Dass Bundesregierung und Bundestag in ihrem Sachverständigenausschusses komplett auf Pflegeexpertise verzichtet haben, ist für die Präsidentin des Deutschen Pflegerats (er vereint 16 Verbände) ein weiteres Zeichen dafür, dass sich „die politische Bühne in Berlin bei der Beteiligung der Profession Pflege in der Pandemiebekämpfung kaum bewegt hat“. Jetzt hat der Pflegerat (DPR) selbst Experten berufen. „Damit haben wir ein klares Statement gesetzt und gleichzeitig aufgezeigt, dass Deutschland Pflegewissenschaft kann und braucht“, sagt DPR-Präsidentin Christine Vogler.
Seit März zehn Empfehlungen erarbeitet
Ende Juni ist der Rat nun erstmals mit zehn Empfehlungen und Forderungen vor die Öffentlichkeit getreten. Manche davon formulieren im Grunde nur das Selbstverständliche, etwa Empfehlung 4, in besagt, dass Patienten, Patientinnen und pflegebedu?rftige Menschen bestmöglich vor Infektionen zu schu?tzen seien. Andere wie die Empfehlung 3, „Pflegefachpersonen und Hebammen zu autorisieren, Schutzimpfungen durchzufu?hren“ sind schon provokanter. Auch die Empfehlung „berufliche Expertise der Pflegefachpersonen und Hebammen in alle Entscheidungsgremien und Krisenstäbe einzubinden“ dürfte nicht gut ankommen.
Die weiteren Empfehlungen:
- pflegebedürftige Menschen, Patientinnen und deren Angehörige nicht ausgrenzen
- pflegerische und Hebammen-Versorgung auch in der Pandemiewelle sicherstellen
- Infektionsgeschehen, Krankheitslast und Sterblichkeit im Hinblick auf COVID-19 lückenlos epidemiologisch erfassen
- Pflegeforschung und Hebammenforschung fördern, um Entscheidungsgrundlagen zum Umgang mit SARS-CoV-2 zu schaffen
- pflegerische und Hebammen-Versorgungsstrukturen innovativ weiterentwickeln
- eine interdisziplinäre und sektorenübergreifende Zusammenarbeit fördern
- ambulante Hebammenarbeit als systemrelevante, kritische Infrastruktur berücksichtigen
Der Sprecher des Expertenrats Thomas Fischer zu den Empfehlungen: „Der Schutz von pflegebedürftigen und kranken Menschen vor Covid-19 liegt wesentlich in den Händen von Pflegefachpersonen. Der Umgang mit einer nächsten pandemischen Welle wird nur gelingen, wenn Wissen und Können von Pflegewissenschaft und -praxis endlich in die Ausgestaltung der Eindämmungsmaßnahmen eingebunden werden. Die Verbindung von Infektionsschutz und Wahrung von Würde und Lebensqualität vulnerabler Gruppen sind dabei für uns zentral.“
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Corona-Ausschuss zeigt vor allem auf Fehler der Pflegekräfte
Was bei den Pflegewissenschaftlern besonders schlecht angekommen ist: Als der Sachverständigenausschuss des Bundes Ende Mai seine Vorschläge präsentierte, verwies er vor allem auf Versäumnisse der Pflege. So heißt es, dass es „insbesondere in dem Spannungsfeld zwischen hohem Schutzbedarf und der Erhaltung sozialer Teilhabe sowie Lebensqualität an Informationen und Erkenntnissen zur Umsetzung des Infektionsschutzes von pflegebedu?rftigen Personen, sowohl im stationären als auch im ambulanten Sektor“ mangelte. Der Ausschuss, dem unter anderem der Charité-Vorstandsvorsitzende Heyo Krömer und die Infektiologen Helga Rübsamen-Schaeff und Hendrik Streeck angehören (bis Ende April war auch Christiane Drosten dabei) fordert, dass in Fortbildungen „hygienerelevante Inhalte stärkere Berücksichtigung finden“ sollten. „Dringend“ empfiehlt er darüber hinaus Maßnahmen zur Verbesserung der Qualität in der Pflege, etwa „zur Verstärkung der Personaldecke“ und durch „höherqualifizierende Ausbildungen“. Aber auch eine angemessene Vergütung der Pflegekräfte steht im Forderungskatalog.
Die Ergebnisse des vom DPR initiierten Expertenrats, so Christine Vogler, „zeigen deutlich, dass die Expertise der Pflegewissenschaft in Deutschland aus den Experten- und Entscheidergremien zur Sicherung der Gesundheitsversorgung nicht mehr ausgeschlossen werden darf. Die Pflege und ihre Expertise muss strukturell, finanziell und personell gestärkt werden.“
Autor: Hans-Georg Sausse/kig