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Pflegekammer

Pflegekammer-Umfrage: Hektik in Hessen

Schnell noch vor der Sommerpause hat Sozialminister Stefan Grüttner eine Umfrage zur Pflegekammer gestartet. Martin Hußing (Foto) vom Landespflegerat ist nicht amüsiert.

Lesen Sie das Interview mit Martin Hußing, den 1. Vorsitzenden des Landespflegerats Hessen. Es ist zuerst (2. Juli) im sgp Report erschienen.

Die Akzeptanz der ersten Pflegekammer in Rheinland-Pfalz, aber auch das politische Echo auf dem Deutschen Pflegetag weist darauf hin, dass sich die Pflege durch eine Kammer deutlich mehr auf Augenhöhe mit den anderen Akteuren der Gesundhewitsversorgung bringen kann. Selbst Gesundheitsminister Spahn hat sich pro Kammer positioniert. Spüren Sie in Hessen eine ähnliche Unterstützung?

Martin Hußing: Leider ist das hier sehr unterschiedlich. Das Thema Pflegekammer stand zwar im Koalitionsvertrag, aber uns ist klar: Vor allem Sozialminister Stefan Grüttner (CDU) ist strikt gegen eine Kammer. Das ist bedauerlich, denn wenn die Politik wirklich Lösungen finden möchte und dabei bereit ist, die Fachkompetenz der Pflegenden zu akzeptieren, geht das am ehesten mit einer Kammer. Die Pflege hat nur eine Chance, positive Veränderungen mit zu gestalten, wenn sie Lösungen anbietet, die in der Profession umsetzbar sind. Wir haben hier in Hessen den Fachbeirat Pflege und den Landespflegerat als aktive Organisationen. Den Institutionen wurde versprochen, dass sie frühzeitig in die Planung wie Entwicklung der Befragung und in sonstige Überlegungen zu einer Pflegekammer eingebunden werden. Das ist nicht geschehen.

Sie sind also von dem schnellen Termin der Befragung zur Pflegekammer überrascht worden?

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In der Tat. Wir haben lange nichts gehört, so dass wir selbst aktiv wurden. Beim Antrittsbesuch im Ministerium haben wir dann erfahren, dass es anstatt des Pflegereferats nun ein Referat für Gesundheitsberufe und Pflege gibt, das auch die Kammeraufsicht der Ärzte umfasst. Der dortige – zugegebener Maßen sehr aufgeschlossene - Leiter hat vom Minister den Auftrag bekommen, die Befragung durchzuziehen. Trotz der Kürze der Zeit – die Befragung soll bereits im Juni starten und im Juli abgeschlossen sein – haben wir uns entschlossen, uns nicht der Aufgabe zu entziehen, um nicht den Eindruck von Verweigerern zu schaffen.

Aufgrund der Aussage des Koalitionsvertrages „Prüfung der Einrichtung einer Pflegekammer“ sind wir davon ausgegangen, dass wir in einen Diskurs über eine mögliche Umsetzung eingebunden werden. Also die Frage zu diskutieren, was eine Pflegekammer für die Pflegenden erreichen kann und soll und nicht ein einfaches uninformiertes Ja-Nein-Szenario zu initiieren. Nun haben wir nicht einmal vier Wochen Zeit, die Pflegenden und die Öffentlichkeit über eine mögliche Institution Pflegekammer zu informieren. Das ist kein fairer Umgang mit dem Thema und den Interessen der 56.000 Pflegenden im Lande. Und ich finde es ist auch kein professionelles politisches Vorgehen. Zu hoffen wäre, dass die politisch Verantwortlichen die Bedeutung der Befragung noch einmal überlegen.

Sie meinen, dass die Befragung also nur ein Stimmungsbild einfangen sollte, nicht aber über die Einrichtung einer Kammer entscheiden darf?

Ursprünglich war politisch vereinbart, dass das Ergebnis einer förmlichen Befragung auch über die Errichtung oder das Aus für eine Pflegekammer entscheidet. Jetzt ist in der Tat von einem Stimmungsbild die Rede. Dafür verantwortlich ist auch das Statistische Landesamt, das der Befragung wohl keine endgültig bindende Wirkung zumessen möchte. Das wirkt zumindest positiv, aber wir fühlen uns hier keineswegs auf Augenhöhe abgeholt, mit dem Ziel ein objektives Ergebnis zu erzielen.

Glauben Sie, dass interessierte Gegner, beispielsweise die Gewerkschaften, die Politik beeinflusst haben, auf Eile zu drängen, um damit den Kammer-Befürwortern eine schlechtere Basis zu geben, ihre Argumente öffentlich zu machen?

Die Gegner haben natürlich ebenso wenig Zeit, zu informieren. Ich habe dem Fachbereichsleiter Pflege der Gewerkschaft mitgeteilt, dass wir eigentlich gleicher Meinung wären, wenn wir uns über die sachlichen Notwendigkeiten der Pflege austauschen würden. Außerdem haben wir vereinbart, uns gegenseitig in der Informationsarbeit nicht zu behindern, sondern vielmehr gemeinsam dafür einzustehen, dass die Pflegenden auch ihre Befragungsunterlagen bekommen und daran teilnehmen können. Die Pflegekammer – das zeigt das Beispiel Rheinland-Pfalz deutlich – mobilisiert Pflegende eher, sich zu organisieren und beispielsweise Gewerkschaften oder Verbänden beizutreten. Die Befürchtung also, Mitglieder aufgrund der Existenz einer Kammer zu verlieren, ist unbegründet.

Gibt es speziell in Hessen besondere Ressentiments gegen eine Pflegekammer und wenn ja, warum?

Jedes andere Bundesland gibt den Pflegenden hinreichend Zeit, sich zu informieren. Nur in Hessen sehe ich das momentan nicht. Hessen hat nicht eine so homogene Identität wie andere Bundesländer, sondern ist regional-kulturell sehr heterogen. Das hat auch Einfluss auf die Arbeitsschwerpunkte einer eventuell zu schaffenden Pflegekammer. Wir können also nicht einfach eine Kopie der Pflegekammer Rheinland-Pfalz erwarten. Auch wäre bei einem positiven Votum zu überlegen, ob es ein formelles Pflegekammergesetz gibt oder aber eine Aufnahme der Pflegekammerstruktur ins Heilberufegesetz. Letzteres würde ich befürworten. Die Hessische Kammer sollte auch für alle pflegerischen Berufe offen sein, auch für Pflege-Hilfsberufe, die als nicht Heilberufe nur freiwillige Mitglieder sein können.

Was müsste eine Kammer Ihrer Meinung als erstes tun, um ihre Kompetenz zu belegen?

Martin Hußing: Hier kann man durchaus die Kammer Rheinland-Pfalz als positives Beispiel nehmen, wo man sich die Fort- und Weiterbildungsordnung vorgenommen hat. In Hessen haben wir da Nachholbedarf bei der Möglichkeit, dass Pflege selbst die notwendige Fachlichkeit festlegt, die wir für die professionelle Pflege benötigen. Das wäre sicherlich ein erstes Ziel.

Interview: Thomas Grünert

Foto: privat

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