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#PflegeComeBack-Studie

Radostina Filipowa würde in die Pflege zurückkehren ...

... wenn sie mehr Zeit für Patienten und Wertschätzung bekäme. Viele Aussteiger denken wie die ehemalige Intensiv-Krankenschwester. Das zeigt die #PflegeComeBack-Studie von Hartmann.

Der kleine Ausflug in ihre Vergangenheit hat Radostina Filipowa gutgetan. Die Aufmerksamkeit. Die Erfahrung, ernst genommen zu werden. Für kurze Zeit war die 46-Jährige wieder Krankenschwester, Intensivpflegerin. Und diesmal interessierten sich viele für ihre Geschichte. Sie wollten wissen, warum sie ihrem Job den Rücken kehrte, warum sie wie so viele ihrer Kollegen nicht mehr in der Pflege arbeiten konnte.

Viele wissen gar nicht, was die Pfleger leisten“

„Als der Medizin- und Pflegeproduktehersteller Hartmann in Berlin seine #PflegeComeBack-Studie vorstellte, war Filipowa die Stimme aus der Praxis – und sie wurde gehört, stand im Fokus. Das war neu: „Viele wissen gar nicht, was die Pfleger leisten“, sagt die 46-Jährige, die jetzt als Study Nurse in der medizinischen Forschung arbeitet: „Aber es wird sich auch nichts ändern, wenn wir aus Angst immer den Mund halten.“

Hartmann-Chef Andreas Joehle setzt auf die Stille Reserve

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Filipowa gehört zu denen, die offenbar ein großes Problem der Pflege lösen könnten – sich dieser Bedeutung selbst aber gar nicht bewusst sind. Würden Aussteiger wie sie in ihren alten Beruf zurückkehren, könnten Tausende offene Stellen besetzt und chronisch überarbeitete Pflegeteams entlastet werden. Der Hartmann-Studie zufolge können sich viele ausgebildete Pflegekräfte das auch durchaus vorstellen.

Bis zu 200.000 potenzielle Rückkehrer

Die Macher der Umfrage schätzen die Zahl potenzieller Rückkehrer auf 120.000 bis 200.000 Personen. Auch Curassist-Gründer Thomas Müller hatte gegenüber pflegen-online von einer Stillen Reserve von mehreren Hunderttausend ehemaligen Pflegekräften in Deutschland gesprochen. „Hier können wir ansetzen, um dem Pflegekräftemangel pragmatisch und effektiv entgegenzutreten“, ist Hartmann-Chef Andreas Joehle überzeugt.

„Die meisten gehen nicht, weil sie wenig verdienen“

Damit die Umworbenen wirklich in die Pflege zurückkehren, müsste sich allerdings einiges ändern – das ist Radostina Filipowas wichtigste Botschaft: „Die meisten gehen nicht, weil sie wenig verdienen. Häufig werden der Stress, der emotionale Druck und die Sorgen um die Patienten einfach zu groß. Und es gibt überhaupt keine Chance zur Erholung.“ Andere wünschten sich mehr Zeit für Kinder und Familie, hätten aber keine Möglichkeit, flexibler zu arbeiten.

Auf ITS zu zweit für 10 Patienten verantwortlich

Filipowa selbst ist nach ihrer Ausbildung direkt als Intensivschwester auf dem Virchow-Campus der Berliner Charité eingestiegen. „Das war ein tolles Team und eine anspruchsvolle Aufgabe, weil häufig Reanimationen nötig waren und Ausnahmezustand herrschte“, erinnert sie sich. Zu schaffen machte ihr jedoch, dass sich bei konstant hohem Arbeitsaufwand der Personalschlüssel extrem verschlechterte – vor allem im Nachtdienst. Zunächst hätten vier bis fünf Pflegekräfte noch jeweils bis zu zwei Patienten betreut. „Am Ende waren wir sehr oft zu zweit für zehn Patienten zuständig“, sagt Filipowa: „Ich bin häufig mit Angst und Bauchschmerzen zur Arbeit gegangen, weil mir diese Verantwortung zu viel wurde.“

Patienten haben falsche Infusionen bekommen

Wenn im Nebenzimmer beispielsweise eine Reanimation lief, habe sie helfen müssen und kein Auge mehr auf ihre Patienten haben können. „Und wenn man ständig von Zimmer zu Zimmer springt, kommt es unter Druck auch zu Konzentrationsschwierigkeiten“, sagt die 46-Jährige. Sie habe Notsituationen erlebt, in denen Patienten etwa falsche Infusionen gelegt wurden – auch das sei für sie nach 19 Jahren in der Intensivpflege ein Grund für den Ausstieg gewesen.

Sie konnte die ITS-Geräusche nicht mehr ertragen

Vor der endgültigen Entscheidung war sie „sehr lange krank“, ist mehr als ein Jahr ausgefallen, und eine Rückkehr auf die Intensivstation sei unmöglich gewesen: „Allein schon die Geräusche der Beatmungsgeräte zu hören war unerträglich.“

Heute ist Radostina Filipowa Study Nurse

Filipowa ließ sich zur Study Nurse weiterbilden und war seitdem als Studienkoordinatorin für mehrere Arbeitgeber beschäftigt. Seit November ist sie wieder bei der Charité, diesmal auf dem Campus Mitte, wo seltene Hautkrankheiten erforscht werden. Filipowa organisiert viel und sammelt Daten, etwa über die Lebensumstände der Patienten und die Symptome ihrer Erkrankungen, und überträgt sie in Datenbanken.

Als Study Nurse ist ihre Meinung gefragt

Mit dem Job in der Pflege hat all das nichts zu tun. Dafür erfahre sie bei ihrer neuen Tätigkeit „eine ganz andere Wertschätzung“: „Wenn es um klinische Forschung geht, hören die Leute zu.“ Außerdem seien Wochenenden und Feiertage jetzt immer frei, ihre Meinung sei gefragt, und sie verdiene auch noch mehr. Trotzdem: „Die aktive Arbeit mit Patienten vermisse ich. Meine Persönlichkeit hat sich ja nicht verändert.“

42 Prozent der Stillen Reserve würde zurückkehren, wenn ...

Laut der Hartmann-Studie können sich 48 Prozent der befragten Pflegekräfte einen Wiedereinstieg in die Pflege vorstellen. Allerdings haben sie dafür Forderungen: 42 Prozent brauchen „andere Strukturen und Arbeitsbedingungen“, 36 Prozent machen mehr Personal zur Bedingung, und für 30 Prozent ist bessere Bezahlung ein entscheidender Faktor.

Stille Reserve wünscht sich Trainings und Schnuppertage

Mit den Angaben von insgesamt 71 Berufsaussteigern ist die Datenbasis klein, aber die Marktforscher vom Institut Psyma Health & Care sehen „ein valides Stimmungsbild mit robuster Trendaussage“. Ihre Studie basiert auf 21 qualitativen Tiefeninterviews über 45 Minuten und 50 quantifizierten Ergebnissen. Was sie auch zeigt: Für die Befragten sind Trainings das wichtigste Mittel (71 Prozent), um den Wiedereinstieg zu erleichtern. Für 67 Prozent wäre ein Schnuppertag hilfreich.

Viele Aussteiger wissen nicht, wie begehrt sie sind

Grundsätzlich allerdings mangelt es offenbar an Informationen. 62 Prozent der Umfrageteilnehmer wünschen sich mehr Infos über möglicherweise verbesserte Rahmenbedingungen oder zu veränderten Arbeitskonditionen (55 Prozent). Dass es mehr Personal in der Alten- und Krankenpflege geben soll, weiß demnach immerhin jeder zweite Befragte, und vier von zehn ist auch bekannt, dass ausländische Pflegekräfte angeworben werden. Dass sie selbst begehrt sind und gesucht werden, wissen viele ehemalige Pflegekräfte aber offensichtlich nicht: „Hier zeigt sich ein Kommunikationsbedarf“, betonen die Studienmacher.

Westerfellhaus: Arbeitgeber müssen an sich arbeiten

„Wir müssen positive Entwicklungen in der Pflege noch sichtbarer machen“, sagt denn auch Andreas Westerfellhaus. Als Staatssekretär und Pflegebevollmächtigter der Bundesregierung geht es dem ehemaligen Präsidenten des Deutschen Pflegerates dabei auch um die eigene Arbeit. Mitte nächsten Jahres sollen Ergebnisse der Konzertierten Aktion Pflege vorliegen, wie die Rahmenbedingungen für die Kollegen verbessert werden können, verspricht der ausgebildete Krankenpfleger.

Westerfellhaus sieht neben der Politik vor allem die Arbeitgeber in der Pflicht. Sie hätten „großen Einfluss darauf, dass Pflegekräfte gerne in ihrem Beruf bleiben und sich mehr Menschen für diese wichtige Aufgabe entscheiden“, betont er. Sie müssten überlegen, wie sie Mitarbeitern mehr Wertschätzung, Anerkennung, Erholungspausen, Freude und Motivation im Arbeitsalltag bieten könnten. „Dazu gehören für mich auch eine Bezahlung nach Tarif, verbindliche Dienstpläne, mehr Kollegen und dadurch mehr Zeit für pflegebedürftige Menschen“, erklärt Westerfellhaus. Innovative Arbeitszeitmodelle, bei denen Pflegekräfte nach drei Diensttagen drei Tage frei haben, seien ebenfalls denkbar, regt er an.

Starre Arbeitsmodelle, unangenehme Hierarchien

Radostina Filipowa haben genau solche Vorschläge beeindruckt. „Das sind richtig gute Ansätze“, sagt sie. Mehr Freizeit wiege meist mehr als höhere Bezahlung. Die deutschen Arbeitsmodelle seien zu starr und verstaubt. Hinzu komme die Hierarchie, in der die Pflege das kleinste Glied sei und wenig wertgeschätzt werde. Auch ein anderes Studienergebnis bestätigt die Ex-Pflegerin: „Vieles erfahren die Kollegen auf den Stationen leider gar nicht. Das kommt einfach nicht an der Basis an.“

Autor: Jens Kohrs

Foto: privat

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