der Alltagsorganisation, Koordination der Kinderbetreuung und Stärkung der Erziehungskompetenzen an.
Die Maßnahmen gelten für alle Schwangeren. Gibt es spezielle Maßnahmen für Azubis?
Schohl: Ja, die gemeinnützige Stiftung Senior Expert Service (SES) hat Ende 2008 zusammen mit Spitzenverbänden aus der Wirtschaft die Initiative „Verhinderung von Ausbildungsabbrüchen“ (VerA) aufgelegt. Der SES bringt Azubis in besonderen Problemlagen mit Experten zusammen, die sie als Ausbildungsbegleiter ehrenamtlich unterstützen: etwa bei Überforderung in der Berufsschule, Begleitung bei Übungen in der Berufspraxis, Unterstützung bei der Prüfungsvorbereitung und Förderung sozialer Kompetenz und Lernmotivation. SES-Begleiter kennen die Sorgen junger Menschen und helfen ihnen individuell. Die Begleitung ist kostenlos und kann online beantragt werden.
Unter welchen strukturellen Voraussetzungen könnten schwangere Azubis ihre Ausbildung besser fortsetzen als bisher? Welche Möglichkeiten gibt es schon, welche fehlen noch?
Der hohe Formalisierungsgrad in Schule und Ausbildungsbetrieb könnte gesenkt, bestehende Gestaltungsspielräume sollten ausgebaut werden. Die Ausbildung müsste in Schule und Betrieb flexibler gestaltet werden in Form einer vierjährigen Teilzeitausbildung. Nach Modulform könnte man dann jeweils einzelne Qualifizierungsbausteine erwerben.
Wichtig wäre auch der Ausbau betrieblicher Kinderbetreuungsangebote. Die Öffnungszeiten müssten den Ausbildungszeiten angepasst werden, und den Azubis muss eine hohe Priorität bei der Vergabe von Betreuungsplätzen gewährleistet werden.
Die Möglichkeit, Berufsausbildung und Familie miteinander zu vereinbaren, wurde immerhin schon 2005 gesetzlich untermauert im Berufsbildungsgesetz. Dort heißt es in Paragraf 8 Absatz 2: „In Ausnahmefällen kann die zuständige Stelle auf Antrag Auszubildender die Ausbildungszeit verlängern, wenn die Verlängerung erforderlich ist, um das Ausbildungsziel zu erreichen.“
Ein wichtiger Punkt für schwangere Azubis ist auch die Frage des Lebensunterhalts. Welche Unterstützung gibt es?
Da die Ausbildungsvergütung womöglich als Gesamtvergütung zu betrachten und an die Regelausbildungszeit gebunden ist, können oder wollen Arbeitgeber eventuell nicht für eine familienbedingte Verlängerung aufkommen. Deshalb werden zusätzliche Finanzierungsquellen notwendig.
Hierfür kommen staatliche Unterstützungsleistungen in Frage, die bei der Agentur für Arbeit beantragt werden müssen oder – je nach Bundesland – auch bei der kommunalen Arbeitsförderung.
Es gibr 9 unterschiedliche Möglichkeiten der Unterstützung für Schwangere und junge Mütter in der Ausbildung:
- Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) nach den Paragrafen 56 ff. SGB III
- Zuschuss zu den ungedeckten Kosten nach Paragraf 27 SGB II
- Mehrbedarf für werdende Mütter und Alleinerziehende nach Paragraf 21 SGB II
- Individuelle Fördermöglichkeiten nach Paragraf 44 SGB III
- Ausbildungsbegleitende Hilfe in Form einer sozialpädagogischen Begleitung nach Paragraf 16 Absatz 1 SGB
- Förderung der Ausbildung als Weiterbildung nach Paragraf 16 SGB II in Verbindung mit Paragraf 81 SGB III
- Mutterschaftsgeld (Paragraf 14 Mutterschutzgesetz)
- Elterngeld (Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz)
- Kindergeld und Kinderzuschlag (Einkommensteuergesetz, Bundeskindergeldgesetz)
Je nach Einzelfall könnten auch Kommunen, der europäische Sozialfonds oder einzelne Spender in Frage kommen. Gegebenenfalls wird ein öffentlich gefördertes Darlehen unter dem Sonderstatus „Ausbildungsverhältnis“ zur Verfügung gestellt.
Kennen Sie Beispiele aus der Praxis, die zeigen, dass es für schwangere Pflege-Azubis auch gut laufen kann?
Ja, mittlerweile gibt es zahlreiche Modellprojekte, die sich auf eine modifizierte Vollzeitausbildung stützen. Im Rahmen des Förderprogramms „Jobstarter“ werden zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen seit 2009 Menschen mit Familienverantwortung in der Berufsausbildung unterstützt. Das dort angesiedelte Projekt „Teilzeitausbildung – Einstieg begleiten – Perspektiven öffnen“ (TEP) wiederlegt eindeutig das Vorurteil, junge Mütter könnten keine Ausbildung schaffen. Durch eine begleitete Teilzeitausbildung konnten Ausbildungsabbrüche überwiegend vermieden werden.
Autorin: Birgitta vom Lehn
Illustration: Chiara Lindenberger
Porträtfoto: privat