Die Oberärztin Barbara Neuen hat qualitative Interviews mit Raumpflegerinnen im Krankenhaus und in der stationären Langzeitpflege geführt. pflegen-online sprach mit ihr über die Ergebnisse.
pflegen-online: Frau Neuen, in einer Studie haben Sie sich mit der Rolle von Reinigungskräften in der geriatrischen Versorgung beschäftigt. Wie sind Sie darauf gekommen?
Barbara Neuen: Bei meiner Arbeit als Oberärztin auf der Akutgeriatrie höre ich oft unfreiwillig Gespräche zwischen Reinigungskräften und Patienten mit. Dabei fiel mir auf, dass die Patienten um Dinge baten, die nicht zu den typischen Aufgaben von Raumpflegerinnen gehören – etwa, ihnen einen Schluck Wasser zu holen, die Socken anzuziehen oder sie auf die Toilette zu begleiten.
Und wie haben die Reinigungskräfte reagiert?
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In den meisten Fällen haben sie den Patienten den Wunsch erfüllt.
Warum wandten sich die Patienten mit ihren Anliegen an die Raumpflegerinnen und nicht an die Pflegekräfte?
Aus Sicht der Reinigungskräfte, die ich für meine Studie befragt habe, glauben viele Patienten und Bewohner, dass Putzfrauen greifbarer und nahbarer sind als Pflegekräfte und andere Berufsgruppen im Krankenhaus oder Pflegeheim – und außerdem immer Zeit und gute Laune haben.
Das klingt ja fast so, als würden Reinigungskräfte Aufgaben übernehmen, die Pflegekräfte im eng getakteten Klinik- oder Heimalltag nicht mehr schaffen, Stichwort Beziehungsarbeit.
In Teilen ist das sicherlich auch so. Allerdings würde ich nicht sagen, dass Reinigungskräfte den Pflegekräften etwas wegnehmen. Vielmehr übernehmen sie ergänzende Aufgaben – auch, weil sie die Patienten im Gegensatz zu den Ärzten oder Pflegekräften oft täglich zu festen Zeiten sehen und sich so teilweise ein ganzheitlicheres Bild machen können.
Gleichzeitig verfügen viele von ihnen über langjährige Berufs- und Lebenserfahrung – und ordnen das, was sie beobachten und die Patienten oder Bewohner ihnen erzählen, intuitiv richtig ein.
Wie genau meinen Sie das?
In der Studie stellte sich heraus, dass Reinigungskräfte nicht nur wichtige Ansprechpartner für die Patienten und Bewohner sind, sondern den Ärzten und Pflegekräften oft auch funktionelle und medizinische Hinweise geben – zum Beispiel, dass ein Patient Schmerzen oder Durchfall hat.
Eine Raumpflegerin berichtete mir, dass sie einmal das medizinische Personal alarmierte, weil ein Patient blass und ganz ruhig wurde, schwitzte und weiße Lippen hatte, was bei ihr die Alarmglocken schrillen ließ. Ein großes Glück für den Patienten, der im Schockzustand war und ohne die beherzte Reaktion der Reinigungskraft vielleicht gestorben wäre.
In Ihrer Studie kommen Sie zu dem Schluss, dass Reinigungskräfte verkannte Co-Therapeuten sind – und sehen darin eine wertvolle Ressource. Wie lässt sich diese im Sinne der Patienten optimal nutzen?
Zunächst einmal sollten Ärzte, Pflegekräfte und Therapeuten die Kompetenz vieler Raumpflegerinnen als Vertrauenspersonen der Patienten anerkennen, ihnen auf Augenhöhe begegnen und zuhören, wenn sie etwas zu sagen haben. Leider ist das bisher eher die Ausnahme.
Für eine optimale Patientenversorgung wäre es zudem sinnvoll, Reinigungskräfte formal ins therapeutische Team zu integrieren. Aktuell haben sie nämlich weder Zugriff auf medizinische Informationen, noch sind sie versichert, wenn sie sich an der Patientenversorgung beteiligen.
Zur Person: Dr. Barbara Neuen
Die Geriaterin ist Oberärztin im Malteser-Krankenhauses Bonn. Von 2015 bis 2018 absolvierte sie einen pflegewissenschaftlichen Master „Multiprofessionelle Versorgung von Menschen mit Demenz und chronischen Erkrankungen“ an der Universität Witten/Herdecke. In ihrer Abschlussarbeit beschäftigte sie sich mit der Rolle von Reinigungskräften in der geriatrischen Versorgung und führte dafür unter anderem qualitative Interviews mit Raumpflegerinnen im Krankenhaus und in der stationären Langzeitpflege.
Interview: Kati Imbeck