pflegen-online: In der letzten Zeit höre ich vermehrt Stimmen, die sagen, die Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Pflegekräften sei schlechter geworden. Wie sehen Sie das?
Anna Mahnke: Ich würde dies zum Teil bestätigen. Die Berufsgruppen arbeiten viel nebeneinander statt miteinander. Natürlich ist es auch vom Bereich abhängig, auf den Intensivstationen etwa spielt Interprofessionalität schon immer eine größere Rolle. Die Haltung der Führungsetage hat ebenfalls großen Einfluss, deswegen würde ich gerne über ein positives Beispiel aus unserer Klinik berichten.
Warum ist die Zusammenarbeit schlechter geworden? Welches sind die zentralen Probleme?
Die Patienten sind immer häufiger schwerstkrank, was für alle Berufsgruppen eine Herausforderung darstellt. Zugleich hat der wirtschaftliche Druck zugenommen. Es gibt Zielvereinbarungsgespräche, die der Vorstand mit den Klinikdirektoren führt. Dabei geht es um Leistung, Fallzahlen, Case-Mix-Index und ähnliche Parameter. Diese werden festgelegt und die Klinik soll diese einhalten. Das führt mitunter zu einem hohen Leistungsdruck, der – wie auch in anderen Lebens- und Arbeitsbereichen – oftmals nicht dazu führt, dass alle an einem gemeinsamen Strang ziehen.
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Was tun Sie dagegen?
Frau Professor Müller-Schilling, unsere Klinikdirektorin der Klinik und Poliklinik für Innere Medizin I, und mir ist bewusst, dass eine gute interprofessionelle Zusammenarbeit entscheidend ist, um die Qualität in der Patientenversorgung zu sichern und Synergien für beispielsweise gemeinsame Aus-, Fort-, und Weiterbildungen sowie Projektvorhaben für Pflegende und Ärzte zu schaffen.
Wir sind das ab Oktober 2016 aktiv angegangen und haben mit unserem Projekt gestartet. Regensburger Modell nennen wir es. Arbeiten, forschen, lehren und managen – das passiert bei uns seither gemeinsam und nur interprofessionell.
[Wie funktioniert die Zusammenarbeit im Alltag genau? Woran ist zu denken? Welche Voraussetzungen muss man schaffen? Lesen Sie dazu das gerade erschienene Buch „Pflegende und Ärzte - Kommunikation auf Augenhöhe“ von Anna Mahnke und Martina Müller-Schilling. Sie beschreiben, wie sich das „Regensburger Modell“ in jeder Klinik adaptieren lässt.]
Das klingt gut – aber wie setzen Sie das um?
Zunächst der Punkt gemeinsames Arbeiten: Wir machen jeden Morgen eine kurze „Tafelbesprechung“ an der Patiententafel im Arztzimmer. Dort gibt es einen kurzen Report für alle Pflegekräfte zusammen mit den Ärzten. Ziel ist es, das Wichtigste auch über diejenigen Patienten wissen, die sie nicht unmittelbar betreuen.
Die Visiten finden immer jeweils mit der zuständigen Bereichspflegekraft statt, dazu kommt das Casemanagement und oft auch ein Pharmazeut. Dieser berät zu Themen wie Antibiotic Stewardship, rationalem Medikamenteneinsatz und der Medikamentenplanung vor Entlassung. Die Nachhaltigkeit der Behandlung steht im Vordergrund, um einen „Drehtüreffekt“ zu vermeiden.
Man hört immer wieder, dass die Visitenzeiten von Ärzten nicht eingehalten werden. Am Ende führt es dazu, dass die Pflegekräfte nicht mehr auf Visite mitgehen. Wie haben Sie dieses Problem in den Griff bekommen?
Es war anfangs ganz wichtig, den Tagesablauf in unseren drei Einheiten - auf der Intensivstation, der Allgemeinstation und in der Poliklinik – zu synchronisieren und genau festzustellen: Welche Anforderungen der Pflege und welche der Ärzte müssen wir bei der Planung des Tagesablaufs unbedingt berücksichtigen? Dies wurde dann verschriftlicht und allen Mitarbeitern vorgestellt.
Um das Verständnis füreinander zu fördern, haben wir eingeführt, dass Ärzte, die neu bei uns anfangen, zunächst einmal zwei Tage bei der Pflege mitarbeiten. Sie lernen dann gleich zu Beginn, was für die Pflegekräfte wichtig ist: Wann diese beispielsweise die Kurven benötigen, um zu dokumentieren oder Medikamente vorzubereiten.
Aber das Wichtigste ist wohl, dass auch Oberärzte und Chefärzte sich an die vereinbarten Visitenzeiten halten und Verbindlichkeit und gegenseiteigen Respekt zur Chefsache erklären.
Wie kommt Ihr Regensburger Modell in der Uniklinik an?
Unser Vorstand war anfangs schon erstaunt, dass Frau Professor Müller Schilling und ich grundsätzlich zu zweit kommen, wenn es darum geht, Anliegen unserer Abteilung vorzutragen – in einem Fall baten wir beispielsweise darum, einen Teilbereich der Allgemeinstation zu einer Überwachungseinheit zu deklarieren. Normalerweise würde dafür die Klinikdirektorin allein in Verhandlungen mit dem Vorstand treten.
Letztlich überzeugen wir den Vorstand, weil die gelebte Interprofessionalität die wirtschaftliche Situation äußerst positiv beeinflusst und direkt erlöswirksam ist.
Und genau hier setzte ich auch an, wenn es darum geht, unseren Erfolg zu erklären: Ich argumentiere mit objektiven Fakten und nicht nur mit der Mitarbeitermotivation.
Wie lässt sich die Erlössteigerung erklären?
Die Mitarbeitermotivation und Zufriedenheit ist hier ein wichtiger Faktor. Außerdem hat dies viel mit dem Zuweiser-Management und dem guten Kontakt zu anderen Kliniken zu tun: Wir verlegen Patienten, die die Versorgung in einer Uniklinik nicht mehr benötigen früher in Kooperationskrankenhäuser. So können wir wieder schneller neue komplexe Fälle aufnehmen. Eine solche Veränderung muss aber mit den Mitarbeitern zusammen geplant werden. Denn all dies funktioniert nur, wenn es alle mittragen – Pflegekräfte wie Ärzte.
Was außerdem zur Erlössteigerung beigetragen hat: Wir konnten auf der Intensivstation zusätzliche Betten eröffnen, weil die Mitarbeiter motiviert waren, dies zu unterstützen. Das ist nicht selbstverständlich: Es gab ja Bauarbeiten im laufenden Betrieb. Das ist für die ITS-Mitarbeiter anstrengend. Es lässt sich nur umsetzen, wenn sie sich darauf einlassen. Und das tun sie, weil sie sich wertgeschätzt fühlen. Sie sind in die Planungen einbezogen worden und wissen, wozu sie die Anstrengung auf sich nehmen.
Wertgeschätzt – das scheint manchmal so ein Schlagwort …
Nun, wir stellen immer wieder fest: Durch Kommunikation auf Augenhöhe entsteht ein Gemeinschaftsgefühl, das sich insgesamt positiv auf die Abläufe und Erlöse auswirkt. Der Oberarzt der Intensivstation und unser stellvertretender Klinikdirektor Herr Dr. Stephan Schmid, sagt immer wieder: Hightech-Medizin entfaltet nur dann seine positive Wirkung wenn alle Professionen zusammenarbeiten.
Sie sprachen eingangs auch vom gemeinsamen Lernen – wie läuft das ab?
Die Aus-, Fort-, und Weiterbildungen zum Beispiel: Anfangs lag sie noch ganz in den Händen der Klinikdirektorin. Inzwischen sind auch alle Ärzte und die Pflegekräfte hier involviert. Unsere Abteilung richtet pro Jahr viele Veranstaltungen aus, zu denen Kollegen aus dem Haus und aus anderen Krankenhäusern kommen. Viele lassen sich von dem interprofessionellen Auftreten anstecken und merken, dass es was bringt, gut zusammen zu arbeiten und zu kooperieren.
Wie steht es um die Mitarbeiterzufriedenheit? Hat sie sich nachweislich verbessert? Denn die Arbeitsbelastung ist doch noch immer hoch, Extra-Personal haben Sie ja nicht eingestellt, oder?
Nein, das haben wir nicht. Im Klinikum gab es eine Umfrage zur psychischen Gesundheit: Hier hat unsere Abteilung überdurchschnittlich gut abgeschlossen – gerade was das Führungsverhalten und den Teamgeist angeht. Was man auch nicht vergessen darf: Die Patientensicherheit und die Versorgungsqualität hat sich definitiv verbessert. Man stimmt sich mehr ab, es gibt gemeinsame, zeitlich abgestimmte Visiten, morgens kommt immer ein Arzt etwas früher, um sich bei der Pflege zu erkundigen, ob es in der Nacht besondere Ereignisse gegeben hat. Die gemeinsame Interaktion wird den gesamten Tagesablauf über fortgeführt.
Unser aller Credo in der Abteilung lautet inzwischen: Interprofessionelle Zusammenarbeit kann Leben retten!
Interview: Kirsten Gaede
Foto: UKR/Marion Schweiger