Foto: Hug: P. Dehm | Witt: Diakonieklinikum Hamburg

Personalbemessung

PPR 2.0 bedeutet 25 Prozent mehr Personal!

... oder sogar bis zu 30 Prozent mehr Personalbedarf. So zumindest die Schätzungen von Josef Hug (Foto l.) vom Klinikum Karlsruhe, das den PPR 2.0-Testlauf mitgemacht hat

Es war eine anspruchsvolle Übung zur Datensammlung im Herbst 2019 an 44 deutschen Krankenhäusern. Im laufenden Betrieb haben Pflegekräfte zusätzliche Daten erhoben für die neue PPR 2.0, sprich, für eine Aktualisierung der PPR (Pflegepersonalregelung). Die PPR gibt es bereits seit 1992 und wird noch immer von vielen Krankenhäusern angewendet.

Für die 44 Krankenhäuser ging es bei dem PPR 2.0-Testlauf um die zentrale Frage: Wieviel Personal brauchen wir genau, um bedarfsgerechte Bedingungen für Patienten und Pflegekräfte zu erhalten?

PPR 2.0-Testlauf: Viel Aufwand für beteiligte Krankenhäuser

pflegen-online hat mit den Pflegedirektoren zweier beteiligter Krankenhäuser gesprochen: Mit Josef Hug (Foto l.) vom Klinikum Karlsruhe und mit Thorsten Witt vom Agaplesion Diakonieklinikum Hamburg. „Wir wollten einen Beitrag zur Umsetzung von PPR 2.0 leisten und ein realistischeres Abbild des Klinikalltags erstellen“, sagt Thorsten Witt. Die „alte“ PPR läuft bereits im Diakonieklinikum, nun hieß es, parallel zusätzliche, differenziertere Daten zu sammeln. „Ein nicht zu unterschätzender Mehraufwand“, so Witt. Doch er habe sich gelohnt, auch weil man schon jetzt, vor der ofiziellen Einführung, mit dem neuen Instrument vertraut sei. Für inhaltliche Erkenntnisse sei es allerdings noch zu früh.

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Klinikum Karlsruhe: 37.000 Patiententage ausgewertet

Josef Hug in Karlsruhe freut sich über die hohe Motivation seiner Mitarbeiter, die bereit waren, den Mehraufwand zu leisten. „Wir konnten inklusive Schulung und Nacharbeitung nach vier Wochen 37.000 Patiententage auf 28 Stationen auswerten und die Daten ausarbeitungsgerecht abliefern“, sagt Hug. Sein Haus, sagt er nicht ohne Stolz, habe rund 10 Prozent der Daten im gesamten Pre-Test geliefert.

Die Vorteile von PPR 2.0 und die Nachteile

Der Abschlussbericht des Pre-Tests steht noch aus. Was jetzt schon zu hören ist:

  • PPR 2.0 sei gut anwendbar, die Zeitwerte und Einstufungskriterien erscheinen plausibel.
  • Dennoch darf nicht zu viel erwartet werden Strukturell werde PPR 2.0 kein Allheilmittel sein, betonen die Fachleute. Zu lange sei versäumt worden, das Pflegewesen grundlegend zu sanieren. Deshalb erreichen bis heute die allermeisten Kliniken den Personalerfüllungsgrad der PPR nicht.

Klinikum Karlsruhe braucht mit neuer PPR 80 neue Stellen

Sowohl das Klinikum Karlsruhe als auch das Diakonieklinikum Hamburg verfügen über eine hohe Personaldecke, fast alle Planstellen sind besetzt. Das Diakonieklinikum liegt bei rund 95 Prozent, das Klinikum Karlsruhe sogar bei 100 Prozent. Hug beziffert seinen Personal-Mehrbedarf nach dem Testlauf mit etwa 8 Prozent. Diese seien 80 neue Stellen, so Josef Hug. „Das ist kein Pappenstil.“

Josef Hug: Leistungsabbau für Patienten

Bundesweit wird die PPR 2.0, so schätzt Hug, zu einem Personal-Mehrbedarf von 25 bis 30 Prozent führen. „Woher sollen die so schnell kommen?“, fragt er und liefert gleich die Antwort nach: „Weder die Ausbildung noch die Gewinnung von internationalen Pflegekräften werden diese Lücke vorerst schließen können.“ Für die Patienten bedeute dies letztlich einen Leistungsabbau, glaubt Hug.

Die Vorteile der PPR 2.0 für Pflegekräfte

Für das Pflegepersonal sagt Hug spürbare Verbesserungen voraus:

  • neue Nachtschichtregelungen
  • eine bessere Verteilung der Pflegestellen im Haus, was vor Überlastung schützt
  • Ausfallkonzepte, die das Einspringen aus dem Frei minimieren

Josef Hug (Klinikum Karlsruhe) ist überzeugt: „Wenn PPR 2.0 nicht kommt, haben wir bald gar keine Pflege mehr.“ Doch die herkömmliche, aus den 90ern stammende PPR müsste noch viel komplexer überarbeitet werden.

Thorsten Witt: PPR funktioniert immer nur retrospektiv

Auch Thorsten Witt, Pflegedirektor am Diakonieklinikum Hamburg, hält fest: „PPR 2.0 ist wichtig und richtig, aber sie ist nur ein Zwischenschritt zu einem noch präzisieren, modernen Erfassungssystem.“ Auch sie verliere zu schnell an Aktualität, weil sie noch immer retrospektiv funktioniere. „Wir brauchen aber ein prospektives, also vorausschauendes System“, sagt Witt.

Pflegepräsident Wagner: PPR 2.0 eine fertige, aber kurzfristige Lösung

Auch die Verbände und die Gewerksschaft Verdi sprechen von der aktualisierten Pflegepersonalregelung PPR 2.0 als Interimsinstrument zur Ermittlung des Pflegepersonalbedarfs im gesamten Krankenhaus. „Die PPR 2.0 ist eine fertige, aber kurzfristige Lösung“, sagt Franz Wagner, Präsident des Deutschen Pflegerats (DPR). „Für die weitere Zukunft brauchen wir eine komplexere Entwicklung.“

Autor: Johannes Kornacher

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