Für viele Pflegeheime klingen die Forderungen des Bundesgesundheitsministeriums fast bedrohlich: Schon ab Juli kommt die neue Personalbemessung (PeBeM), bis spätestens Dezember 2025 muss sie in den Einrichtungen etabliert sein. Zwar ist die neue Personalbemessung nicht mehr auf die Fachkraftquote fixiert. Dafür steht jetzt ein ausgewogener Personalmix mit rund 30 Prozent ein- oder zweijährig ausgebildeten Pflegeassistenten im Vordergrund. Das Problem: Es gibt zurzeit aus verschiedenen Gründen kaum Pflegeassistenten in Pflegeheimen.
Das gilt auch für die Sozial Holding der Stadt Mönchengladbach. Dort beschäftigt Geschäftsführer Helmut Wallrafen rund 900 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in sieben Pflegeeinrichtungen, davon 620 Beschäftigte in der Pflege. Davon sind 58 Prozent Pflegefachkräfte, 39 Prozent Hilfskräfte ohne Ausbildung und nur knapp 3 Prozent Pflegeassistentinnen. Walraffen müsste jetzt also ordentlich personell aufstocken. Er weiß: Das ist auf die Schnelle gar nicht machbar – aus drei Gründen, so sagt er, fühle er sich „verschaukelt“.
1. Grund: Sofortprogramme nur schwer abrufbar
Die angebotenen Pflegestellen-Förderprogramme klingen zunächst gut, sind aber für die Einrichtungen nur schwer abzurufen. „Für das 13.000-Pflegestellen-Förderprogramm wird zum Beispiel für jede zusätzliche Stelle vorausgesetzt, dass man alle Sollstellen besetzt haben muss“, sagt Wallrafen. Das habe aber so gut wie keine Einrichtung. „Werden Personalausfälle, ob wegen Urlaub oder Langzeiterkrankung, mittels Zeitarbeit kompensiert, fällt man schon raus.“ Die Förderprogramme sind aus Wallrafens Sicht eine „Riesenmogelpackung“ und „purer Populismus“. Auf Nachfrage beim BMG zeigt sich: Bislang wurden über die aktuell laufenden Programme weniger als ein Viertel der versprochenen Stellen abgerufen. Für das Förderprogramm aus 2019 werden bisher gut 2.800 Vollzeitäquivalente von Pflegefachpersonen finanziert (von 13.000). Für das Förderprogramm aus 2021 wurde bislang die Finanzierung von über 4.400 Pflegehilfskraft-Stellen bewilligt (von 20.000; Stichtag jeweils: 31.03.2022).
Jobportal pflegen-online.de empfiehlt:
2. Grund: fehlende Ausbildungsplätze für Pflegeassistenten
Die Ausbildung für Assistenzpersonen wurde in den vergangenen Jahren vernachlässigt. In einigen Bundesländern fehlen gar entsprechende Ausbildungsstrukturen, die nun erst aufgebaut bzw. erweitert werden müssen. Da ist der Engpass schon jetzt programmiert. In Mönchengladbach startet der erste einjährige Ausbildungskurs für Pflegeassistentinnen zum Beispiel erst im April nächsten Jahres, weiß Geschäftsführer Wallrafen. Hinzu kommt der eklatante Mangel an Pflegepädagogen. „In NRW fehlen für die dreijährige Pflegeausbildung bereits 800 Pflegelehrerinnen. Von daher haben wir gar nicht genügend Lehrkräfte, um die notwendigen Pflegefachpersonen geschweige denn die Pflegeassistentinnen auszubilden“, sagt Wallrafen.
3. Grund: unzureichende Motivation zur Pflegeassistenz-Ausbildung
Eine Idee, um mehr Assistenzpersonal zu gewinnen, ist die Qualifizierung der Hilfskräfte. Aber auch hier gibt es zwei Haken: „Die Frage ist: Wie viel Lohn verdiene ich tariflich mehr, wenn ich mir diesen Stress nochmal antue?“ sagt Wallrafen. Wenn das nicht verbindlich geklärt sei, wäre es schwer, Kandidatinnen zu gewinnen. Hinzu komme die Angst des Scheiterns – bei einem Durchschnittsalter von 46 Jahren hätten viele nicht mehr den Wunsch, die Schulbank zu drücken oder Prüfungen zu absolvieren. Bei den langjährigen Pflegehelferinnen tue sich zudem ein neues Problem auf: Ist deren Qualifizierung noch anerkannt? Auch das ist wieder einmal von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich geregelt und erschwert die Sache zusätzlich.
Wallrafens Trumpf: gut qualifizierte Hilfskräfte
Helmut Wallrafen wartet bewusst erstmal ab, was die neue Personalbemessung bringt. Er leitet die Sozial-Holding der Stadt Mönchengladbach seit mehr als 20 Jahren und hat viele politische Neuerungen durchgestanden. Er setzt auf Qualität, Qualifizierung und Mitarbeiterzufriedenheit: Die Auszubildenden werden in seinem Unternehmen von insgesamt 24 Praxisanleitenden und einer Pflegelehrerin betreut, die allesamt ausschließlich für die Auszubildenden da sind. Er qualifiziert seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter regelmäßig weiter und hat ein umfassendes Gesundheitsmanagement etabliert – alle Beschäftigten können zum Beispiel innerhalb von 14 Tagen kostenlos ein psychologisches Angebot nutzen. Dieses lohne sich auch finanziell, wie es die Krankheitstage verringert. In seinen Einrichtungen sind die Leitungspositionen zu 85 Prozent mit Frauen besetzt, von 630 Stellen in der Pflege hat er nur 8,3 Vollstellen nicht besetzt.
[Sie legen Wert auf Exklusiv-Interviews und fundierte Recherche aus der Pflegebranche? Dann abonnieren Sie jetzt unseren Newsletter, damit Sie keinen neuen Beitrag auf pflegen-online mehr verpassen!]
15 Hilfsfkräfte starten im April die Assistenz-Ausbildung
„Wir machen unser Ding in Ruhe“, sagt er. „Wenn bei der neuen Personalbemessung etwas Vernünftiges rauskommt, dann übernehmen wir das.“ Bis dahin warte er erstmal ab und setze auf Bewährtes. Für den nächsten Pflegeassistenzkurs im April 2023 hat er – vorausschauend – dennoch schon mal 15 von seinen Hilfskräften angemeldet.
Text: Brigitte Teigeler