Die Ergebnisse der Umfrage lassen Schlimmstes für die ambulante Versorgung von Pflegebedürftigen in Deutschland befürchten. Die Diakonie hatte im Frühherbst ihre ambulanten Dienste im Netzwerk nach ihrer wirtschaftlichen Situation befragt. Darauf antworteten 72,7 Prozent der Pflegedienste, sie schätzen ihre wirtschaftliche Situation als angespannt ein. 54 Prozent von ihnen hatten bereits 2022 mit einem Jahresdefizit abgeschlossen, dieses Jahr erwarten nun 62 Prozent ein Ergebnis im Minusbereich – 8 Prozentpunkte mehr.
10 Prozent der Diakonie-Dienste fürchten, schließen zu müssen
Etwa ein Drittel der ambulanten Pflegedienste hat laut Umfrage nur noch eine Liquiditätsreserve von drei Monaten oder weniger, und fast jeder zehnte Dienst sehe seine Situation als existenziell so gefährdet an, dass er möglicherweise in den nächsten zwei Jahren schließen muss.
Mit ihren Umfrage-Ergebnissen ist die Diakonie nicht allein. Der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa) hatte schon im Frühjahr Alarm geschlagen, nachdem eine Verbands-Umfrage unter 2.427 ambulanten Pflegediensten, Heimen und Tagespflegen ergab, dass 68 Prozent ihre wirtschaftliche Existenz als gefährdet ansehen würden. Der Branchendienst pflegemarkt.com listet für das laufende Jahr bis einschließlich September 210 Pflegedienste mit 10.500 Versorgungen auf seinem Insolvenzradar.
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Warum die Lage gerade jetzt so dramatisch ist
Fünf Gründe sind es, die nach Auffassung der Diakonie und der der privaten Betreiber zu dieser dramatischen Lage geführt haben:
- der Zahlungsverzug der Kranken- und Pflegekassen sowie der Sozialhilfeträger
- die nicht vollständige Anerkennung der Tarife in den Vergütungsverhandlungen und die zeitversetzte Anerkennung der Tarife
- die fehlende Berücksichtigung der hohen Krankenstände in den Vergütungsvereinbarungen
- die nicht auskömmlichen Vergütungen in der Häuslichen Krankenpflege
- die fehlende oder nicht ausreichende Berücksichtigung von Sachkosten in den Vergütungen.
Hauptproblem: das Verhalten der Pflegekassen
Vor allem die schleppenden Erstattungen der Pflegekassen treiben die ambulanten Pflegebetreiber in die finanzielle Schieflage. "Die Kranken- und Pflegekassen, aber auch viele Kommunen als Sozialhilfeträger lassen sich bei der Bezahlung von Rechnungen sowie bei den Vergütungsabschlüssen zu viel Zeit", kritisiert Diakonie-Sozialvorständin Maria Loheide "Steigende Personalkosten aufgrund von Tarifsteigerungen oder sehr hoher Krankenstände werden von den Kostenträgern nicht oder zu spät anerkannt. Das gleiche gilt für die wegen der hohen Inflation deutlich höheren Sachkosten. Dies alles zusammen treibt die Dienste in eine existenzielle Krise".
Von einer zu befürchtenden Insolvenzwelle mag man bei der Diakonie nicht reden. Denn viele Insolvenzen würden in Eigenregie abgewickelt werden, und somit ein Neustart der Dienste möglich. Die Versorgung sei aktuell nicht gefährdet. Nur wenn mittelfristig „die wirtschaftliche Sicherung der Dienste misslingt, bekommt Deutschland ein massives Problem bei der Versorgung der pflegebedürftigen Menschen,“ so Maria Loheide. Die Ergebnisse der Umfrage sieht sie erst einmal als „Alarmsignal“.
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ETL-Experte: Strukturen der Dienste müssen sich schnell ändern
Bei der Steuerberatungsgesellschaft ETL Advision, die viele auch kleinere ambulante Pflegedienste begleitet, sieht man die Entwicklungen „kritischer“, wie Jonas Katthage, Branchenleitung Pflege, sagt. „Diese privat geführten Betriebe müssen nun umdenken. Sie müssen wirtschaftlich handeln und denken. Sollte diese Expertise fehlen, müssen diese Einrichtungen sich Unterstützung holen. Sollten die Strukturen sich in solchen Betrieben nicht verändern, drohen Insolvenzen.“
Wohl keine Sorgen um ihren Arbeitsplatz müssten sich die Pflegekräfte machen. Beim derzeitigen Mangel würden arbeitssuchende Fachkräfte „mit Handkuss“ von jedem Pflegedienst genommen, heißt es unisono bei den gemeinnützigen und privaten Betreibern.
Autor: Hans-Georg Sausse