Sicherlich, die Empfehlung des Robert Koch-Instituts vom 23. März ist sinnvoll – da ist sich die Pflegebranche einig. Nur: Mundschutz-Masken sind in der Pflege zurzeit das, was Klorollen im Supermarkt sind – wie es eine Insiderin formuliert, die mit diesem Zitat aber lieber anonym bleiben möchte. Wie also kann es mit der Umsetzung klappen? Wir haben eine kleine stichprobenartige Umfrage bei ambulanten Diensten (und Verbänden) gestartet.
„Bei uns tragen nicht alle Pflegekräfte Mundschutz, es gibt ja auch kaum welchen“, gibt Susanne Frost, PDL bei der ASB Ambulante Pflege GmbH Bremen, offen zu. Auch bezweifelt sie die Sinnhaftigkeit des schlichten Mund-Nasen-Schutzes: „Was ist das für ein Schutz? Man kann sich damit vielleicht selbst etwas schützen, aber nicht den Patienten.“
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Pflegedienste: Mundschutz verzweifelt gesucht
Christian Drosten: „Man schützt andere“
Mit diesem Vorurteil hat der Charité-Virologe Christian Drosten allerdings in seinem NDR-Podcast aufgeräumt: Häufig bestehe der Irrtum, man könne sich selbst schützen mit der Maske. „In Wirklichkeit schützt man aber andere.“ Bei feuchter Aussprache etwa könne auch ein einfacher Mundschutz grobe Tröpfchen des Mundschutz-Trägers abhalten. Das Einatmen eines mittelgroßen Aerosols, das gerade in der Luft stehe, werde aber wahrscheinlich nicht dadurch abgehalten.
Mundschutz selber nähen - mit Anleitung aus Essen
Um dem Masken-Mangel halbwegs Herr zu werden, lasse man beim ASB Bremen nun auch Mundschutz selber nähen, berichtet Frost. Auf die Idee kommen jetzt offenbar immer mehr Menschen und eben auch Pflegedienste. Die Stadt Essen hat sogar eine ganz offizielle Anleitung zur Marke Eigenbau veröffentlicht.
Im Tertianum hat das Selbernähen schon begonnen
„Bei unserem mobilen Pflegedienst in Berlin, Tertianum Care, sind wir fast am Ende unseres Bestands“, berichtet Anna Schingen, Direktorin Marketing & PR der Tertianum Premium Group. „Hier ist nun Kreativität gefordert, bis Nachschub eintrifft.“ Aktuell nähe eine Mitarbeiterin nach der Anleitung der Stadt Essen einen persönlichen Mund-Nasen-Schutz (MNS) für die Mitarbeiter. Schingen: „Sie können bei 90 Grad gewaschen werden und sind somit immer wieder einsetzbar.“
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Caritasverband: Verteilung wird durch zu viele Akteure unklar
Auch der Deutsche Caritasverband versucht, mithilfe von Selfmade-Masken dem Mangel beizukommen. Aber natürlich könn und wolle man sich nicht nur auf Hausgemachtes verlassen, sagt Nora Roßner vom Referat Alter, Pflege, Behinderung in Freiburg. In Krankenhäusern dürfe Handgenähtes ohnehin nicht verwendet werden, weil es weder geprüft noch zugelassen sei und auch das Personal nicht ausreichend schütze. „Wir bekommen aktuell Listen mit Ansprechpartnern in den einzelnen Ländern, wo die ‚richtigen‘ Masken von den jeweiligen Einrichtungen bestellt werden können. Die Verteilung erfolgt dann auf Länderebene ganz unterschiedlich, zum Beispiel über das Gesundheitsamt, die Landesregierung oder die Katastrophenhilfe.“ Es seien „viele Akteure“ beteiligt.
Unmut über Bevorzugung von Kliniken und Arztpraxen
Im Caritas-Verband Münster wächst derweil der Unmut über intransparente Verteilungswege und unklare Mengenverteilungen. Ambulante Pflege und stationäre Altenpflege seien aber „wichtige Bereiche, die durch gute Hygiene und ausreichende Schutzausrüstung verhindern können, dass ältere und vorerkrankte Menschen sich infizieren und in Krankenhäusern aufgenommen werden müssen“, heißt es in einer Pressemitteilung.
Mehr Masken in Altenpflege könnten weniger Intensivpatienten bedeuten
Auch der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe kritisiert, dass in puncto Schutzausrüstung zunächst Arztpraxen und Kliniken ausgestattet und ambulante und stationäre Langzeitpflege vernachlässigt wurden Das räche sich nun und werde zu „hausgemachten Schwierigkeiten“ im Gesundheitswesen führen. „Die derzeitige Situation ist absolut paradox“, sagt Patricia Drube, Präsidentin der Pflegeberufekammer Schleswig-Holstein. „Alles bereitet sich auf die Versorgung von Intensivpatienten vor. Gleichzeitig können die Schutzmaßnahmen, die dazu beitragen, dass besonders gefährdete Menschen gar nicht erst zu Intensivpatienten werden, nicht gewährleistet werden.“
Die Stoff-Variante ist kein Ersatz für professionellen Mundschutz
Caritas-Referentin Roßner berichtet ebenfalls über Rückmeldungen von Kolleginnen, dass es teilweise „richtig knapp“ werde mit dem Nachschub. Deshalb setze man nun auch auf Selbstgenähtes und hoffe, dass die handgenähten Masken seitens des RKI und des Bundesgesundheitsministeriums zumindest in den Pflegediensten Akzeptanz fänden. „Wir hoffen, hier eine ähnliche Ausnahmegenehmigung zu bekommen wie Apotheker, die ihre Arzneimittel herstellen dürfen.“
Roßner hat selbst zehn Jahre als Krankenpflegerin gearbeitet und bereits Erfahrung mit Stoffmasken gesammelt: „Früher haben wir im OP auch bei 90 Grad waschbaren Mundschutz getragen und kein Einwegmaterial. Aus meiner Sicht spricht nichts dagegen.“ Dennoch wünschten sich die Caritas-Pflegekräfte doch vielfach eher einen „richtigen“, professionellen Mundschutz.
Bei Immungeschwächten bitte mit professionellem Mundschutz arbeiten!
In Zeiten des Mangels schlägt Roßner dann aber auch vor zu differenzieren: „Wenn ich zu einem Patienten gehe, der gerade eine Chemotherapie hinter sich hat, sollte selbstverständlich ein richtiger Schutz verwendet werden. Gehe ich hingegen zu einem Patienten, der nicht hochgradig gefährdet ist und ich will ihm nur die Thrombosestrümpfe wechseln, dann reicht sicher ein selbstgenähter Schutz aus.“
Trigema, Eterna, Kuhn-Maßkonfektion - sie alle produzieren jetzt Atemmasken
Inzwischen sind auch immer mehr Textil-Unternehmen in die Mundschutz-Produktion eingestiegen: Trigema und Eterna, zuletzt Kuhn-Maßkonfektion in Zusammenarbeit mit Dörr Luft-Technik aus Bürgstadt (von Kuhn-Maßkonfektion stammt auch unser Foto oben).
„Neid-Debatten nicht zielführend“
Schlimm findet die Caritas-Referentin nun aufkeimende „Neiddebatten“ nach dem Motto: Warum bekommen die Krankenhäuser und Pflegeheime mehr Mundschutz als die Pflegedienste geliefert? „So etwas ist jetzt sicher nicht zielführend“, sagt Roßner. „Aber jeder fühlt sich halt schnell irgendwie benachteiligt.“
Autorin: Birgitta vom Lehn