Barbara Kaffenberger hat die Entscheidung nicht bereut. Seit drei Jahren bildet die Einrichtungsleiterin im Haus Curanum am Wasserpark in Frankfurt am Main Flüchtlinge für die Altenpflege aus. Fünf sind es mittlerweile, zwei als Altenpflegehelfer, drei machen die dreijährige Ausbildung. Der 22-jährige Ali Ibrahim (Foto) ist einer von ihnen. „Er ist nicht nur fleißig, sondern durch seine kollegiale Art bei Mitarbeitern und Bewohnern sehr beliebt“, sagt Kaffenberger.
Keine Scheu vor der dreijährigen Ausbildung
Der junge Mann, der mit 13 Jahren alleine aus dem westafrikanischen Ghana floh, ist nach Aufenthalten in Libyen und Italien seit 2014 in Deutschland. Er absolvierte einen Sprachkurs, machte seinen Hauptschulabschluss und kam dann nach einem Praktikum im Krankenhaus zu Barbara Kaffenberger, die ihm eine Ausbildung zum Pflegehelfer anbot. „Der Umgang mit den Menschen gefällt mir sehr gut, deshalb stand für mich fest, dass ich auch noch die Ausbildung zum Altenpfleger machen möchte“, sagt Ibrahim. Mittlerweile ist er im zweiten Lehrjahr.
Curanum-Haus kooperiert mit Wohngruppe für minderjährige Asylbewerber
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Für seine Chefin sind die jungen Geflüchteten ein Segen, helfen sie doch, den Fachkräftemangel ein wenig zu mindern. Kaffenberger kooperiert dafür mit einer Frankfurter Wohngruppe für minderjährige Asylbewerber – und wird das Engagement auch fortsetzen.
Korian-Projekte unter anderem in Frankfurt, Wolfhagen und Ingolstadt
Die Korian-Gruppe, zu der das Haus am Wasserpark gehört, zählt mehrere Flüchtlingsprojekte wie das Frankfurter. „Häufig werden sie von Kommunen, Verbänden oder Vereinen vor Ort angestoßen“, sagt Personalvorstand Michael Reitzenstein: „Die Initiative liegt bei unseren Einrichtungen selbst, und wir unterstützen sie, wo wir können.“ Unter anderem Häuser in Wolfhagen und Ingolstadt seien ebenfalls mit Projekten zur Integration von Flüchtlingen aktiv.
Korian-Heimleiterin: „Muslim oder nicht? Das ist nicht die Frage!“
Muslimische Männer in der Pflege? Funktioniert das wirklich? In vielen Köpfen halten sich beharrlich Zweifel. Beruflich andere Menschen zu pflegen und insbesondere auch Frauen zu waschen, ist für Männer, die aus islamisch geprägten Ländern stammen, nicht unbedingt selbstverständlich. Wie steht ihre Religion dazu? Kollidiert der Beruf nicht mit dem Bild von Geschlechterrollen?
Ein Praktikum bringt Klarheit
Ali Ibrahim ist Muslim. Für ihn war all das nie ein Problem. Auch die Erfahrung von Einrichtungsleiterin Kaffenberger zeigt: „Es ist nicht die Frage, ob jemand Muslim ist oder nicht, sondern ob er sich die Arbeit für sich vorstellen kann.“ Und das entscheide sich bei einem Praktikum im Haus.
Gleichgeschlechtliche Pflege kein absolutes Dogma bei Sunniten
Grundsätzlich gelte die Präferenz der gleichgeschlechtlichen Pflege, sagt Samy Charchira vom Institut für Islamische Theologie an der Universität Osnabrück: „Doch wie weit man bei der Verrichtung pflegerischer Tätigkeiten gehen kann, entscheidet sich nach der sachlichen Notwendigkeit und muss im konkreten Kontext bewertet werden.“ Dies entspreche auch der allgemein üblichen Ansicht unter den klassischen sunnitischen Theologen. Deshalb gebe es kein grundsätzliches Verbot für einen Mann, eine Frau zu pflegen und umgekehrt.
Pflege bei Muslimen sehr angesehen
„Pflege genießt im muslimischen Kontext Respekt und eine besondere Achtung, weil sie sich als Dienst an den Menschen erweist“, betont Charchira. Wer als muslimischer Mann Probleme mit den Aufgaben habe, insbesondere im Umgang mit dem anderen Geschlecht, treffe diese Entscheidung ganz individuell, zum Beispiel wegen eines engeren religiösen Verständnisses oder weil es eine persönliche Hemmschwelle gebe.
Immer mehr Altenpfleger aus Afghanistan, Irak und Syrien
Bundesweit waren nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit (BA) 2018 insgesamt gut 3.200 Personen aus den acht wichtigsten Asylherkunftsländern (Afghanistan, Eritrea, Irak, Iran, Nigeria, Pakistan, Somalia, Syrien) sozialversicherungspflichtig in der Altenpflege beschäftigt - mehr als die Hälfte davon (1.910) waren Männer. Im Vergleich zu 2017 ist die Zahl laut BA insgesamt um 1.400 oder 75 Prozent gestiegen. Der Anteil an allen Beschäftigten in der Altenpflege liegt damit aber noch immer unter einem Prozent.
ZAV: „keine nennenswerten Schwierigkeiten“
Zwar differenziere die Zentrale Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) der BA nicht nach Religion oder Orientierung, sondern nur nach Herkunftsländern. Mit Blick auf Vorbehalte und Bedenken gegen Männer in der Pflege habe die ZAV jedoch „hinsichtlich muslimischer Kulturen keine nennenswerten Schwierigkeiten erfahren“, erklärt eine Sprecherin.
Ein häufiger Weg: Erst Praktikum, dann Ausbildung
Ähnlich erlebt es auch Jana Braun vom Bonner Verein für Pflege- und Gesundheitsberufe. Die Leiterin des Projekts „Sprungbrett Pflege“ hat seit vergangenem September mehr als 130 Geflüchtete über Arbeitsmöglichkeiten in der Altenpflege beraten. 89 von ihnen nehmen jetzt aktiv am Projekt teil, 32 sind Männer, nicht alle Muslime. Neben der Beratung bietet „Sprungbrett Pflege“ unter anderem Sprachunterricht an und die Möglichkeit, einen Hauptschulabschluss nachzuholen. Braun und ihre Kollegin Caroline Wolff initiieren Aktivitäten zur sozialen Integration und vermitteln Fachwissen zur Altenpflege.
Regelmäßig organisiert Braun dafür auch muslimischen Männern Hospitanzen und Praktika in Pflegeeinrichtungen. „Viele entscheiden sich anschließend weiterzumachen“, sagt Braun. Auch die Resonanz aus den Einrichtungen sei „sehr positiv“, häufig führten Praktika zu Ausbildungsangeboten.
Drei positive Beispiele von „Sprungbrett Pflege“
Ein junger Marokkaner etwa mache bereits einen Freiwilligendienst in der Altenpflege und möchte jetzt die dreijährige Ausbildung beginnen. Ein Teilnehmer aus Syrien, der in seiner Heimat für das Rote Kreuz Kinder und ältere Menschen betreut habe, sei vor kurzem in ein längeres Praktikum gestartet, und auch ein weiterer Syrer könne sich vorstellen, in dem Beruf zu arbeiten. Jana Braun hat ihm jetzt einen Mentor vermittelt.
In Deutschland wird anders gepflegt als in Afghanistan
Entscheidung für die Pflege sei auch für muslimische Männer „wie für alle anderen eine sehr persönliche“, weiß Braun aus ihren Gesprächen. In den Heimatländern der Projektteilnehmer sei die Pflege oft medizinisch angelegt, während die Familie die Grundpflege übernehme. Deshalb berät Braun offen über alle Facetten, die der Beruf in Deutschland mit sich bringt. „Die körpernahen Tätigkeiten, die hier gefragt sind, eignen sich natürlich nicht für jeden. Doch ich habe bislang kaum gehört, dass religiöse Gründe dagegensprachen.“
„Wenn junge Flüchtlinge sich für die Ausbildung bei uns entscheiden, ist ihnen bewusst, dass in unserem Kulturkreis anders gepflegt wird als in ihren Heimatländern“, bestätigt Ilona Lang, die in Amberg die Private Berufsschule für Altenpflege und Altenpflegehilfe der ISE GmbH leitet. Sechs männliche Teilnehmer hat sie in ihren Kursen bisher gehabt, zwei in der dreijährigen Ausbildung, vier in der Ausbildung zum Pflegefachhelfer.
... und sie bleiben nach der Ausbildung
In den Einrichtungen seien die Männer sehr beliebt, sagt Lang. Ein Pflegefachhelfer aus Afghanistan habe vor kurzem einen festen Arbeitsvertrag in einem stationären Pflegeheim bekommen: „Der junge Mann pflegt sehr einfühlsam.“ Zwei Absolventen aus dem Vorjahr arbeiten heute in einer stationären Einrichtung und in einer Tagespflege – „bislang sind alle nach ihrer Ausbildung in dem Bereich geblieben“.
Frauen waschen? Ja, das kann ein Problem sein
Lang hat aus der Erfahrung gelernt. Vor einigen Jahren wurde Teilnehmern erst im Probepraktikum klar, dass sie auch Senioren des anderen Geschlechts pflegen mussten – „und das haben sie für sich persönlich ausgeschlossen“, erinnert sich Lang: „Uns war bis dahin nicht so bewusst, dass das ein Problem sein könnte.“ Seitdem spricht sie Bewerber schon früh offen darauf an.
Die häufigsten Probleme: unklarer Aufenthaltsstatus und fehlende Papiere
Was Geflüchtete allerdings viel eher von einem Jobstart in der Pflege abhält als die Aufgaben seien die Einstiegsvoraussetzungen, betont Jana Braun vom Bonner Projekt „Sprungbrett Pflege“. „Oft können die Teilnehmer nach ihrer Flucht keine Zeugnisse vorweisen und müssen hier vor der Ausbildung erst noch einen Schulabschluss machen – das ist ein weiter Weg und schreckt viele ab.“ Hinzu komme, dass der Aufenthaltsstatus in vielen Fällen noch nicht geklärt sei.
Ali Abrahim ist nur geduldet
Auch Ali Ibrahim in Frankfurt ist bislang nur geduldet und kann abgeschoben werden. Doch zumindest bis zum Abschluss seiner Ausbildung darf der 22-Jährige sicher bleiben – und Barbara Kaffenberger hofft, dass er auch danach weiter bei ihr arbeiten darf.
Autor: Jens Kohrs
Foto: Curanum