Ich bin 59 Jahre alt, noch ein paar Jahre, dann gehe ich in Rente. Ich sollte mich nicht mehr aufregen, die Zustände akzeptieren, sagen mir Kollegen und Freunde. „Mach‘ mal hinne“, so versuchen sie mich zu beruhigen. Aber ich beruhige mich nicht, mit zunehmenden Alter bin ich immer genervter. Ich bin auch immer bereiter, Konflikte zu provozieren. In meinem letzten Job, einer Pflegedienst-Kette südlich von Hamburg habe ich die Probezeit nicht überstanden, weil ich den Mund aufgemacht habe.
Es gab keine vernünftige Einarbeitung und die Touren haben ständig gewechselt. Ich bin schon flexibel, aber wenn ich das Gefühl habe, es fehlt an grundsätzlicher Struktur, dann kann ich inzwischen nicht anders als das zur Sprache zu bringen. Es ist ja nicht nur für uns Pflegekräfte unangenehm, in erster Linie leiden darunter die Klienten. Ich hatte zum Beispiel eine Patientin, die mir oft sagte, wie zufrieden sie damit ist, wie ich den Verband mache. In dem Augenblick aber in dem das die Leitung erfuhr, wurde ich für die Patientin nicht mehr eingeteilt. Warum nicht? Ich kann es nicht erklären, aber es passiert auch anderswo immer wieder, dass die Leitungen es nicht mögen, wenn die Bindung zwischen Klienten und Pflegekräften enger wird.
Ambulante Pflege ähnelt immer mehr Fabrikarbeit
Angesprochen habe ich die Missstände gegenüber der Geschäftsführung, aber Kritik war nicht erwünscht: Die Leitung hat zwar Wert darauf gelegt, dass wir uns alle duzen, und immer von flachen Hierarchien gesprochen, aber was interessiert es mich? Meinetwegen können wir uns gern siezen, wichtiger ist mir, dass ich mit meiner fachlichen Expertise angehört und respektiert werde. Der Pflegedienst war zuvor ein Familienbetrieb, da lief es offenbar besser. Zumindest hörte ich, dass seit der Übernahme schon viele Stammkräfte gegangen waren. Das ist für die Klienten bitter, ein Ehepaar war deshalb richtig niedergeschlagen.
Das kann doch nicht die Zukunft sein, dass Pflegekräfte in ambulanten Diensten arbeiten wie an der Werkbank in der Fabrik! Zehn Minuten Kompressionsstrümpfe anlegen und dann wieder raushetzen. Patientin unter die Dusche bringen, auch wenn sie an dem Tag lieber noch zehn Minuten im Bett liegen bleiben und erzählen würde.
Es nimmt mich richtig mit, wenn Bewohner erniedrigt werden
Die Starrheit unseres Systems und die Gemeinheit mancher Führungskräfte finde ich immer unerträglicher. Es ist schon merkwürdig, dass ich jetzt auch immer wieder an die Bewohnerin denke, die so gern der Nachtwache abends einen Keks oder Bonbon angeboten hat und so unglücklich war, weil sie kein Geld mehr hatte, ihren Bestand aufzufüllen. Sie weinte, aber von der Heimleitung hieß es, sie würde ihr Taschengeld nicht vorgezogen erhalten, sie müsse lernen, mit der ihr zugewiesenen Summe zu haushalten. Merkwürdig: Je älter ich werde, desto näher scheinen mir solche Situationen zu gehen.
Nun muss ich sehen, wie es für mich weitergeht. Ich fange an, es zu bereuen, dass ich mich berufspolitisch nie engagiert habe. Wer weiß, vielleicht hole ich das nach. Ruhig und kleinlaut werde ich jedenfalls nicht. Ich möchte nur noch da arbeiten, wo Patienten anständig und würdevoll gepflegt werden. Ich möchte die Möglichkeit haben, mich einzubringen. Gern denke ich daran zurück, wie ich einer Patientin helfen konnte, die völlig apathisch war, weil sie viel zu viele Medikamente bekam: Ich habe einen Neurologen eingeschaltet, er hat die Medikamente reduziert – die Patientin lebte auf und konnte wieder selbstständig essen.
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Am liebsten würde ich in einer Wohngruppe arbeiten
Am liebsten würde ich eine Pflege-Wohngruppe gründen. Mir fehlt natürlich die Kohle, aber eine schon bestehende Wohngruppe suchen und mich da richtig engagieren – das sollte mir eigentlich gelingen. Das ist der Vorteil des Personalmangels: Wir können die schlechten Einrichtungen links liegen lassen und zu denen strömen, die es richtig machen!
Protokoll: Kirsten Gaede