Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Umfrage wissen, wovon sie reden: Die über 1.000 philippinischen Pflegefachkräfte, die das Unternehmen Globogate für sein Integrationsbarometer 2023 befragt hat, arbeiten bereits hier. Doch 30 Prozent von ihnen sagen, sie würden sich nicht noch einmal für Deutschland entscheiden. Voriges Jahr, 2022, waren es nur zehn Prozent, die sich so äußerten.
Globogate – das Unternehmen „orchestriert“ nach eigenen Aussagen die Prozesse rund ums Recruiting –, weist darauf hin, dass seine Befragung nicht die erste in diesem Jahr mit solch einem niederschmetternden Ergebnis für Deutschland sei: In einer OECD-Studie in Zusammenarbeit mit der Bertelsmann Stiftung ist Deutschland bei hochqualifizierten Fachkräften in der Gesamtbewertung nur auf Platz 15 gelandet. Weit vor Deutschland: Neuseeland, Schweden, Schweiz, Norwegen und Australien. Noch drastischer fällt das Urteil in der Befragung des Unternehmens Inter Nations aus: Darin landet Deutschland auf Platz 49 von insgesamt 53 Plätzen. Allerdings richtet sich Inter Nations an so genannte „Expats“, an Menschen also, die meistens aus beruflichen Gründen in fremden Ländern leben, weil sie beispielsweise für internationale Firmen arbeiten. Hier stehen also – anders als in der OECD- und der Globogate-Befragung – weniger die beruflichen Faktoren im Vordergrund.
Personalnot verschlimmert die Sprachprobleme
Woher aber rührt die Unzufriedenheit der philippinischen Pflegekräfte, deren Meinung nach Aussagen von Globogate repräsentativ für ausländische Pflegekräfte ist? Da ist zunächst die Sprachbarriere: Deutsch gehört zu den Sprachen, die die meisten Menschen auf der Welt, wenn überhaupt, erst im Erwachsenenalter lernen, dann also, wenn es sehr viel schwerer ist, mit einer Sprache vertraut zu werden. So erstaunt es nicht, dass fast 40 Prozent aller Teilnehmer des Integrationsbarometers – und damit die Mehrheit – die Sprachbarriere als die größte Herausforderung für sie in Deutschland bezeichnet.
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Nun lässt sich einwenden, dass Sprachschwierigkeiten nicht neu sind und nicht erklärt, warum die Unzufriedenheit von 2022 auf 2023 noch einmal deutlich zugenommen hat. Es ist vor allem die Personalnot, die die Kommunikation zusätzlich beeinträchtigt: Kolleginnen und Kollegen können nur wenig erklären, es bleibt kaum Zeit für Fragen, so dass die Neuen Zusammenhänge und Begriffe nur schwer verstehen. Die Folge: Schon die Einarbeitung hakelt, an ein Onboarding, also eine behutsame und umfassende Integration ins Team und Unternehmen, ist erst recht nicht zu denken.
Ewiges Warten auf die Berufsurkunde
Auch der Umgang mit Behörden erzeugt bei ausländischen Pflegekräften in Deutschland zunehmend Stress – so sehr, dass die philippinischen Pflegekräfte sogar das Freitextfeld in der Umfrage genutzt haben, um darauf hinzuweisen (obwohl es auf den Philippinen wohl völlig unüblich ist, sich über Behörden zu beklagen). „Insbesondere das komplizierte Aufenthaltsrecht in Form von unterschiedlich befristeten sogenannten ,Fiktionsbescheinigungen’ oder aber auch die lange Bearbeitungszeit bei der Ausstellung der Berufsurkunden nach bestandener Anpassungsmaßnahme erzeugen leider immer wieder für eigentlich vermeidbare Probleme, die bis zu vorübergehenden Beschäftigungsverboten eskalieren können“, sagt Verena Kaden, Autorin des Integrationsbarometers. Die ebenfalls große Personalnot in den Behörden würde das Problem noch verschlimmern.
Streicht konsequent das Wort „Defizitbescheid“
Was tun, damit sich ausländische Pflegekräfte wohler fühlen hierzulande und in ihren Heimatländern positiver über Deutschland berichten? Da gibt es natürlich einiges: konsequenteres Onboarding, Mentoren-Programme, Sprachlernangebote und, und, und … Das alles ist mit Aufwand verbunden. Eine Sache jedoch ließe sich sofort umsetzen und würde ohne Aufwand die Stimmung heben: Das Streichen des Begriffs „Defizitbescheid“.
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Verena Kaden: „Wir stolpern immer wieder über den Begriff ,Defizitbescheid’. Auch wenn richtigerweise vom ,Teilanerkennungsbescheid’ gesprochen werden sollte, so ist der Begriff ,Defizitbescheid’ immer noch weit verbreitet. Die aufwendig rekrutierten Pflegefachkräfte bekommen also zunächst einmal von den deutschen Behörden attestiert, dass sie ,Defizite’ aufweisen. Und das auch in solchen Fällen, in denen studierte Pflegefachkräfte über mehrjährige Berufserfahrung verfügen. Das ist sicher kein Ausweis einer besonderen Willkommenskultur.“
Autorin: kig