Es gibt wohl kaum eine gesundheitspolitische Entscheidung, die bei Verbänden solche Schimpftiraden hervorgerufen haben wie die wie seit 1. Oktober geltende Maskenpflicht im kürzlich überarbeiteten Infektionsschutzgesetz. Dass Bewohner jetzt wieder Masken im Gemeinschaftsbereich tragen sollen, sei absurd und auch unzumutbar, so der Bundesverband Pflegemanagement. Die Bagso (Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen) spricht von einem „schwerwiegenden und unverhältnismäßigen Eingriff in die Grundrechte der Bewohnerinnen und Bewohner“.
Diakonie-Präsident: Andere müssen auch nicht zu Hause Maske tragen!
Doch Bagso und Bundesverband Pflegemanagement gaben sich im Vergleich zum Diakonie-Präsidenten Ulrich Lilie noch zurückhaltend. Der Chef der christlichen Wohlfahrtsorganisation holte im Gespräch mit dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ zu großen Schlag aus und sprach von einer „geradezu obszönen politischen Entscheidung“. „Mir wäre nicht bekannt, dass anderen Bevölkerungsgruppen vorgeschrieben wird, in ihren Wohnungen eine Maske zu tragen“, sagte Lilie.
Bagso, Bundesverband Pflegemanagement und auch Diakonie-Präsident Lilie empfehlen das Vorgehen von Nordrhein-Westfalens Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU) zur Nachahmung: Dieser legt den Bezirksregierungen, Kommunen und Städten seines Bundeslandes nahe, den Begriff „für ihren dauerhaften Aufenthalt bestimmten Räumlichkeiten“ weit auszulegen. Diese „Räumlichkeiten“ sind im Infektionsschutz von der Maskenpflicht ausgenommen. In Pflegeheimen, so die Argumentation, können auch Gemeinschaftsräume als solche „Räumlichkeiten“ betrachtet werden, weil sich Bewohner hier erfahrungsgemäß oft mehrere Stunden aufhalten – anders als im Krankenhaus, wo Patientinnen und Patienten nur kurze Zeit außerhalb ihres Zimmers verbringen und die Maskenpflicht aus medizinischen Gründen in jedem Fall nachvollziehbar sei.
Bagso schreibt an Bundestagsausschüsse: Weg mit der Maskenpflicht!
Offenbar möchte sich Niedersachsen dem Vorgehen von Nordrhein-Westfalen anschließen. Für die Bagso ist der Verweis auf die Ausnahme aber keine Lösung. „Es braucht dringend eine Korrektur der Vorschrift“, schreibt die Vorsitzende der Bagso Dr. Regina Görner an die zuständigen Bundestagsausschüsse. Sie appelliert an die Vorsitzenden der Ausschüsse, dafür zu sorgen, dass die gesetzliche Vorschrift so schnell wie möglich wieder zurückgenommen wird. „Denn viele Einrichtungen werden die Regelung entgegen jeder Vernunft auch mit Zwang (nämlich dem, bei Missachtung auf dem Zimmer bleiben zu müssen) umsetzen, um nur ja nicht in Haftung genommen werden zu können, falls es zu einem Infektionsgeschehen kommt.“
Hedwig François-Kettner: Die strengen Schutzmaßnahmen nicht wiederholen!
Genau das aber gilt es zu verhindern, meint auch Pflegemanagerin Hedwig François-Kettner, die der Expertengruppe um den Allgemeinmediziner und ehemaligen Gesundheits-Sachverständigen Matthias Schrappe angehört; die Gruppe hat sich in der Pandemie in verschiedenen Thesenpapieren kritisch über die Corona-Politik der Bundesregierung geäußert. „Die Sekundärschäden bei unseren älteren Mitmenschen waren 2020 und auch noch 2021 so verheerend, dass wir die strengen Schutzmaßnahmen in den Heimen nicht wiederholen dürfen“, sagt die frühere Pflegedirektorin der Charité. „Natürlich müssen Heime mit niedriger Impfquote meiner Meinung nach wachsam sein: Punktuell und anlassbezogen können strengere Schutzmaßnahmen gerechtfertigt sein. Doch auf keinen Fall sollten alle Bewohnerinnen und Bewohner präventiv wie in der ersten Phase der Pandemie in ihren Freiheitsrechten beschnitten werden.“
Autorin: kig