Was jede Pflegekraft aus eigener Erfahrung vermutet, erhärtet eine Statistik: Während in Deutschland insgesamt nur jeder Vierte zur Zigarette greift, ist es bei Krankenschwestern, Altenpflegerinnen und Pflegern fast jeder Dritte (31 Prozent). Noch schlimmer die Lage während der Ausbildung: Unter den Krankenpflegeschülern raucht sogar jeder Zweite (49 Prozent). Deutlich darüber liegen die Altenpflegeschüler mit 78 Prozent. Bei den Auszubildenden in der Altenpflege rauchen also vier von fünf jungen Menschen. Dies hat das „Deutsche Netz Rauchfreier Krankenhäuser und Gesundheitseinrichtungen“ (DNRfK) in seinem Astra-Programm ermittelt. Astra steht für Aktive Stressprävention durch Rauchfreiheit in der Pflege. Das Programm hat 2013 begonnen und läuft noch bis Ende dieses Jahres.
Das DNRfK hat zahlreiche Faktoren ermittelt, warum Rauchen in der Pflege so populär ist:
- das enge Korsett: Der Spielraum, Dinge selbst zu entscheiden und eigenverantwortlich zu handeln, ist extrem klein.
- die Schichtarbeit: der zermürbende Wechsel zwischen Früh- und Spätschicht, zwischen Tages- und Nachtschichten
- die Personalsituation: Viele Stationen sind unterbesetzt, und weil es an Kollegen fehlt, steigt der Zeitdruck auf die einzelne Pflegekraft
- Wenig positives Feedback: Die Pflegearbeit ist nicht nur körperlich, sondern auch psychisch anstrengend – es fehlen oft anerkennende Worte. Stattdessen treten Angehörige, Kollegen oder Bewohner oft genervt oder verärgert auf.
- Missverhältnis zwischen hoher Verantwortung und häufig niedrigem Lohnniveau
Nur wer raucht, kommt zu einer Pause
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Doch es gibt keinen Grund zu resignieren. Dreh und Angelpunkt der Lösung ist die Zigarettenpause. „Die Raucherpause hat sich etabliert, weil geplante Pausenzeiten im Pflegealltag oft nicht funktionieren“, sagt DNRfK-Geschäftsführerin Christa Rustler. So schreibt etwa ein gewisser Rolf in einem Internetforum, er brauche die kurzen Raucherpausen, um Luft zu holen, um etwas Kraft zu schöpfen. „Bei uns ist das Rauchen eine winzige Chance, der Pflegehektik für wenige Minuten zu entgehen“, schlägt ein „Dirk“ in dieselbe Kerbe.
Extra-Urlaubstag bei Helios für Nichtraucher
„Raucherpausen werden oft auch von nichtrauchenden Kollegen toleriert“, sagt Rustler. Eine Merkwürdigkeit, denn Nichtraucher haben kaum Möglichkeiten, eine kurze Pause zu rechtfertigen. Auch aus diesem Grund gewährt Helios Mitarbeitern einen Tag extra Urlaub, wenn diese nicht rauchen oder – sofern sie Raucher sind – außer Sichtweite der Klinik rauchen. „Helios hat den Urlaubstag für Nichtraucher 2006 und 2007 in seinen Konzerntarifverträgen mit Verdi und dem Marburger Bund verankert, weil wir als größter privater Klinikträger gesundheitsbewusstes Verhalten in unserem Unternehmen fördern wollen“, erklärt Karin Gräppi, Helios Geschäftsführerin Personal. „Das Angebot des Urlaubstages für Nichtraucher wird von den Mitarbeitern in den Kliniken, die Teil der Konzerntarifverträge sind, gut angenommen.“
Ideen für alternative Pausen
Das Rauchfrei-Netzwerk, zu dem inzwischen 130 Krankenhäuser gehören, setzt dagegen direkt bei der Pause an. Um die Routine der Zigarettenpause aufzubrechen, haben Pflegeschüler im Rahmen des Astra-Programms Vorschläge erarbeitet, wie sich die Pausen sinnvoller verbringen lassen: etwa mit einfachen sportlichen Aktivitäten wie Tischtennis oder Frisbee oder mit einem einladenden Pausenraum.
Praxisanleiter und Pflegepädagogen sind gefordert
Bis Ende 2018 sollen jetzt die Ideen auf breiter Ebene in die Pflegeausbildung und Pflegepraxis einfließen – gefördert vom Bundesgesundheitsministerium und von der DAK. Konkret heißt dies, dass das Rauchfrei-Netzwerk Pflegepädagogen und Praxisanleiter in den Kliniken schult. Bislang haben deutschlandweit rund 40 Astra-Trainer und Praxisanleiter an etwa 15 Pflegeschulen das Programm durchlaufen.
Positiv: Zahl der Wenig-Raucher steigt
Und wie hat das Astra-Programm auf die Pflegeschüler gewirkt, die am ersten Durchgang teilgenommen haben? Haben denn nach einem Jahr Modellversuch schon viele Pflegeschüler mit dem Rauchen aufgehört? Leider nicht. Der Anteil der Raucher betrug vor dem Versuch 56 Prozent, der Anteil der Nichtraucher also 44 Prozent. Ein Jahr später gaben 55 Prozent der 117 Befragen an, Raucher zu sein.
Enttäuschend? Nicht unbedingt. Die Wegstrecke hin zu einem gesunden Arbeitsleben ist lang. Und weil die Forscher weitere Fragen gestellt haben, gibt es doch Grund zur Hoffnung: Immerhin hat sich jeder Zehnte der Befragten (11 Prozent) vom täglichen Raucher zum gelegentlichen Tabakkonsumenten gewandelt. Und während zu Beginn 25 Prozent der Raucher angaben, dass sie die gewohnte Routine hinter sich lassen wollen, sagten dies ein Jahr später immerhin 36 Prozent der befragten Pflegeschüler.
Autor: Michael Handwerk