„Betrug“ schimpfte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), nachdem ein Prüfungsbericht des Bundesrechnungshofs zur mangelhaften Auszahlung des Pflegebonus am 14. September öffentlich wurde. Auf 29 Seiten dokumentierten die Prüfer ein "fehler- und missbrauchsanfälliges" Auszahlungssystem. So hätten "zahlreiche Pflegeeinrichtungen" die Auszahlung des Bonus gar nicht beantragt oder die Corona-Prämie nicht nur für ihre Beschäftigten, sondern "zu Unrecht" auch für sich selbst einkassiert. Fazit der Prüfer: „In weiten Teilen wurde und wird absehbarem Missbrauch bei der Mittelverwendung nicht durch Verfahrensregelungen effektiv gegengesteuert.“
Es sollte alles ganz unbürokratisch mit dem Corona-Bonus laufen
Als im ersten Corona-Jahr 2020 die Pflegekräfte in Altenheimen und Kliniken im Fokus der Corona-Epidemie standen, sollte ihr Engagement mit einer Corona-Prämie belohnt werden. 1.000 Euro pro Pflegekraft versprach der Bund steuerfrei und ohne Sozialversicherungsabzüge, weitere 500 Euro steuerten die Bundesländer dazu. Und die Prämie sollte ganz unbürokratisch ausgezahlt werden. „Um den vom Bund finanzierten Teil des Bonus zu erhalten, müssen Sie als Beschäftigter nichts tun", versprach damals das Gesundheitsministerium: "Sie erhalten den Bonus automatisch von ihrem Arbeitgeber."
Doch die Erkenntnisse des Bundesrechnungshofs sind nicht neu. Schon im Frühjahr empörte sich die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, dass viele Pflegekräfte die Corona-Prämie nicht erhalten hätten. Die Gewerkschaft bezog sich dabei auf Zahlen einer Steuerberatungsgesellschaft, die die Geschäftszahlen von mehr als tausend Pflegediensten analysiert hatte.
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Einige Mitarbeiter haben erfolgreich geklagt
Das Ergebnis dieser allerdings nicht repräsentativen Erhebung: Nur knapp 60 Prozent der Beschäftigten in der Altenpflege hätten die Corona-Prämie erhalten. Die meisten davon in Brandenburg, die wenigsten in Baden-Württemberg. Über eine weitere Erhebung der Berliner Kanzlei Chevalier hatte pflegen-online berichtet. Hier ergab eine Umfrage unter 323 Mitarbeitern in der Altenpflege, dass knapp 13 Prozent ihren Bonus nicht erhalten hatten.
Inzwischen hat die Kanzlei erfolgreich einige Mandanten vertreten, denen die Corona-Prämie vorenthalten wurde. Allerdings, so die auf Arbeitsrecht spezialisierte Rechtsanwältin Sarah Freytag der Kanzlei, müsse dies in jedem Einzelfall geprüft werden. „Grundsätzlich gilt die dreijährige Verjährungsfrist, aber auch kollektiv- und individualvertragliche Ausschlussfristen aus Tarif- und Arbeitsverträgen sind womöglich zu beachten.“ Vor Einreichung der Klage empfiehlt sie, den Arbeitgeber „schriftlich mit einer Frist von zwei Wochen zur Zahlung der Prämie aufzufordern.“
Tipps von Anwältin Sarah Freytag für Pflegekräfte und Politik
Viele Arbeitgeber berufen sich darauf, keine Vorauszahlung erhalten zu haben, da sie die Prämie – aus welchen Gründen auch immer – gar nicht beantragt hatten. Sarah Freytag: „Wir gehen davon aus, dass der Anspruch trotzdem besteht und von dem oder der Arbeitgeber:in selbst getragen werden muss. Eine Erstattung durch die jeweiligen Kassen kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr erfolgen.“ Allerdings gäbe es dazu bisher keine höchstrichterliche Entscheidung.
Offensichtlich spekulieren viele Arbeitgeber darauf, dass die betroffenen Pflegekräfte nichts unternehmen. „Viele Arbeitnehmende scheuen gegen ihre Arbeitgeber vorzugehen“, lautet die Erkenntnis der Anwältin. „Insbesondere, wenn sie sich einen Rechtsstreit nicht leisten können oder ihr Arbeitsverhältnis nicht belasten wollen.“
Mitgliedschaft in Berufsverband und/oder Gewerkschaft hilfreich
Nun ist es aber auch oft sinnvoller, sich zunächst beraten zu lassen: Hat eine Klage Aussicht auf Erfolg? Gibt es eventuell noch ganz andere Möglichkeiten, den Arbeitgeber zur Zahlung zu bewegen? Solch eine Beratung erhalten Pflegekräfte etwa beim Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK), ohne dafür zahlen zu müssen – sofern sie Mitglied sind.
„Im Falle eines nicht gezahlten Pflegebonus würden wir die Angelegenheit individuell besprechen und zunächst die Sachverhalte klären – zum Beispiel: Wer ist der für den monierten Zeitraum zuständige Arbeitgeber gewesen? Wurde ordnungsgemäß gemeldet? Gab es Versäumnisse etc. Anschließend würden wir die Möglichkeiten beraten, etwa, ob eine andere als eine gerichtliche Einigung möglich ist – manchmal handelt es sich ja schlicht um ein relativ schnell zu klärendes Versäumnis in der Personalabteilung des Arbeitgebers“, heißt es beim DBfK. Sollte eine Klage angemessen scheinen, führt der DBfK zwar nicht das Verfahren, doch kann er juristischen Beistand vermitteln, der dann durch die in der Mitgliedschaft enthaltene Berufsrechtsschutzversicherung finanziert wird.
Auch die Gewerkschaft Verdi unterstützt ihre Mitglieder, wenn diese keinen Bonus erhalten haben.
Tipp für die Politik: Richtet eine unabhängige Auszahlstelle ein!
Am besten ist sicherlich, es entstehen erst gar keine Querelen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer wegen nicht ausgezahlter Boni. Anwältin Sarah Freytag empfiehlt deshalb der Politik für künftige Boni: „Eine unabhängige Auszahlstelle, welche nicht mit den Arbeitgebenden verbunden ist, bietet sich insoweit eher an, um das Arbeitsverhältnis nicht zu belasten.“
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Achtung ab 18. November, dann ist der nächste Bonus fällig
Ab 18. November sollen nun der im Juni beschlossene Corona-Bonus an Pflegekräfte in der Altenpflege ausgezahlt werden. Eine halbe Milliarde Euro hat der Gesundheitsminister dafür zurückgelegt. Sie sollen nach dem gleichen Muster wie beim ersten Corona-Bonus verteilt werden. Der Bundesrechnungshof befürchtet nun, „dass sich die Anfälligkeit des bisherigen Verfahrens für Fehler und Missbrauch nun auch beim Pflegebonus fortsetzt".
Autor: Hans-Georg Sausse/kig