Quartiersprojekt – das mag ein wenig nach Nachbarschaftshilfe klingen, doch es geht um mehr, als sich gegenseitig hier und da entgeltlos auszuhelfen. Quartiersprojekte gibt es seit rund 13 Jahren, im Mittelpunkt stehen zumeist ältere Menschen, die sich in ihrer Nachbarschaft wohlfühlen und dort trotz Pflegebedürftigkeit so lange wie möglich wohnen möchten. Das Quartiersprojekt baut für sie lokale Netzwerke auf, zu denen etwa ambulante Pflegedienste, Vereine, Ehrenamtliche und Nachbarn gehören.
Welche Ziele verfolgen Quartiersprojekte?
Zu den konkreten Zielen eines Quartiersnetzwerks gehören unter anderem:
- Angebotslücken vor Ort schließen, insbesondere für Senioren, chronisch Kranke und Menschen mit Behinderung
- den Umzug ins Heim hinauszögern oder gänzlich unnötig machen
- pflegende Angehörige entlasten
- das Miteinander der Generationen fördern
- Selbsthilfepotenziale ausbauen
- gerade auch in Zeiten der Pandemie: soziale Kontakte, Inklusion sowie Möglichkeiten der Teilhabe schaffen und erhalten.
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Wie gründet sich ein Quartiersprojekt? Wer stößt es an?
Um im eigenen Umfeld solche Versorgungsnetzwerke zu schaffen, braucht es in erster Linie Leidenschaft für die Sache. Denn jeder kann den ersten Schritt machen – sei es der Pfarrer in seiner Gemeinde oder der ambulante Dienst in der Stadt. „Unserer Erfahrung nach geht der Anstoß meist entweder von den Bürgern selbst aus oder von Pflegediensten, die sich einen Kooperationspartner suchen und loslegen. Manchmal ergreift auch die örtliche Pflegeberatung die Initiative und organisiert beispielsweise zunächst einen Mittagstisch. Ein solches Angebot kann dann organisch weiter wachsen“, sagt Heike Wehrbein, stellvertretende Projektleiterin des Deutschen Pflegeinnovationspreises der Sparkassen-Finanzgruppe, der einmal im Jahr an Quartiersprojekte vergeben wird (siehe weiter unten).
„Seit einigen Jahren spielen neben Kommunen auch Wohnungsbauunternehmen eine immer größere Rolle. Sie sehen, dass ihre Mieter älter werden und fragen sich, was sie tun müssen, damit die Menschen in ihrem Zuhause bleiben können“, so Heike Wehrbein weiter. „Eine naheliegende Maßnahme ist oft der barrierefreie Umbau der Wohnungen, darüber hinaus kann so aber auch eine Kooperation mit Pflegediensten oder Beratungsstellen entstehen.“
Welche Rolle spielen ambulante Pflegedienste im Quartiersalltag?
Ambulante Dienste übernehmen – nicht anders als sonst in ihrem Arbeitsalltag – vor Ort die pflegerische Versorgung ihrer Klienten. Doch auch sie werden im Quartier entlastet, weil sie dort in dem Wissen arbeiten: Es sind noch andere da, die sich kümmern. Wenn die Pflegekraft die Tür hinter sich schließt, tut sie dies nicht mit dem quälenden Gefühl, nun jemanden womöglich allein zu lassen, ihm menschlich nicht gerecht geworden zu sein. Denn nach ihr kommt vielleicht noch der Nachbar zum Kaffee oder ein ehrenamtliche Helfer, um den Internetanschluss einzurichten – und sie bleibt nicht der einzige Ansprechpartner des Pflegebedürftigen an diesem Tag.
Welche Vorteile hat für Pflegedienste eine Kooperation mit Quartiersprojekten?
Je nach Bedarf können Pflegedienste im Quartier auch eine 24-Stunden-Versorgungssicherheit anbieten oder eine Pflegewohngemeinschaft betreuen. In jedem Fall, so Wehrbein, bringe die Beteiligung an einem Quartiersprojekt einen Imagegewinn mit sich. „Über Mundpropaganda steigt zum einen die Bekanntheit des Unternehmens, zum anderen spricht sich die erhöhte Mitarbeiterzufriedenheit schnell herum. Ambulante Dienste, die hier mitmachen, erhalten sogar Initiativbewerbungen von Pflegekräften.“
Wie gelingt die praktische Umsetzung?
Für den Erfolg eines Quartiersprojekts ist es entscheidend, zunächst den Bedarf vor Ort exakt zu erheben und dabei von Beginn an die Nachbarschaft einzubinden. Als Start eignet sich beispielsweise eine gemeinsame Begehung des Stadtteils oder des Dorfs geführt von der Frage: Welche Hilfe wünschen wir uns hier für alle Generationen, was brauchen wir am dringendsten?
Umfragen unter den Anwohnern und eine Sozialraumanalyse sind weitere sinnvolle Bausteine bei der Planung, die am besten auch Hilfsangebote einschließt, die noch vor der Pflege liegen: etwa die ehrenamtliche Betreuung von Senioren und ihre Unterstützung durch Fahr- und Hausmeisterdienste sowie das Einrichten eines Cafés als Treffpunkt im Quartier. Praktische Tipps zum Einstieg und mehr als 150 erprobte Methoden hält der Modulbaukasten des Landesbüros altengerechte Quartiere NRW bereit.
Wie lässt sich das Quartiersprojekt finanzieren?
„Hat man erst einmal alle, die interessiert sind, an einen Tisch gebracht, sollte man sich bei einer Fachstelle für Quartiersentwicklung zu den Finanzierungsmöglichkeiten beraten lassen“, sagt Heike Wehrbein. „Im Idealfall gelingt es, die Kommune an Bord zu holen. Ein Regelanspruch auf Quartiersversorgung besteht bislang zwar nicht, in einigen Bundesländern gibt es aber Anlaufstellen, die direkt über das Vorgehen und die Förderungen aufklären.“ Dazu zählen:
- Brandenburg: www.fapiq-brandenburg.de
- für Bayern: www.wohnen-alter-bayern.de/wohnen-bleiben.html
- für Baden-Württemberg: www.quartier2030-bw.de
- für Sachsen-Anhalt: https://www.beqisa.de/startseite
Außerdem informieren über Förder- und Projektmittel:
- die Stiftung Deutsches Hilfswerk / die Deutsche Fernsehlotterie (www.fernsehlotterie.de/foerdern-engagieren/stark-im-quartier)
- das Netzwerk: Soziales neu gestalten (SONG).
Was hat die Sparkassen-Finanzgruppe 2022 mit dem Quartiersmanagement zu tun?
Der „Deutsche Pflegeinnovationspreis der Sparkassen-Finanzgruppe“ will dazu beitragen, quartiersnahe Pflege weiter voranzubringen. Er ist mit 10.000 Euro dotiert, sein Motto lautet in diesem Jahr: „Stadt, Land, Quartier – wie gutes Altern zuhause gelingt“. Der aktuelle Wettbewerb richtet sich insbesondere an Projekte und Initiativen, die sich in strukturschwachen Regionen engagieren.
Wie können Quartiersprojekte am Preis der Sparkassen-Finanzgruppe 2022“ teilnehmen?
Die Bewerbung ist unkompliziert, sie dauert im ersten Schritt nicht länger als eine halbe Stunde: Auf der Homepage sind zunächst drei kurze Fragen zum Projekt zu beantworten. Das Projektbüro prüft dann diese Angaben, bei Eignung für die nächste Runde werden weitere Unterlagen angefordert.
„Voraussetzung ist allerdings, dass der Bewerber bedarfsgerechte Maßnahmen initiiert haben, partizipativ und mit anderen lokalen Akteuren vernetzt arbeiten und im Idealfall auch digitale Anwendungen integrieren“, sagt Heike Wehrbein. „Das kann zum Beispiel durch eine Quartiersapp geschehen, aber auch durch eine Online-Selbsthilfegruppe für Menschen mit Demenz oder eine Online-Pflegeberatung.“
Eine weitere Voraussetzung: Teile des Konzepts sind bereits umgesetzt und stehen nicht nur in der Planung.
Hier können sich Quartiersprojekte bewerben: www.ukv.de/pflegepreis, Bewerbungsschluss ist (nach Verlängerung) 15. April 2022
Auch Nominierungen sind übrigens möglich. Wer ein beeindruckendes Projekt kennt, kann es ebenfalls über die Bewerbungs-Seite vorschlagen!
Der Jury gehören acht Vertreter aus Gesundheit, Politik und Wirtschaft an, unter anderem Irene Maier (Vizepräsidentin Deutscher Pflegerat) und Prof. Dr. Adelheid Kuhlmey (Professorin für Gerontologie an der Charité Berlin).
Die Preisverleihung findet im Oktober zusammen mit der Verleihung des Deutschen Pflegepreises auf dem Pflegetag in Berlin statt.
Autorin: lin
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